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Angel
Nicht mal Verachtung für
das Realtitätsprinzip: Francois Ozons "Angel"
Angel Deverell (Romola Garai,
großäugig) träumt sich die Welt zurecht. Sie geht noch zur Schule
und weiß schon um ihren künftigen Erfolg als Autorin. Fürs Realitätsprinzip
hat sie nicht einmal Verachtung: es ist ihr schlicht und ergreifend fremd. Und
erst einmal wird ihre Lebensgeschichte – die Autorin Elizabeth Taylor hat sie
sich ausgedacht – zum Exempel für die realitätenschaffende Kraft eines
wirklichkeitsblinden Narzissmus. Angel schreibt Romane, die sie aus ihrer Fantasie
schöpft und keine Sekunde dürfen wir zweifeln, dass sie das Courths-Mahler-Niveau
nicht überschreiten. Francois Ozon greift zunächst tief in die Kiste
mit all den hübschen Mitteln für Zuckerguss und Kitsch und distanziert
sich nicht entschieden, sondern liebevoll davon. Allerliebst anzusehen etwa
die beinahe schon surrealen Rückprojektionen mit Fahrten in London und
britischer Landschaft bei Nacht. Minutenlang darf man sogar träumen, Ozon
hätte hier Ähnliches im Sinn wie Todd Haynes mit seiner wundersam
strengen Douglas-Sirk-Re-Imagination "Far From Heaven".
Aber ach. Mitnichten. Denn allzu
bald haben ihre Auftritte: Esme (Michael Fassbender), der Maler, der alles nur
grau in grau malt, und den, zu ihrem und seinem Unglück, die realitätsblinde
Angel sich schön guckt. Nora (Lucy Russell), Esmes Schwester, der verehrten
Angel in hündischer Liebe ergeben. Der Verleger (Sam Neill), erst in Angels
Augen, später, wenigstens des Geldes wegen, auch in ihre Stilblüten
vernarrt – und seine Gattin (Charlotte Rampling), die erst nach und nach die
Kraft nicht der Prosa, aber der unerschüttert ihren immer prächtigeren
und aufwändigeren Fantasiekokon um sich spinnenden Persönlichkeit
Angels zu schätzen lernt. Es folgen allerlei Windungen, Wendungen, nun
aber aus dem Kistchen mit den Versatzstücken fürs herkömmliche
Melodram. Statt eines intelligenten Kommentars, einer boshaften oder hemmungslos
dem Kitsch verfallenen Variation will Francois Ozon leider nicht mehr als den
in nichts aktualisierten Aufguss des handelsüblichen Heulers.
Es ist sein Ernst und daran geht
sein Film vor die Hunde (und Katzen, Papageien, Pfauen, immerhin ein tierreiches
Werk). Hauptdarstellerin Romola Garai, wohl von Natur schon nicht mit dem Hang
zum subtilen Spiel begabt, bekommt Augen wie glühende Kohlen, es bebt der
Busen und es zittert die Träne im Winkel des Auges. Ach, wie unendlich
viel klüger war da Jeanne Balibars mit betörender Exaktheit auf echte
Künstlichkeit hin tariertes Spiel in Rivettes "Ne touchez pas la hache".
Und überhaupt steht Ozons "Angel" neben Rivettes so viel gelungenerem
Kostümfilm wie, ja, Hedwig Courths-Mahler neben Honore de Balzac.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de
Angel – Ein Leben wie im Traum
Belgien / Großbritannien / Frankreich 2006 – Originaltitel:
The Real Life of Angel Deverell – Regie: François Ozon – Darsteller:
Romola Garai, Charlotte Rampling, Michael Fassbender – Prädikat: besonders
wertvoll – FSK: ab 6 – Länge: 119 min. – Start: 9.8.2007
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