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Anansi
Fritz
Baumann erzählt ein deutsch-afrikanisches Spielfilmmärchen
Kojo
ist Fotograf. In seinem kleinen Fotostudio im ghanaischen Accra lichtet er seine
Kunden vor gemalten "Backdrops" ab, die die Insignien bürgerlichenWohlstands
naiv anschaulich darstellen: ein blaugekacheltes Badezimmer mit blitzweißem
Wasserklosett; eine Einbauküche mit offenem Kühlschrank, in dem bunte
Früchte und Bierflaschen locken. Kojos Freundin Carla betreibt den Kiosk
nebenan und möchte Lehrerin werden. Doch reichen beider Einnahmen nicht
einmal mehr für die Miete. Dann gibt es noch Zaza, einen Flüchtling
aus Togo, der bei Carla und Kojo untergeschlüpft ist und sich mit dem Verkauf
von Eisstangen durchschlägt. Nicht gerade eine Idylle, doch nehmen die
Dinge irgendwie ihren Lauf.
Bis
Sir Francis auftritt, frisch aus Deutschland zurückgekehrt und den Luxuswagen
vollgestopft mit Geschenken. Sir Francis trägt einen gelben Anzug und ein
goldenes Kettchen um den Hals. Und nimmt das Maul tüchtig voll – mit Geschichten
vom goldenen Norden, wo die Menschen höflich sind und die Arbeit auf der
Straße liegt. Andere haben da schon anderes gehört, auch von den
grässlichen Wintern, wo man friert wie im Hölleneis. Doch was soll’s:
"Lieber mit Geld im Schnee sterben als hier verhungern. Und mancher überlebt
es auch."
Auch
Kojo, Carla und Zaza machen sich trotz aller Vorbehalte auf die große
Reise. Sir Francis hilft mit Papieren und anderem aus, was ein Flüchtling
so braucht. Er selbst reist auch mit. In ein paar Jahren wollen sie zurückkommen,
mit genug Geld für ein besseres Leben. Fritz Baumanns Anansi ist
ein deutscher Spielfilm und ein afrikanisches Märchen. Und ein Roadmovie
von Ghana nach Berlin, eine abenteuerliche und auch gefährliche Reise:
Schlepper, missgünstige Seeleute und menschliche Profitgier auf der einen
Seite; Wasser, Wind und Dürre auf der anderen. Stationen sind ein russischer
Frachtkahn, eine marokkanische Oase und eine südspanische Gemüseplantage,
wo die Männer für einen Hungerlohn Tomaten mit Gift besprühen,
während Carla als Barmädchen herumkommandiert wird. Dazwischen Kämpfe
ums Überleben,Verfolgung und Flucht.
Die
Geschichte von Carla, Kojo und Zaza ist eine alltägliche Geschichte. 15.000
Menschen haben im Jahr 2000 versucht, illegal die Straße von Gibraltar
zu passieren. Über 5.000 haben in den letzten fünf Jahren dabei ihr
Leben gelassen. Trotzdem will dieser Film nicht nur vom Elend erzählen,
das verhindert schon die Sachkenntnis des gestandenen Regisseur Fritz Baumann
(Al Oud – Das Holz), der selbst einige Jahre als Entwicklungshelfer gearbeitet
hat und auch hier gründlich recherchiert. Immer wieder werden Glück
und Unglück in ein fragiles Gleichgewicht gebracht, auch wenn am Ende die
Enttäuschung steht. Gegen das Leiden steht das Lachen und die Poesie –
sprachlich wie visuell.
Wie
die Hauptdarsteller Jimmy Akingbola und Maynard Eziashi, die selbst – allerdings
erfolgreich – den Weg von Afrika nach Europa gegangen sind, sind auch die Helden
von Anansi das,
was man bei uns Wirtschaftsflüchtlinge nennt. Nur Zaza ist vor der politischen
Gewalt in seinem Heimatland geflohen, die anderen treibt materielle Not, aber
auch Unternehmungslust. Müssten nicht gerade die Wirtschaftsflüchtlinge
den neoliberalen Weltverbesserern besonders gut gefallen? Hochflexibel, risikobereit
und immer mobil, sind sie doch genau der Stoff, von dem die Personalmanager
der ehemaligen Kolonialstaaten träumen. Und ist es nicht erst gut 100 Jahre
her, dass auch bei uns Menschen in Massen das Glück in der "Neuen
Welt" suchten? Eine zu Unrecht verdrängte Episode, meint Baumann,
der an einer Dokumentation über die deutsche Auswanderung arbeitet. Doch
erstmal möchte man Anansi wünschen,
dass er sein Publikum findet. Es gibt den Film in deutsch synchronisierter wie
auch in untertitelter Fassung.
Silvia
Hallensleben
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in: epd Film
Deutschland
2001. R und B: Fritz Baumann. P: Alena und Herbert Rimbach. K:
Arturo Smith. Sch:
Christian Lonk. M:
Roman Bunka. T: Wolly Wollman. A:
Carsten Lippstock. Pg:
Avista/Brainpool/ Calypso/arte/BR. V:
Progress. L: 80 Min. FSK: 12, ffr. FBW:
wertvoll. DEA: Filmfest München. Da: Naomie Harries (Carla), George Quaye
(Zaza), Jimmy Akingbola (Kojo), Maynard Eziashi (Sir Francis), Jeillo Edwards
(Aunt Vera), Chrys Koomson (Antoine).
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