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Amityville Horror (2005)

 

 

 

 

Wo das Böse ist

 

Vom Wahnsinn der Hausbewohner: "Amityville"

 

Es ist zu schön um wahr zu sein: Die Familie Lutz findet sucht ein neues Heim und findet ein unglaublich günstiges Landhaus am Rande des Städtchens Amityville, das nicht nur sehr geräumig ist, sondern auch äußerst idyllisch gelegen. Doch schon bald nach dem Einzug erfährt die Euphorie von George und Kathy einen Dämpfer. Die kleine Tochter Chelsea redet ständig von einem kleinen Mädchen, das ebenfalls im Haus ist, der Teenager Billy legt sich immer häufiger mit seinem Stiefvater an und dieser selbst entwickelt eigenartige Verschrobenheiten, die bis hin zur Aggression gehen.

 

Zunächst glaubt niemand, dass die Veränderungen mit dem Haus und seiner Vorgeschichte zu tun haben könnten – nur ein Jahr vor dem Einzug der Lutz’ fand dort ein grausamer Mehrfachmord statt, bei dem eine ganze Familie ausgelöscht wurde. Doch als die unheimlichen Vorfälle im Haus zunehmen, beginnt Kathy die Geschichte des Hauses zu recherchieren und stößt auf ein grausiges Geheimnis.

 

"This place sounds like it’s made for you!": Der Satz ist als Zitat einer Protagonistin aus Andrew Douglas Remake von "Amityville" wie vieles in dem Film auch wörtlich zu verstehen. Die Geschichte des verwunschenen Hauses im Film und die Geschichten um den familiären Wahnsinn haben sich in der Geschichte des "Haunted House"-Films immer schon gegenseitig ergänzt und aneinander sublimiert. In "Amityville Horror" wird nun nicht nur eine der originellsten (weil angeblich authentischen) Erzählungen des Genres wieder aufgenommen, sondern auch gleichzeitig die Mechanismen des Subgenres reflektiert.

 

Wie wir unsere "wahren Geschichten" erzählen

 

Andrew Douglas’ "Amityville Horror" ist das Remake des bereits 1979 veröffentlichten gleichnamigen Films von Stuart Rosenberg, der eine ganze Reihe Kino-, Video- und TV-Sequels nach sich zog. Gleichzeitig ist der Film aber auch die Neuadaption der Erlebnisberichte der Familie Lutz, die tatsächlich 1974 in ein Haus in der Stadt Amityville auf Long Island gezogen sind und ihr Anwesen aufgrund mysteriöser Vorkommnisse schon nach wenigen Tagen fluchtartig verlassen haben. Seither sorgt George Lutz, der Besitzer des immer noch unbewohnten Anwesens dafür, dass der Mythos um das Geisterhaus nicht abreißt: Seit 1974 erscheinen regelmäßig Artikel, Interview und Bücher von, über und mit ihm – zuletzt sogar eine Webseite von ihm selbst gehostet. Die verlorene Immobilien-Investition dürfte auf diese Weise durch das Merchandising bereits einigermaßen entschädigt worden sein.

 

Die Geschichte von der "Amityvilla" fügt sich – obgleich oder weil sie authentisch ist – nahtlos in die Kultur- und Filmgeschichte der "Haunted Houses" ein: Wie wir unsere "wahren Geschichten" erzählen, hängt eng damit zusammen, auf welchen Konstruktionsmechanismen auch die erfundenen basieren. Und seit Paul Lenis 1927 erschienenem Film "The Cat and the Canary" gehört das Spukhaus zum stabilsten und am häufigsten aufgegriffenen Motiv des Gruselfilms, also zu einer der Basis-Gruselerzählungen. Der Erfolg dieses Subgenres begründet sich dabei auf den oft nur im Detail variierten Plots: Stets ist es ein Haus mit böser Vergangenheit, in dem sich diese Vergangenheit auf magische Weise "eingeschrieben" hat und nun in Form von Geistererscheinungen und/oder psychisch desolierendem Einfluss auf die Neubewohner abfärbt. Diese nun sorgen dafür, dass die sich im Laufe der Handlung ereignenden bösen Taten wiederum in die Geschichte des Hauses einschreiben usw. Die Bauform des Hauses in "Amityville" fällt vor allem wegen ihres für das Genre "typisch" gewordenen Mansarddaches auf, das es ermöglicht den Dachboden bewohnbar zu machen. Die zwei in die Dachgeschosswand eingelassenen Viertelkreis-Fenster wirken wie Augen, was dem Haus nicht nur ein dämonisches Aussehen gibt, sondern seinen anthropomorphen Status sofort nach außen hin sichtbar erscheinen lässt.

 

Das böse Haus

 

In "Amityville" spielen sich – wie üblich in "Haunted House"-Filmen – die mysteriösen Dinge zumeist in dieser Dachetage und im Keller des Hauses ab. Beides sind im Film nachträgich bewohnbar gemachte Etagen (die Mansarde ohnehin und den Keller baut George sind bei Einzug aus). Damit greift der Film auf eine innerhalb der Filmgeschichte tradierte Form der vulgären Traumsymbolik zurück, die das Haus immer schon als "die seelische und körperliche Verfassung des Träumers, die eigene Persönlichkeit, de[n] eigene[n] Körper"[1] interpretiert hat. Diese Assoziation von Körper und Haus ist nahe liegend:

 

Ursprünglich grenzerhaltendes System ist der eigene Körper. Was ich aus meinem Inneren herauslasse und was ich hineintue, daran erfahre ich die Grenze. Was mich berührt, daran erfahre ich die Grenze nochmals. Der Körper hat die gleiche Grundform wie das Haus. Der Horror des "Haunted House" ist also immer auch ein Horror vor dem, was in den Körper eindringen will, oder was – unbewusst – schon immer in ihm steckt und nun heraus drängt. Deshalb sind die meisten Filme des Subgenres – von "House on Haunted Hill" (1959) über "Burnt Offerings" (1976) bis "The Shining" (1980) – immer auch Filme über den Wahnsinn der Hausbewohner. Die Häuser dieser Filme bilden nicht nur den (H)Ort des Wahnsinns, sondern auch die emblematische Verdopplung des Geisteszustandes ihrer Bewohner.

 

So auch in "Amityville". Der eingangs völlig friedliche, scheinbar der liberalen Hippie-Ära entstammende Hausvater Lutz verwandelt sich zusehends zum erzreaktionären Haustyrann. Er terrorisiert seine (Stief-) Kinder, indem er sie zuerst psychisch quält und schließlich physisch bedroht. Seine Frau Kathy, die bemerkenswerter Weise nicht von dem Fluch betroffen zu sein scheint, beginnt eine Recherche. Dass es einen Mordfall gegeben hat, wussten bereits beide bei Einzug und konnten auf rationale Weise damit umgehen: Das Haus hat nichts damit zu tun. Doch die Bedingung der Möglichkeit dieses Mordes reicht weiter zurück, wie sie herausfindet. Das Haus in "Amityville" ist nämlich weit mehr als nur eine "bewohnbare Hülle", es ist vielmehr die äußerste, sichtbare Schicht einer Geschichte des Ortes, auf dem es gebaut wurde.

 

"Catch’em and Kill’em!"

 

Ins 18. Jahrhundert reicht die Geschichte zurück, nach der an derselben Stelle ein Hexenmeister aus Salem einen Folterkeller betrieben hat, in welchem Indianer gemartert wurden. Die Geschichte, eine Allegorie vom Trauma der Kolonisation Amerikas, hat sich schließlich im Gemäuer manifestiert und in der Kolonialstil-Architektur des Lutz-Hauses sublimiert. Abermals wird die Traumsymbolik angestrengt, wenn der Film-Lutz gegen Ende des Films eine Wand im Keller aufhackt und dort auf diese "verdrängte Vergangenheit" des Hauses stößt: Den noch völlig intakten Folterkeller, auf dem die Geschichte und das Haus gleichsam "basieren" und von dem die Botschaften ausgehen, die Lutz suggerieren: "catch’em and kill’em!"

 

Dass sich dies alles "tatsächlich" so zugetragen haben soll, wie es der Film präsentiert, scheint – gelinde gesagt – fraglich. Hier offenbart sich die filmhistorische Funktion des Remakes als "Verbesserung". In der 1979er-Version gab es nur Geisterstimmen zu hören – in Douglas’ Remake treten die Phantome sichtbar in Erscheinung. War das Understatement des Nicht-Sehen-Könnens im ersten Film noch Ausweis für dessen Authentizität, so ist es im Remake genau anders herum: Schon der Beginn mit der quasi-dokumentarischen Präsentation der Morde, die vor dem Einzug der Lutz’ stattfanden, soll dem Zuschauer sichtbar vor Augen führen, was und wo das Böse ist. Die Authentizitätssuggestion des Remakes richtet sich an ein Publikum, dass sehen muss um glauben zu können; die Geisterbilder sind so gleichermaßen fantastisch wie allegorisch dafür, dass "etwas" vorgefallen ist, das Spuren hinterlassen hat. Und diese "metaphysischen" Spuren schreiben sich als Lichtspuren in den Film ein – ein Geister(fotografie)-Diskurs, der in "Amityville" selbst verdoppelt und wiederum auf das Haus "projiziert" wird, wenn George Lutz sich in einer der wenigen Refraktärphasen seines Amoklaufs im Keller emotionsgeladene Super-8-Familienfilme anschaut, die er auf die nackte Kellerwand projiziert.

 

Zeitgemäßes über Haus und Tod

 

Im Gegensatz zum ersten "Amityville"-Film, der aus heutiger Sicht überaus langweilig wirkt (sein Erfolg beim zeitgenössischen Publikum attestiert, dass er wohl nicht immer so wahrgenommen wurde), ist das Remake einer wahren Geisterbahnfahrt. Nicht nur die wesentlich agileren Darsteller, die viel glaubwürdiger erscheinen als ihre Vorgänger (allen voran der Kontrast der Vaterfiguren James Brolin/Ryan Reynolds), auch und vor allem die Gruselästhetik des Films unterstützen diesen Eindruck. Zwar haben sich all die "scrary child movie"-Effekte, die "Amityville" präsentiert, in den letzten Jahren etwas abgenutzt, doch lassen die durch Gewöhnung verminderten Schock- und Gruselmomente es nun zu, endlich einmal etwas genauer hinzuschauen. Und dann fällt auch auf, wie gut die visuellen und akustischen Effekte zum Thema des anthropomorphen Hauses passen. Ohne Frage: "Amityville" bringt seinen Stoff in jeder Hinsicht auf die Höhe der Zeit.

 

Stefan Höltgen

 

Diese Kritik ist zuerst erschienen in:  telepolis

 

The Amityville Horror

USA 2005 – Regie: Andrew Douglas – Darsteller: Ryan Reynolds, Melissa George, Jesse James, Jimmy Bennett, Chloë Grace Moretz, Rachel Nichols, Philip Baker Hall, Isabel Conner, Brendan Donaldson, Annabel Armour – FSK: ab 16 – Länge: 89 min. – Start: 21.4.2005

 

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