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American
Splendor
Er ist eben ein
finsterer Typ
Fiktion und Wirklichkeit: "American Splendor",
ein Film über den Comic-Autor und Außenseiter Harvey Pekar
In einer der ruhigeren Szenen
in “American Splendor” kommen Mensch und Figur Harvey Pekar für einen Augenblick
zur Deckung. Die Szene findet sich in keinem Band der autobiografischen Comic-Reihe
gleichen Titels, und doch besetzt sie das Zentrum der Verfilmung – gewissermaßen
als Schnittmenge von Fiktion und Wirklichkeit. Zwanzig Jahre sind Harvey Pekar
und Joyce Brabner miteinander verheiratet; er ein zwanghafter Misanthrop, sie
eine neurotische Hypochonderin. Ein perfektes Paar im Grunde, und dann entwickelt
sich in Anwesenheit der Filmemacher Shari Springer Berman und Robert Pulcini
folgender Dialog: “Sonnenschein und Blumen,” sagt Joyce zu Harvey, “das
verkauft sich.” – ”Ich bin eben ein finsterer Typ!” entgegnet Harvey entschuldigend.
“Und ich dachte, ich hätte einen Mann mit Humor geheiratet…” – “Tja, da
hab ich dich wohl reingelegt.”
In diesem kurzen Dialog steckt
viel Wahrheit über die Institution der Ehe, wie auch über das Genre
der Autobiographie. Die kleinen Täuschungen und das Vorspielen falscher
Tatsachen, die Selbstmythisierungen stecken im Kern jeder autobiographischen
Erzählung, besonders aber in der von Harvey Pekar, dem mürrischen
Aktensortierer aus Cleveland, der es als Comic-Antiheld zur multiplen Persönlichkeit
gebracht hat. Pekars verstockte Exzentrik verschließt einen direkten Zugang
zu dieser wundersamen Welt aus verstaubten Schellackplatten und nicht minder
staubigen Krankenakten. Doch im Laufe der Siebziger und Achtziger Jahre hat
eine Armada von Underground-Comiczeichnern die Figur Pekar in unterschiedlichsten
Erscheinungsformen zum Leben erweckt. Darum äußert Joyce vor ihrem
ersten Blind Date zunächst auch ihre berechtigte Skepsis an Pekars tatsächlicher
Physis. Wer ist dieser Harvey Pekar nun? Eine Reinkarnation des jungen Brando,
ein drahtiger Prolo-Gott, oder ein verknitterter Stinkstiefel mit Hygiene-Defiziten,
so wie Robert Crumb ihn zeichnete?
Der Film “American Splendor” nutzt
diese Ungewissheit auf grandiose Weise. Berman und Pulcini vermischen Elemente
von Comic-Verfilmung, abgefilmtem Comic, Animations-, Interviewfilm und Biopic
zu einem angejazzten Mischpotrait, das ebensoviele Facetten und Widersprueche
aufweist, wie der Comic-Charakter Harvey Pekar Zeichner hatte. “American Splendor”
ist ebenso ein Film über die Problematik von Identifikationsmodellen wie
über die Schwierigkeit, als kleine Aktenlaus ein Leben in Würde zu
führen. Harvey Pekar kommt uns nur allzu bekannt vor. Er ist “unser Mann”,
wie der echte Harvey sein Alter Ego vorstellt: “all grown up and going nowhere!”.
Dieser Pekar, gespielt von einem
unnachahmlich schlecht gelaunten Paul Giamatti, ist keine Kulturtype. Er ist
die Art von Zeitgenosse, deren Gegenwart einem mitunter körperliches Unbehagen bereiten
kann. Auch deswegen ist seine Geschichte so interessant. Denn “American Splendor”
erzählt unter anderem von den seltsamen Achtzigern, als die Ausbeutung
marginaler Soziokulturen in großem Stil angegangen wurde. Pekars Auftritte
bei David Letterman, im Film in Form von Archivmaterial und auch mit Giamatti
nachgestellt zu sehen, oder die bizarren MTV-Spots seines Arbeitskollegen Toby
(als “genuine nerd” angekündigt), der als Nebenfigur auch in den “American
Splendor”-Comics auftaucht, nahmen eine Dekade vorweg, in der der Zynismus in
voller Blüte stand.
Pekar mit seinen kleinen, langweiligen,
akribisch dokumentierten Alltagsgeschichten, gezeichnet von fremden Menschen,
stellt in gewisser Hinsicht so etwas wie die Antipode zu diesem Medienzirkus
dar. Nicht zuletzt deshalb muss er eine tragische Figur abgeben, wenn er ausgerechnet
vor Lettermans Publikum wütend auf seine Echtheit beharrt. Was soll er
schon ernten, außer schallendem Gelächter?
Andreas Busche
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der taz
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Texte
American
Splendor
USA
2003 – Regie: Shari Springer Berman, Robert Pulcini – Darsteller: Paul Giamatti,
Hope Davis, Harvey Pekar, Joyce Brabner, Judah Friedlander, James Urbaniak,
Maggie Moore, Earl Billings, Madylin Sweeten, Danielle Batone – FSK: ab 6 –
Länge: 101 min. – Start: 28.10.2004
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