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Der
alte Affe Angst
Wie
in einen Panic Room sind sie eingeschlossen, Marie (Marie Bäumer) und Robert
(André Hennicke), ein Paar in Berlin, er Theaterregisseur, sie Ärztin
auf der Krebsstation eines Krankenhauses – und mit ihnen werden wir hinter die
Gitter eines psychologisch nicht einmal besonders intelligent konstruierten
Gefängnisses verbannt. Krankheit und Tod spielen in Oskar Roehlers neuem
Drama eine enorme Rolle. Der Vater Roberts, Klaus (Vadim Glowna), ist schwer
krebskrank, wird sterben. Klaus ist Schriftsteller und muss von einem Tag auf
den anderen seine Arbeit aufgeben, weil er sich nicht mehr auf seinen neuen
Roman, von dem zwei Drittel fertig geschrieben sind, konzentrieren kann. Auch
Marie ist ständig von Krankheit umgeben. Einer Mutter muss sie sagen, dass
ihr kleiner Sohn an Krebs sterben muss. Marie selbst hat bereits einen Selbstmordversuch
hinter sich. Und Robert? Robert liebt Marie. Doch seit einem halben Jahr hat
er mit seiner Frau nicht mehr geschlafen. Seine Sexualität lebt er heimlich
bei Prostituierten aus. Dann stirbt Klaus, der Vater, zu dem Robert seit Jahren
keinen Kontakt mehr hatte. Kurz darauf wird Marie schwanger, völlig überraschend
und nur, weil sie es einmal geschafft hat, dass Robert doch mit ihr schläft.
Le
Grande Catastrophe !! Berlin, eine im Film triste Stadt, bildet den Hintergrund,
die Fassade für dieses Beziehungsdrama, in dem der „alte Affe Angst“ den
Protagonisten im Nacken sitzt, sich fest gebissen hat und nicht so schnell wieder
los lassen wird. Marie ist verzweifelt, weil Robert sie nicht mehr begehrt.
Auch Reizwäsche und blonde Perücke haben nicht die erwartete Wirkung.
Nach dem Tod von Klaus stürzt Robert immer tiefer in die schizophrene Situation
von Liebe zu Marie und Sex bei Prostituierten. Auch sein Psychiater (Christoph
Waltz) kann ihm letztlich nicht helfen. Sein neues Theaterstück leidet
ebenfalls unter seiner Lebenskrise, zumal eine wichtige Schauspielerin in diesem
Stück (Ingrid van Bergen) selbst so krank wird, dass sie nicht mehr spielen
kann.
Roehler
inszenierte einen Film wie aus dem psychologischen Lehrbuch. Extreme Wutanfälle
Maries, Sex en masse, allerdings ohne Risiko, sich den Vorwurf der Pornographie
einzuheimsen, Schläge Maries gegen Robert, Schreie, und dann wieder Versöhnliches,
ein Selbstmordversuch in der Badewanne mit viel Blut und eine Fehlgeburt – das
alles wird in eine schulmeisterliche Erzählung gepackt, die in Wahrheit
nichts erzählt, die keine Überraschungen parat hat, die so dermaßen
voraussehbar ist, dass man sich als Zuschauer wie ein Hellseher fühlen
darf. Robert ist der typische Fall eines typischen „erwachsenen Kindes“, eines
Mannes, der sich dagegen wehrt wirklich zu lieben, weil er sein Lustempfinden
auf Frauen projiziert, die nicht „rein“ oder unschuldig sind anstatt auf seine
Marie, diesen Engel aus dem Krankenhaus, das Ideal einer idealen Ehefrau, die
alles tun würde, um von Robert (wieder) begehrt zu werden …
…
Und so weiter und so fort.
Und
dann ist es auch noch die Mutter des krebskranken Jungen, den Marie behandelt,
die zugleich die Prostituierte ist, mit der Robert sein Vergnügen hat.
Und die (Eva Habermann) ist HIV positiv, daher auch ihr kleiner Junge, alles
andere kann man sich leicht zusammenreimen.
Fast
jedes amerikanische Drama über Beziehungen ist – trotz oder gerade wegen
Hollywood – ehrlicher und konsequenter als dieser Film. Die Hauptpersonen dienen
den vorgegebenen Gefühlskonstellationen aus dem Lehrbuch, zweites Semester;
sie sind blass, hinterlassen kaum eine Möglichkeit der Identifikation.
Selbst Vadim Glowna, der sich redlich müht, wirkt als todkranker Vater
wie eine Schablone. Christoph Waltz als Analytiker spricht wie vom Tonband,
ebenso wie Nina Petri – banale Botschaften einer zur Trivialität verkommenen
Psychologie.
Der
Grundfehler dieses Films ist, dass Roehler nicht darauf setzt, aus den Personen
selbst Konflikte und Trennungen, Zusammenfügungen und Gefühle zu entwickeln.
Am Anfang stand nicht die Idee zu einer Geschichte, sondern eine Theorie, die
Roehler vertritt: „Männer schaffen Probleme“, sagt er in einem Interview
mit epd Film, „weil sie domestizieren und alles an sich reißen müssen.
Sie haben paranoide Wahrnehmungssysteme entwickelt, in denen sie selbst Gefangene
sind. Die ganze männliche Literatur, die sich mit persönlichen Belangen
beschäftigt, ist voll damit. Man muss sich einfach damit auseinander setzen,
wenn man als Mann über diese Welt schreibt.“ Es steht nicht in erster Linie
zur Diskussion, ob Roehler damit richtig liegt oder nicht. Entscheidend ist,
dass der Film sich von dieser Theorie leiten lässt und damit die Schauspieler
in ihren Rollen zu Marionetten dieser Theorie degradiert. Einzig Marie Bäumer
kann sich diesem analytischen Ghetto, diesem Panic Room, der wie der offene
Vollzug einer psychiatrischen Anstalt wirkt, ab und an entziehen, vor allem
in einer Szene, in der sie von ihrer Fehlgeburt erfährt. Ihre Verzweiflung
und Wut ist zumindest stellenweise glaubwürdig und nicht dermaßen
nach Schema F konstruiert wie der Film insgesamt.
Das
amerikanische Kino der letzten Wochen brachte Filme wie „The
Hours“
und „Far
From Heaven“,
„Adaption“
und „Moonlight Mile“ hervor, die in ihrer ganzen Inszenierung, mit aller vitalen
Wucht und grandiosen schauspielerischen Leistungen von Anfang bis Ende das gerade
Gegenteil zu „Der alte Affe Angst“ dokumentieren: Glaubwürdigkeit, und
emotionale Nähe und die Tiefenschärfe wirklich beobachtender Drehbuchautoren
und Regisseure. Roehler hingegen spinnt seine Männer-Theorie und inszeniert
vor allem falsches Selbstmitleid und nagende Selbstzweifel – und wir sollen
mittun. Nein danke.
Wertung:
3 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen unter dem Autorennamen Posdole
bei: ciao.de
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Kritiken
Der
alte Affe Angst
Deutschland
2003, 92 Minuten
Regie:
Oskar Roehler
Drehbuch:
Oskar Roehler
Musik: Martin Todsharow
Director of Photography: Hagen Bogdanski
Schnitt:
Uli Schön
Produktionsdesign:
Peter Hartwig
Darsteller:
André Hennicke (Robert), Marie Bäumer (Marie), Vadim Glowna (Klaus),
Christoph Waltz (Analytiker), Catherine Fleming (Mutter), Herbert Knaup (Wolfgang),
Nina Petri (Klinikpsychologin), Ralf Bauer (Frauenarzt), Jutta Hoffmann (Maries
Mutter), Hermann Beyer (Maries Vater), Eva Habermann (Prostituierte), Ingrid
van Bergen (Schauspielerin im Theater), Hilde van Mieghem (Brigitte)
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