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Alles
ist erleuchtet
Verlorene Welt
Wenn
ein Amerikaner sich anschickt, einen Film über Osteuropa zu drehen, dann
ruft das nicht weniger Furcht als Interesse hervor. Denn dem amerikanischen
Auge muss die ferne und unbekannte Kultur Osteuropas fremd und eigenartig anmuten,
ein Halbkontinent zwischen verfallenem Reich des Bösen und Dracula-Folklore.
Welch glückliche Fügung, dass der Schauspieler Liev Schreiber bei
seiner ersten Regiearbeit und Romanverfilmung Alles
ist erleuchtet
vor Empathie nur so strotzt.
Alles
ist erleuchtet
ist überwiegend ein phantastisches Roadmovie und spielt in der heutigen
Ukraine. Der amerikanische Autor Jonathan Safran Foer (Elijah Wood), ein kafkaesker
Sammler familienbiographischer Überreste, beschließt nach dem Tod
seiner jüdischen Großeltern, in deren alte Heimat zu reisen. Dort
will er dem Geheimnis einer vergilbten Photographie auf den Grund kommen: Sie
zeigt seinen Großvater mit der Frau, die ihn vor der heranstürmenden
Nazihorde gerettet haben soll. Zusammen mit seinem gewitzten Reiseführer,
dem anglophilen Ukrainer Alex (Eugene Hutz), und dessen seltsamen Großvater
samt Blindenhund führt die Reise durch ein modernes Land, auf den Spuren
einer verlorenen Welt.
Schreiber
geizt nicht mit Szenen, die die postsowjetische Ukraine in ihrer ganzen Schönheit,
Gespaltenheit und auch Wunderlichkeit zeigen. Die Esskultur, die Gewalt im Alltag,
verfallene Sowjetbauten und das weite, fruchtbare Land beeindrucken und verwirren
nicht nur Jonathan; Schreiber fängt Eindrücke eines Landes auf, das
Westeuropäern ebenso fremd sein dürfte. Selten erklärt er, was
es mit dem Gebaren der Ukrainer auf sich hat – gelacht wird trotzdem. Erst im
letzten Drittel des Films wird der Ton ernster, zugleich phantastischer.
In
ihm gelangt die kleine Gruppe an ihr Ziel, zu den traurigen Überresten
des großväterlichen Städteles. Was vom Hunnensturm geblieben
ist: Artefakte, fein säuberlich in Kartons archiviert. Genug für den
amerikanischen Sammler. Zu wenig für andere, um die Zerstörung zu
überleben. In seltener Eindringlichkeit zeigt Alles
ist erleuchtet
nicht nur die Tragödie, die der Holocaust bedeutet, sondern auch den anhaltenden
Schmerz über die klaffende Wunde, die er in das kulturelle Gesicht Europas
gerissen hat. Die Erinnerung kann vielleicht mit Überresten behelfsmäßig
erhalten werden, der Mikrokosmos der Städtelewelt ist jedoch unwiederbringlich
verloren. Das ist die gesuchte Erleuchtung, dreimal in schmerzlich-grellem Leinwandweiß
eingeblendet.
Wie
jeder Film über den Holocaust so bewegt sich auch Alles
ist erleuchtet auf
dem schmalen Grat, den die Ikonographie des Unverfilmbaren bedeutet. Dieses
Mal ist es die PC-Spiel Ästhetik einer zentralen Exekutionsszene, die Unwohlsein
bereitet. In Schnitt und Komposition ist sie leicht mit den X-Box Kinoclips
aus dem anfänglichen Werbeblock zu verwechseln: Digitale Sterilität
auf dem Sprung zum Effektfeuerwerk. Da die Szene aber nur einen kleinen Teil
des Films ausmacht, vor allem in seinen phantastischen Ausklang eingebettet
ist, fällt sie nicht wesentlich ins Gewicht.
Mit
Alles
ist erleuchtet
nähert Schreiber sich der Ukraine mit Humor, ohne das Land stereotyp zu
überzeichnen. Wie en
passant
folgt er letzten Spuren einer zerstörten Kultur und vergreift sich dabei
sehr selten im Ton. So ist es ihm gelungen, den Zauber der Gegenwart mit den
Schmerzen über das Unwiederbringliche zu vereinen.
Thomas Hajduk
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Alles ist erleuchtet
USA 2005 – Originaltitel: Everything
Is Illuminated – Regie: Liev Schreiber – Darsteller: Elijah Wood,
Eugene Hutz, Boris Leskin, Laryssa Lauret, Tereza Veselková, Bert Schneider,
Jana Hrabetová – Prädikat: wertvoll – FSK: ab 12 – Länge: 106 min.
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