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A.I.
– Künstliche Intelligenz
E.T. + 2001 = A.I.
Es
gibt vermutlich nicht allzu viele Filmemacher auf dieser Welt, die es gewagt
hätten, einen Stoff zu verfilmen, den der große, der mehr oder weniger
entrückte Stanley Kubrick erwählt und (in einem immerhin schon 80
Seiten umfassenden Drehbuch-Entwurf) vorbereitet hat. Steven Spielberg kann
sich zugute halten, mit Kubrick schon zu Lebzeiten über das Projekt gesprochen
zu haben. Die Sache ist also nicht so sehr Anmaßung, sondern eine Art
gegenseitiges Geschenk, ein Dialog zwischen zwei sehr unterschiedlichen Künstlern,
zwei sehr unterschiedlichen Arten, die Welt und die Menschen in ihr zu sehen.
Das ist es, was man dem Film ansieht, das ist es, was die Kritiken »A.I.«
schnell vorgeworfen haben, und das ist es, was ihn so faszinierend macht: ein
Film, der nicht nur aus zwei Sichtweisen zusammengesetzt ist, sondern sich den
Bruch zwischen diesen Sichtweisen auch zum Thema und zur ästhetischen Struktur
gewählt hat.
Der
Film geht auf eine Kurzgeschichte von Brian Aldiss zurück, eines Autoren,
der das Genre Science-fiction vor seiner Exekution durch »Star
Wars«
noch einmal in unerwartete ästhetische und philosophische Höhen brachte
wie neben ihm nur Philip K. Dick. Während es bei Dick (wie in »Blade
Runner«,
alias »Do Androids Dream of Electric Sheep?«) um die Gleichzeitigkeit
der verschiedenen menschlichen und maschinellen Lebensformen geht, und der Autor
dabei die Frage nach dem Subjekt stellt (Wird die Maschine der bessere Mensch?),
ist Aldiss eher an einer Geschichte des Menschen und seiner industriellen Nach-Schöpfung
interessiert. Daher stellt seine Kurzgeschichte »Super-Toys Last All Summer
Long« aus dem Jahr 1969 die sehr alte Pinocchio-Frage auf neue Weise.
Wie verhalten sich die Menschen, wenn ihre Maschinen zu fühlen beginnen?
Die Story gibt die Frage einfach an uns weiter. Kubrick erwarb Ende der siebziger
Jahre eine Option auf den Stoff, beauftragte Ian Watson mit der Verfertigung
eines Drehbuches und den Comic-Künstler Fangorn (d.i. Chris Baker) mit
einem ersten Storyboard. Von Beginn an war das Geschehen der lakonischen Short
Story in ein umfassenderes Zeit-Bild gebettet; die Gefühlskälte, auf
die die kleine Emotionsmaschine trifft (in Umkehrung aller Mythen der »weißen«
Science-fiction, in denen die gefühllose Maschine das Emotionswesen Mensch
unterjocht) sollte so sehr Thema werden wie die Einsamkeit des künstlichen
Menschen, der aus einer einzigen Voraussetzung, der Liebe zu konkreten Menschen,
ein schreckliches Bewußtsein von sich und der Welt entwickelt. Ein Kubrick-Thema
par excellence! Fortsetzung und Umkehrung von 2001, Spiegelung von »A
Clockwork Orange«,
mit Reminiszenzen an »Spartacus«
und sogar »The
Shining«.
Die unverschämte Frage, die Kubrick in allen seinen Filmen gestellt hat:
Was geht über den Menschen hinaus, und was kommt danach? Steven Spielberg
hat daraus das düsterste Märchen seiner Werkgeschichte gemacht, und
trotzdem konnte er natürlich die kühle Konsequenz, den schwarzen Nietzscheanismus
Kubricks nicht übernehmen, ohne ihm mit seinen Mitteln zu widersprechen.
Der
Sohn des Ehepaars Swinton liegt im Koma; viel Hoffnung können die Ärzte
nicht machen. Die Firma Cybertronics macht ein sensationelles Angebot: Henry
(Sam Robards) und Monica (Frances O’Connor) sollen den Roboterjungen David (Haley
Joel Osment) als mehr denn ein »Ersatzkind« aufnehmen, eine Maschine,
die so weit entwickelt ist, daß sie wirkliche Gefühle entwickeln
kann. David wird von einem »Liebes-Programm« zu seiner Mutter bestimmt.
Ein Programm, das irreversibel wirkt, wenn es einmal durch eine bestimmte Wortfolge
aktiviert wird. Und Monica, von ihren mütterlichen Gefühlen überwältigt,
spricht die magischen Worte aus. Der erste Schritt des maschinellen Pinocchio
ins Leben ist getan.
Aber
dann wird wider Erwarten der leibliche Sohn wieder gesund, und eigentlich soll
David, nachdem die Rivalität der beiden ungleichen Kinder bedrohliche Situationen
hervorgebracht hat, nun »entsorgt«, verschrottet werden. Das bringt
Monica denn doch nicht fertig. Sie setzt David in einem Wald aus, in dem verstoßene
und geflohene »Mechas« von menschlichen Jägern aufgespürt
werden, um in einer Arena vor einem sadistischen Publikum zerstört zu werden.
David findet in dem männlichen Sexroboter Gigolo Joe (Jude Law) einen Freund
und Begleiter auf seiner Suche nach der blauen Fee aus der Pinocchio-Legende,
die ihm seine »Mutter« vorgelesen hat. Die Suche nach dieser Fee,
die endlich den richtigen Jungen aus ihm machen soll, den seine Mutter wahrhaft
lieben kann, führt ihn zunächst zu seinem Schöpfer, Professor
Hobby (William Hurt), und entsetzt muß David feststellen, daß er
keineswegs einzigartig bleiben sondern endlos repliziert werden soll. Kann ein
Wesen, das nicht einzigartig ist, überhaupt auf Liebe hoffen, und danach
auf das Menschwerden? Der Augenblick, in dem David in den Sintflut-Resten des
Eilands Manhattan zuerst einem Abbild von sich, dann der beginnenden Serienproduktion
gegenüber steht, ist der erschreckendste, der finsterste und kubrickianischste
des Films. Hoffnung im traditionellen Sinn gibt es da weder für die gepeinigte
Seele der kleinen Maschine noch für den Menschen, der sich mit dieser zweiten
Schöpfung selbst ad absurdum geführt hat.
Ein
Happy End ist es nicht, was Steven Spielberg seinem Helden und uns im Epilog
gönnt. Er erklärt nur die Struktur des Märchens, indem er es
auf den Kopf stellt. Wie in »E.T.«
geht es um das Abschiednehmen, von der Kindheit vielleicht und damit von der
Hoffnung, etwas anderes als ein Unmensch zu werden, und wie in »Saving
Private Ryan«
geht es um die Schilderung eines unerträglichen Zustandes und dann um die
Fabel, die ihn nur teilweise erträglicher macht. Beinahe alle Filme von
Steven Spielberg führen an einen Ort, den man am einfachsten als »die
Hölle« beschreiben könnte, und er fragt, wie man denn hier leben
kann, wie man als moralisches Wesen überlebt. Auch David ist so ein Spielberg-Held,
ein kleiner Gerechter in einer ungerechten Welt, ein Wesen, das am Menschsein
näher dran ist als alle »echten« Menschen um ihn herum. Das
war die Hoffnung, sogar in »Schindlers
Liste«,
daß ein Gerechter die ganze Welt retten könnte. In »A.I.«
ist allenfalls die Erinnerung an die Welt zu retten. Der kühle Kubrick
hat, zum Beispiel in "2001",
von einem Wesen geträumt, das nach dem Menschen kommt, eine Wiedergeburt,
das Fortschreiten ohne Trost. Spielberg dagegen entscheidet sich für das
Gegenteil. David, der letzte »Mensch«, muß sterben. Aber er
soll getröstet werden. Schwer zu sagen, in welchem Idiom die radikalste
Verurteilung unseres Lebens in »A.I.« stattfindet, im kubrickianischen
oder im spielbergianischen. Abgesehen davon, daß schon die Brüche
zwischen beiden so weh tun, wie es im richtigen Leben die Brüche zwischen
dem Denken und dem Fühlen manchmal tun. Das ist ein großer, ein verrückter,
ein wahrer Film.
Note:
1-
Georg
Seeßlen
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
mehrere Kritiken.
A.I.
– KÜNSTLICHE INTELLIGENZ – A.I. – Artificial Intelligence
von
Steven Spielberg, USA 2001, 145 Min. mit Haley Joel Osment, Jude Law, Frances
O’Connor, Brendan Gleeson,
Science-fiction-Abenteuer
Start:
13.09.2001
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