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After Life
Vorhof
zum Paradies
Um
nichts geringeres als um den schönsten Moment des Lebens geht es, bzw. um die
Auswahl desselben. Drei Tage lang hat man nach dem Tod für diese schwierige
Aufgabe Zeit, doch wird man damit zum Glück nicht alleine gelassen. Gänzlich
unspektakulär tritt man durch eine Pforte, die die Lebenden von den Toten
trennt, verweilt eine Woche lang in einer Art Schulgebäude, bekommt dort einen
persönlichen Berater zur Seite gestellt und beginnt, sein Leben in besagter Spanne
Revue passieren zu lassen, jenen Moment zu destillieren. Den Rest der Woche
schließlich beschäftigen sich jene Berater mit dem erörtertem Stoff, besorgen
Requisiten, konzipieren eine liebevoll improvisierte Inszenierung und drehen
schließlich, am Ende des Turnus, einen Film aus dieser Erinnerung. Den bekommen
die zwischen den Daseinsebenen Verweilenden dann im Kino gezeigt, werden
schließlich endgültig ins Jenseits entlassen, wo allein jener Film gewordene
Moment größten Glücks in einer Art Loop ihr Bewusstsein erfüllen wird. Am
nächsten Tag dann die nächsten Verstorbenen, eine neue Woche nimmt ihren Lauf.
Andere
hätten dem Stoff ordentlich Sentiment beigefügt, etwas versöhnliche wie
beliebige Lebensweisheit hinzugegeben und das ganze schließlich mit wohlkalkuliertem
Kitsch abgerundet. AFTER LIFE geht glücklicherweise anders vor. Eine Überhöhung
dieser Zwischenstufe zum Jenseits ins Romantische oder Fantastische findet
nicht statt, die Inszenierung ist ganz auf Authentizität bedacht, bedient sich
sogar – etwa wenn die Gestorbenen von ihren Beratern interviewt werden – der
ästhetischen Strategien des Dokumentarfilms. Der Ort des Geschehens, jenes
Schulgebäude, scheint zwar jenseits von Raum und Zeit angesiedelt, liegt aber
dennoch nicht vollkommen jenseits unserer Welt, wirkt weder befremdlich noch
entrückend. Und die Betreuer an der Seite sind keine allwissenden
Engelsgestalten, vielmehr geduldige Dienstleister, Menschen wie Du und ich,
ebenfalls, wie sich herausstellen wird, mit eigenen Biografien und Erinnerungen.
So sanft sie auf die, ja, nennen wir sie doch wirklich so, Kunden einwirken, so
sanft erzählt uns AFTER LIFE seine Geschichte. Oder besser: so sanft plätschert
die, nur auf den ersten Blick, offenbar beliebig unter vielen herausgegriffene
Woche vor sich hin.
"Die
durchschnittlichsten Kunden sind die problematischsten!", hört man jene
Berater am Abend im gegenseitigen Austausch reden. Beide Gruppen, die Betreuer
und die Durchschnittlichen, stehen im Zentrum des Films. Watanabe etwa blickt
auf ein Leben ohne Höhepunkte zurück, verschenkt ans Mediokre, ein freudloser,
angepasster Lebenslauf. Er kann sich, aus Mangel an Möglichkeiten, nicht
entscheiden, sichtet gefrustet einen Stapel von Videokassetten, die sein Leben
peinlich genau dokumentieren. Sieht sich selbst auf dem Bildschirm in
unzähligen Lebenssituationen der Leidenschaftslosigkeit und nennt sein jüngeres
Alter Ego resignierend einen Dummkopf. Ein gerade mal 21jähriger hingegen will
sich gar nicht entscheiden, steckt noch mitten im Saft der Adoleszenz.
Watanabes Betreuer, nach außen hin jung, doch im gleichen Jahr wie Watanabe
geboren, ist ebenfalls unruhig, spürt eine vage biographische Nähe zu dem
unglücklichen alten Mann.
Doch
was sind sie nun, jene schönsten Momente im Leben, die es wert sind, geloopt zu
werden? Kore-Eda überhöht auch hier nicht, bleibt ganz am Boden, wagt die
Banalität und gewinnt. Ein Flug mit der Cessna, eine Fahrt im Schulbus bei
offenem Fenster, der Wind zersaust die Haare, eine Zigarette nach Tagen der Entbehrung
im Krieg, geraucht obendrein in Gefangenschaft, oder, nachdem man tagelang
damit geprahlt hatte, wie viele Frauen man doch genommen habe, dass es ja wohl
auch allein darauf ankomme, die eigene Tochter in die Ehe entlassen. Keine
Lebensweisheiten also, die man als begriffliche Aussagen aufgedrückt bekäme –
suche die Liebe, wage das Unmögliche und dergleichen -, nein, Alltagsfragmente
allenthalben. Kare-Eda wertet diese nicht, moralisiert nicht, er zeigt
lediglich, wenn auch, zugegeben, sehr zärtlich. Vielleicht nimmt man von dem
Film mit, dass es so etwas wie einen universellen Wert im Leben nicht gibt, ein
solcher gar nicht quantifizierbar messbar wäre. Das war’s dann aber auch schon
mit der Moral.
Sieben
Tage bleiben die Menschen in AFTER LIFE in der Schwebe zwischen den Welten,
ganze fünf Jahre hat der Film gebraucht, um seinen Weg in ein paar hiesige,
ausgesuchte Kinos zu finden. Zum Glück hat er es letztendlich doch noch
geschafft, ist AFTER LIFE – neben dem herausragenden 19 (Kazushi Watanabe, 2000)
und dem charmant lakonischen BLESSING BELL (Sabu, 2002) – schließlich wohl
einer der schönsten japanischen Filme der letzten Jahre.
Thomas Groh (22.05.2003)
Diese
Kritik erschien zuerst auf der Website der Zeitschrift F.LM – Texte zum Film (
http://www.f-lm.de ) und wird zudem in der Printausgabe 02|2003 der Zeitschrift
"Splatting Image" ( http://www.splatting-image.com ) ausgewertet.
After Life
Wandafuru
raifu, Japan 1998
Regie/Drehbuch/Schnitt:
Hirokazu Koreeda
Kamera:
Masayoshi Sukita, Yutaka Yamasaki
Musik:
Yashurio Kasamatsu
Darsteller:
Arata, Erika Oda, Susumu Terajima, Takashi Naitô, Kyôko Kagawa, u.a.
Offizielle
Website
http://www.peripherfilm.de/afterlife/index.htm
Internet
Moviedatabase
http://us.imdb.com/Title?0165078
Presseschau
bei angelaufen.de
http://www.angelaufen.de/10.4.03.html#Anchor-Fil-10654
Linkliste
bei filmz.de
http://www.filmz.de/film_2003/after_life/links.htm
Kritikenspiegel
(USA) bei rottentomatoes.com
http://www.rottentomatoes.com/m/AfterLife-1097893/
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