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Actrices
Die Unruhe selbst
Irrungen, Wirrungen einer Theaterschauspielerin:
In "Actrices", ihrem zweiten Film als Regisseurin bringt Valeria Bruni-Tedeschi
Leben und Bühne aufs Tragikomischste durcheinander.
Schauspielerin zu sein ist für
Marcelline (Valeria Bruni-Tedeschi) mehr als ein Job. Und umgekehrt ist ihr
Leben nur ein – von hysterischen Momenten nicht freies – Spiel. Mit einem Wort:
Marcelline laboriert an einem vertrauten Syndrom des Theater- und Schauspielerfilms.
Die eigene Identität wird unklar, die Grenze zwischen Realität und
Imagination verschwimmt. Auf der Bühne, weil Marcelline, indem sie spielt,
nicht nur mit der Figur, sondern auch mit sich selbst konfrontiert ist und deshalb
nicht nur über die Figur, sondern auch über sich selbst viel erfährt.
Und Widerstände entwickelt, gegen die Figur – hier: Natalja Petrowna aus
Turgenjews "Ein Monat auf dem Lande" – , gegen sich selbst, gegen
den Regisseur (Mathieu Amalric), der ihr abverlangt, Kleider zu tragen, die
ihr (als Privatperson) nicht stehen. Und im Leben, wo Marcelline in eine existenzielle
Krise gerät, weil sie vierzig wird und unter einer dominanten Mutter (gespielt,
auch das noch, von Bruni-Tedeschis richtiger Mutter Marisa Borini) leidet, keine
feste Beziehung hat und keine eigene Familie. Es kommt so weit, dass ihr nicht
nur ihr Vater (Maurice Garrel) erscheint, der tot ist, sondern auch Natalja
Petrowna, die es nie gab.
Übertragungen, wohin man
sieht. Der junge Darsteller verliebt sich in Natalja Petrowna bzw. in Marcelline,
die hier wie so oft nicht weiß, wie ihr geschieht. Was sie tut, mit wem
sie spricht, wohin sie geht: Sie ist die Unruhe selbst. Zum Ausgleich geht sie
schwimmen, aber auch da gibt es immerzu Gegenverkehr. Marcelline ist eine Frau
auf dem Weg zum Nervenzusammenbruch, eine Verwandte zu ungefähr gleichen
Teilen der Myrtle aus John Cassavetes’ Theaterfilmklassiker "Opening
Night"
und der Nathalie aus "Oublie moi", die Bruni-Tedeschi einst selbst
gespielt hat. Unter der Regie übrigens von Noemie Lvovsky, die nun in "Actrices
… oder Der Traum aus der Nacht davor" unter dem Figurennamen Nathalie
die wichtigste Nebenrolle spielt – fast wäre es eine zweite Hauptrolle,
könnte es neben jemandem wie Marcelline etwas anderes als Nebenrollen geben.
Nathalie ist zunächst eine Art Gegenmodell zur Exzentrikerin Marcelline,
sie hat nicht die Karriere, sondern die Familie gewählt, ist Mutter, in
einer festen Beziehung – allerdings kommt diese Stabilität, kaum ist Nathalie
in die Einflusssphäre Marcellines (oder des Theaters) geraten, schnell
arg ins Wanken. Und Marcelline gibt, ohne zu wissen warum, aber zu allem entschlossen,
Nathalies Kind die Brust.
"Actrices" erzählt
aus dem Leben Marcellines. Viel von den Proben, auf denen die Unsicherheit mal
für mal ihren Ausdruck findet, etwa wenn sie auf der Bühne vor einer
Tür steht und sich partout nicht entscheiden kann, ob sie sie nun mit der
linken oder der rechten Hand öffnen soll. (Am Ende tritt sie sie ein.)
Viel aus dem Leben, in dem sie zur Jungfrau Maria betet und tags darauf nimmt
sie ihr Gebet wieder zurück. "Actrices" ist, auch wenn es vielleicht
nicht so klingt, eine Komödie, allerdings eine, die das, worüber sie
lachen lässt, nicht zu leicht nimmt. Man lacht, weil es immer noch besser
ist, all die Irrungen, Wirrungen lustig zu finden als sie sich zu sehr zu Herzen
zu nehmen. Man lacht, um die Tragödie, die jederzeit möglich scheint,
abzuwenden. Und weil der Film allerlei Durcheinander in Herz und Verstand seiner
Figuren zulässt, ist er zwar einerseits selbst ein bisschen sprunghaft,
aber eben darum auch so springlebendig, dass es eine Lust ist. Und wenn Marcelline
dann am Ende tatsächlich springt, von einer Brücke in einen Fluss,
dann ist das auch wieder etwas anderes als das, wonach es aussieht.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: www.perlentaucher.de
Zu diesem Film gibt es im archiv der
filmzentrale mehrere Texte
Actrices
… oder der Traum aus der Nacht davor
Frankreich 2007 – Originaltitel: Le rêve de la nuit d’avant – Regie: Valeria Bruni Tedeschi – Darsteller: Valeria Bruni Tedeschi, Louis Garrel, Noémie Lvovsky, Valeria Golino, Mathieu Amalric, Maurice Garrel, Marisa Borini – FSK: ab 6 – Länge: 107 min. – Start: 17.4.2008
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