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A Cock and Bull Story

 

Wenn die Postmoderne zweimal klingelt

 

Der Gedanke hinter Michael Winterbottoms neuem Film war mal wieder superklug: Warum nicht eine Verfilmung von “Tristram Shandy” wagen, die keine Verfilmung von “Tristram Shandy” ist? Das klingt erstmal paradox, ist bei näherer Betrachtung aber durchaus folgerichtig, schließlich ist Laurence Sternes Roman „The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman“ auch kein Roman über Tristram Shandy, eher eine seltsame Kuriosität in der Literaturgeschichte – ein postmodernes Meisterwerk aus dem späten 18. Jahrhundert, also aus einer Zeit, wie Steve Coogan es ganz richtig bemerkt, „when there wasn’t even a modernism to be post about“. Inhaltlich handelt es sich bei diesem Buch um eine Art burlesker „Warten auf Godot“-Variante, in der der Titelheld bei aller Plauderei über die Umstände seiner Geburt, seinen Vater Walter, seinen Onkel Toby und diverse andere Verwandte und Bekannte auf über 800 Seiten nicht dazu kommt, auch nur ein Sterbenswörtchen über das eigentliche Thema des Romans zu verlieren: sein eigenes Leben. Berüchtigt sind auch Sternes für die damalige Zeit revolutionäre typographische Spielereien wie einige Absätze, die nur aus Punkten und Strichen bestehen, oder die berühmte schwarze Seite. Ein postmodernes Schlüsselbuch also, ein Nicht-Roman, wie geschaffen für eine postmoderne Nicht-Verfilmung.

 

Nun ist das ja so eine Sache mit den Grundgedanken von Winterbottom-Filmen – die sind immer superklug. Nur manchmal taugen sie einfach nicht für einen auch ansatzweise brauchbaren Film: „Ich dreh mal ein Low-Budget-Flüchtlingsdrama über afghanische Flüchtlinge“ hörte sich völlig irre an, hat aber funktioniert. „Ich verfilme Tony Wilsons Leben als hyperreflexives Dokudrama mit einem Egomanen in der Hauptrolle“ hätte eigentlich scheitern müssen, wäre nur die Wahl des Egomanen nicht so brillant ausgefallen. „Ich dreh mal ein Winter-Western-Melodram“ erschien zweifelhaft, stellte sich aber als begnadet schön heraus. „Ich zeige Menschen beim Geschlechtsakt und schneide ein paar Rocksongs dazu“ erschien anfangs durchaus reizvoll, war aber leider ein filmisches Desaster. Man sollte dem Mann angesichts dieser Erfahrungsvielfalt verzeihen, dass seine Instinkte ein wenig ausgependelt sind, und ihm statt dessen grundsätzlich danken für die aberwitzigen Projekte, die er verwirklicht. Mutige europäische Regisseure kann man heutzutage ja an einer Hand abzählen.

 

Wie also ist Winterbottom dieses Mal die Verwirklichung seines Wahnsinnstraums gelungen? Faszinierend, aber durchwachsen. Im ersten Teil des Films, als man eine immer wieder unterbrochene, improvisierte und selbstreflexive, aber doch ansatzweise stringente Verfilmung einiger „Tristram Shandy“-Teilstücke sieht, geht das Konzept erstaunlich gut auf. Vielleicht zu gut. Zu unterhaltsam sind Steve Coogan als hektischer Vater, und Rob Brydon als wehmütiger Onkel, die über große Schlachten und hochtrabende Pläne für den Neugeborenen sprechen, während die Frau des Hauses sich im oberen Zimmer die Seele aus dem Leib schreit, weil sie ein Kind kriegt, die Hebamme ausgeknockt ist und der Doktor sich mit den Shandy-Brüdern gerade auf eine Diskussion über die ästhetische Qualität von Geburtswerkzeug eingelassen hat. Die charmante, aber sinnlose Quatscherei über Nebensächlichkeiten, während der eigentliche Existenzgrund völlig vergessen wird – in diesen Minuten spielt die Verfilmung kongenial mit der Vorlage, sich selbst und allem anderen auch.

 

Schwieriger wird es dann, wenn der Film sich in der zweiten Hälfte zunehmend auf die vermeintliche Realität der Dreharbeiten konzentriert. Nicht nur hätte man gerne mehr vom Roman verfilmt gesehen (bei diesem ausufernden Sujet kommt sogar der Gedanke an eine surreale Fernsehserie auf), paradoxerweise wirkt die Realität leider deutlich unglaubwürdiger als die Fiktion. Da läuft zum Beispiel Kelly Macdonald herum, als Steve Coogans Baby tragende Freundin Jenny. Nun hat Macdonald aber nicht nur ein unverwechselbares Gesicht, sondern in den letzten Jahren mit Robert Altman, Danny Boyle, Mike Figgis, Marc Foster und Ridley Scott gedreht: Sie eignet sich also herzlich wenig als angeblich reale Mockumentary-Figur. Auch Darstellerinnen wie Elizabeth Berrington als Kostümbildnerin oder Ashley Jensen als Coogans Agentin sind einfach schon zu bekannt aus den bitteren Realfarcen von Ricky Gervais und Stephen Merchant, als dass man sie unvoreingenommen in ihren neuen Rollen akzeptieren könnte.

 

Gottseidank finden sich auch in dieser „realen“ Welt einige so schreiend klischierte Figuren, dass sich alle Fremdscham bald in so etwas wie ein chaotisches, surreales Mitgefühl verwandelt. Die Episode beispielsweise, in der sich Coogan aus Gründen des Method Actings eine heiße Walnuss in die Unterhose stecken lässt, nachdem er vorher mehrere vergebliche Versuche unternommen hat, ein solches Gefühl zu schauspielern, kommt ganz ohne den Fäkalhumor aus, den die Situation anscheinend fordert und wird statt dessen zu einem kleinen Slapstick-Juwel. Auch die Improvisationen zwischen Brydon und Coogan über die textliche und physische Größe ihrer jeweiligen Rollen sind durchaus drollig mitanzusehen. Trotzdem: Die bezaubernden Cameos von Stephen Fry und Gillian Anderson bleiben uneingelöste Versprechen auf durchaus reizvolle Seitenstränge des Romans, die scheinbar ohne Not dem postmodernen Konzept der Meta-Ebene geopfert wurden. Und allgemein war der Versuch, auf einem ähnlich hohen Niveau wie Laurence Sterne von der Sinnlosigkeit jeglicher Erzählung zu erzählen, von Beginn an zum Scheitern verurteilt – wenn er auch auf sehr hohem und nicht selten unterhaltsamem Niveau scheitert. Es war also mal wieder eine wirklich gute Grundidee von Winterbottom, aber wer hätte es gedacht: ausgerechnet diese Verfilmung hätte erheblich mehr Werktreue gebracht, um wirkliche Brillanz zu erreichen.

 

Daniel Bickermann

 

 

A Cock and Bull Story

GB 2005. R: Michael Winterbottom. B: Frank Cottrell Boyce. K: Marcel Zyskind. S: Peter Christelis. M: Edward Nogira. P: BBC Film, Revolution, u.a. D: Steve Coogan, Rob Brydon, Kelly Macdonald, Stephen Fry, Gillian Anderson u.a. 94 Min.

 

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