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Accordion
Tribe
Auch Musikinstrumente unterliegen dem Auf und Ab von Modewellen.
Das Akkordeon zum Beispiel, 1822 in Wien als „Ziehharmonika“ erfunden, trat
bald den weltweiten Siegeszug an bei denen, die sich – privat – ein echtes
Klavier oder – als Tanzlokal – eine Band nicht leisten konnten. In den USA wurde
das Instrument so populär, dass riesige Akkordeonorchester sich selbst
an Stücke wie Beethovens Fünfte oder Komponisten wie Bartok heranwagten.
Zu der Zeit wurde auch der 1947 in einem pennsylvanischen Bergwerksstädtchen
geborene Guy Klucevsek groß, dessen Musikleben von den Polkaabenden der
slowenischen Immigranten bestimmt war. Mit acht begann Klucevsek, Akkordeon
zu lernen, mit 14 spielte er in seiner eigenen Band. Bald begann sich seine
Leidenschaft für das populäre Instrument mit dem Interesse an den
innovativen Musikentwicklungen der Gegenwart zu verbinden. Doch in der Öffentlichkeit
war das Akkordeon Ende der siebziger Jahre als vermeintliches Schrammelkitschinstrument
völlig out.
Klucevsek blieb seinem Instrument treu: So trug er jahrzehntelang
den unerfüllten Wunsch mit sich herum, einmal mit einem ganzen Akkordeon-Ensemble
auf der Bühne zu stehen. 1996, Astor Piazzolla und die „Weltmusik“ hatten
das verpönte Instrument wieder konzertfähig gemacht, war es endlich
soweit. Mit vier weltweit renommierten Instrumentalisten stellte Klucevsek seine
einmalige Tourneetruppe zusammen, den „Accordion Tribe“: drei Männer und
eine Frau, die alle auch selbst auf dem Instrument komponieren.
2002, als der „Accordion Tribe“ zum zweiten Mal auf Tournee
ging, war auch der Schweizer Filmemacher Stefan Schwietert mit von der Partie,
der schon mit zwei anderen Musikfilmen (A Tickle in the Heart und El Acordeon
del Diablo) einem größeren Publikum bekannt war und vor zwei Jahren
auch das Alphorn mit einer Dokumentation in der Filmgeschichte verewigt hatte.
Schwietert kennt sich also aus im Metier, und er komponiert seinen
neuen Film selbst wie eine Jam Session. Zwischen Konzertmitschnitten, Busfahrten
und Hotelzimmern werden die einzelnen Musiker der – außer dem Amerikaner
Klucevsek – europaweit zusammengewürfelten Truppe in kleinen
Soloauftritten vorgestellt, die auch an ihre Heimatorte führen: Der romantische
Schwede Lars Hollmer, der in seinem eigenen Studio in Uppsala auch Film- und
Theatermusik produziert. Maria Kalaniemi, die finnische Folkmusik an der Akademie
studiert hat und doch kein bisschen akademisch klingt. Der Slowene Bratko Bibic,
dessen „Begnograd“-Truppe noch zu jugoslawischen Zeiten zu einer Kultband wurde.
Und der blinde Otto Lechner aus Wien, der jahrelang mit dem Kabarettisten Josef
Hader auf der Bühne stand und nicht nur mit virtuoser Improvisationslust,
sondern auch mit seinem melancholischen Humor verführt.
Alle Musiker sind den Volksmusiktraditionen ihrer Heimatländer
verbunden, wenn auch mit teils durchaus kritischer Distanz. Alle widmen sich
– wenn auch in sehr unterschiedlicher Form – mit Leidenschaft den Grenzüberschreitungen
zwischen verschiedenen Musiktraditionen: Folk und Jazz, Klassik und Moderne.
Denn erst auf den Reisewegen von einer Welt in die andere saugt die Musik die
Energien ein, die sie zum selbstständigen Weiterleben braucht. Dabei ist
der aus der Perspektive von Stammesgründer Klucevsek erzählte Film
selbst nach klassisch beobachtender Manier – mit kurzen eingestreuten Gesprächssequenzen
– gedreht und geschnitten, wobei das außertourneemusikalische Leben der
Protagonisten klugerweise auf ein Minimum reduziert ist, der musikalischen Substanz
des Projekts dafür umso mehr Raum gegeben wird. So vermittelt Accordion
Tribe mit erhellenden Einblicken in die Praxis neben der individuellen Spielfreude
auch höchst sinnlich die beglückende Erfahrung kollektiver künstlerischer
Zusammenarbeit. Nicht nur die journalistische Einzelkämpferin dürfte
da neidisch werden.
Silvia
Hallensleben
Nur
Stämme werden überleben: Der Musikfilmer aus der Schweiz ist anhand
des Akkordeon-Projekts von Guy Klucevsek eine ebenso erhellende wie mitreißende
Reflexion über Kunst und Kollektiv gelungen.
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd Film 4/2005
Accordion
Tribe
Schweiz/Österreich
2004. R und B: Stefan Schwietert. P: Cornelia Seitler, Brigitte Hofer. K: Wolfgang
Lehner. Sch: Stefan Krumbiegel. T: Hans Künzl, Jürg von Allmen. Pg:
Maximage/Fischer Film/SF/ ORF/DRS. V: Ventura. L: 87 Min. Mit: Guy Klucevsek,
Lars Hollmer, Maria Kalaniemi, Bratko Bibic, Otto Lechner.
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