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About
Schmidt
Alexander
Paynes neuer Film heißt nicht umsonst „Über Schmidt“ und nicht „Schmidt“.
Warum? „About Schmidt“ ist der (gelungene) Versuch einer Annäherung an
ein soziales Milieu, nicht nur, aber vor allem an eine Person aus diesem Milieu:
an Warren Schmidt. Jack Nicholson spielt diesen Warren Schmidt, und er spielt
ihn – in einer ungewöhnlichen Rolle für Nicholson selbst –, als wenn
er nie etwas anderes gespielt hätte, als wenn er Warren Schmidt wäre
– kaum wiederzuerkennen. Warren ist 66 Jahre alt, 42 Jahre verheiratet und wird
in den Ruhestand versetzt. Macht das einen Unterschied zu seinem bisherigen
Leben? Ja und nein. Warrens Leben war auch bisher im Ruhestand, und trotzdem
ändert sich einiges nach der Abschiedsfeier seiner Kolleginnen und Kollegen
aus dem Versicherungskonzern, in dem Schmidt ein – wie man so schön sagt
– „hohes Tier“ war. Sein Kollege und Freund Ray (Len Cariou) scheint doch Recht
zu haben, als er in einer Dankesrede darauf hinweist, dass es nicht die Pension
oder die soziale Sicherung seien, die die Bedeutung im Leben eines Menschen
ausmachen, sondern die Arbeit für eine Firma wie die Woodman Versicherungsgesellschaft.
Punktum. Mehr abwesend und gelangweilt nimmt Warren die Lobeshymnen entgegen,
und verschwindet an der Bar des Hotels, um seine Frustration in Alkohol zu ertränken.
Warren weiß genau, was er von solchen Reden und vor allem denen seines
agilen, jungen Nachfolgers bei Woodman zu halten hat: nichts.
In
seinem Eigenheim lebt Schmidt seit Jahrzehnten mit seiner Frau Helen (June Squibb),
die ihm verbietet, im Stehen zu pinkeln, und ihn ermahnt, sich nicht herumzutreiben.
Helen ist es auch, die auf den Kauf eines monströsen Wohnmobils gedrängt
hat. Helen hat genaue Vorstellungen über den Ruhestand: Mit dem Wohnmobil
reisen. Ein Frühstück im neu erworbenen Zweitheim soll Warren auf
Touren bringen. Doch der fragt sich jede Nacht im Bett, wer das eigentlich ist,
diese alte Frau, die da neben ihm liegt. Und dann ist Helen plötzlich tot.
Gerade noch hat Warren einen Brief zur Post gebracht, an Ndugu, einen kleinen
Jungen irgendwo in Tansania, den er monatlich mit einem Scheck über 22
Dollar unterstützt. Warren wird Pate von Ndugu und schreibt ihm Briefe,
Briefe über sich selbst, ohne darüber nachzudenken, ob Ndugu davon
überhaupt etwas versteht. Als er von der Post zurückkehrt, liegt Helen
tot in der Wohnung, den Staubsauger neben sich, der noch läuft. Beerdigung.
Die Tochter Jeannie (Hope Davis) kommt mit ihrem Freund Randall (Dermot Mulroney),
einem Wasserbettverkäufer mit Fu-Manchu-Bart, Glatze und einem Rest von
langen Haaren, ein Schwiegersohn in spe, den Warren auf den Tod nicht ausstehen
kann. Ray ist entsetzt, alle anderen sind entsetzt über den Tod Helens,
die ja so gut war, so herzlich. Eben wie alle einmal waren, wenn sie gestorben
sind.
Warren
ist allein. Und er wird nicht fertig mit seinem Alltag, Helen kocht nicht mehr,
räumt nicht mehr auf, putzt nicht mehr. Das Haus wird zur Müllkippe.
Als Warren dann auch noch Liebesbriefe Rays an Helen entdeckt, die beide vor
25 Jahren ein Verhältnis miteinander hatten, gerät er außer
sich, fängt Ray ab, lässt seine Wut an ihm aus – und steigt in sein
Wohnmobil, um – bevor er zur Hochzeit seiner Tochter fährt – einige Stationen
seines früheren Lebens aufzusuchen. Dann kommt er an, bei Jeannie, versucht
sie davon zu überzeugen, dass es ein Fehler sei, diesen Randall zu heiraten,
den er für ein Kamel hält. Aber Jeannie reagiert nur erbost über
die Versuche ihres Vaters, der sich auch bisher für ihr Leben nicht sonderlich
interessiert hat…
Die
Geschichte um diesen Warren Schmidt hätte auch anders ausgehen können
– nämlich mit einem Ende, das sich vom Anfang nicht einen Millimeter, eine
Qualität, einen Funken, einen Deut unterscheidet. Warren hatte im Fernsehen
die Werbung einer Hilfsorganisation gesehen, die um Spenden für Kinder
in Afrika bat, Patenschaften. Er entschloss sich, eine monatliche Überweisung
in Auftrag zu geben. Warum? Warrens Entschluss, dies zu tun, war mehr eine unbewusste,
spontane Tat als eine Überzeugungshandlung. Am Schluss des Films erweist
sie sich als der kleine, feine und doch so enorme Unterschied, der seinem Leben
möglicherweise noch eine Wendung geben wird.
Payne
versucht sich einem Milieu anzunähern, nicht einem sozialen Milieu im Sinne
einer klar umrissenen ökonomisch und kulturell definierten Struktur, eher
einem Milieu in Form einer Lebens-Weise – relativ, wenn auch nicht völlig
unabhängig von Einkommen und sozialer Herkunft. Nicholsons Schmidt steht
im Zentrum dieses Milieus, aber nicht einzig und allein auf weiter Flur. Es
ist ein durch Verhaltens-, Kommunikationsstrukturen und Lebensart relativ deutlich
umrissenes Milieu, in dem – wie Schmidt selbst erkennt – Bedeutungslosigkeit,
Hilflosigkeit, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit zu zentralen Momenten des
Alltags geworden sind – nicht als singuläre Momente einzelner Situationen,
sondern als Strukturmerkmale. Der Begriff „kleinbürgerlich“ würde
dieses Milieu nur unzureichend umschreiben. Warum kennt Warren seine Frau nicht,
die da neben ihm im Bett liegt? Weil er sie nie gekannt hat und auch wirklich
nie kennen lernen wollte, weil er nie auf die Idee gekommen ist, sie kennen
zu lernen. Warren wie die Menschen in seiner Umgebung bewegen sich durchs Leben
wie fleisch- und seelenlose Gespenster, die sich letztlich nichts zu sagen haben,
die dieses Leben nur führen können, indem sie die Lüge zum Inhalt
dessen machen, was sie über andere sagen. Das, was Schmidt wirklich denkt,
behält er für sich. Aber selbst das, was er anderen verschweigt, ist
zu weiten Teilen dem Milieu der Bedeutungslosigkeit verhaftet, weil es nur in
seinem Innern existiert. Schmidt lässt seinen Gefühlen nur sporadisch
freien Lauf. Ausnahme nicht Regel.
Am
Ende erkennt er, dass sein Freund Ray Unrecht hatte, als er auf der betrieblichen
Abschiedsfeier von der Bedeutung der Aufopferung für die Firma gesprochen
hatte. Erst als es um seine Tochter geht, um ihre Heirat mit Randall, spürt
Warren – zu spät –, dass Jeannie durch diese Ehe möglicherweise in
dasselbe Fahrwasser des Lebens gerät wie er selbst. Warren schwebt durch
ein Leben als trauriger, verzweifelter, ängstlicher Mensch. Als ihm dies
eine Frau, die er auf einem Parkplatz für Wohnmobile kennen lernt, sagt,
versucht er, ihr allzu nahe zu treten. Sie ist entsetzt, schmeißt ihn
hinaus. Sie erkennt nicht, dass dies Warrens verquere Reaktion auf jemanden
ist, der ihn „erkannt“ hat, was wiederum heißt, dass er jemandem für
einen kurzen Moment etwas bedeutet. Dann wird er wieder zurückgeworfen
in seine Welt. Warren befindet sich in einem permanenten Abwehrkampf gegen die
Menschen und Objekte in seiner Umgebung.
Als
er des nachts mit einem Wasserbett nicht zurecht kommt und einen steifen Hals
bekommt, versorgt ihn Roberta mit heißer Brühe. Dabei erzählt
sie ihm, dass Jeannie und Randall sicher ein glückliches Paar würden.
Sie würden sich verstehen, und im Bett würde es bei beiden auch wunderbar
klappen. Das würde sie immer wieder zusammenführen. Diese „Weisheiten“
löffelt Roberta in ihn hinein. Auf Warrens Gesicht macht sich Panik und
Angst breit. Es sind die alten Lügen seines Lebens, die er eingetrichtert
bekommt, die zudem Robertas Sehnsucht nach Sex mehr zum Ausdruck bringen als
irgendwelche Wahrheiten über die Beziehung zwischen Jeannie und Randall.
Der Egoismus dieser von Kathy Bates grandios gespielten Roberta macht andererseits
deutlich, dass Warrens Egoismus mehr Selbstverteidigung als egozentrische Manie
ist. Er will eigentlich (!) für andere da sein, er will eigentlich (!)
anderen etwas bedeuten, aber er kann dies am Ende seines Lebens „nur“ gegenüber
einem Menschen, den er nicht kennt, dem kleinen Ndugu irgendwo in Tansania.
„About
Schmidt“ hat viele humorvolle Szenen. Aber der Film ist keine Komödie.
Er zeigt die tragische Geschichte eines Mannes ohne Eigenschaften, ohne Positionierung,
ohne Orientierung, wobei es Jack Nicholson – von dem man eine derartige Rolle
nicht gewohnt ist – gelingt, diese Tragik nicht in strapaziöser Übertreibung
aufgehen zu lassen. Der Humor nicht nur Nicholsons wirkt gerade in „About Schmidt“
als Korrektiv für die Tragik. Der Film lässt Dinge bewusst offen,
etwa, ob die Beziehung zwischen Randall und Jeannie im gleichen Fahrwasser endet
wie die Ehe ihres Vaters. Ein Film, von dessen Geschichte man lernen kann, ohne
dass die Inszenierung lehrhaft wirken würde.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei CIAO.com
About
Schmidt
[About
Schmidt] USA 2002
Start:
27.02.2003
Verleih:
Warner
Laufzeit:
124
FSK:
12
Drehbuch:
Alexander Payne, Jim Taylor
Regie:
Alexander Payne
Darsteller:
Jack Nicholson, Hope Davis, Dermot Mulroney, June Squibb, Kathy Bates, Howard
Hesseman, Len Cariou, James Crawley, Cheryl Hamada, Tung Ha
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