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Ab
durch die Hecke
Chipstüte
der Pandora
Mit „Ab durch die Hecke“ gelingt den Dreamworks-Animatoren
ein neuer rasanter Zeichentrickfilm.
Amerikanischen Waschbären bekommt die Zivilisation
schlecht. US-Studien belegen, dass die gestreiften Allesfresser vom Junkfood
Magenprobleme, Gelenkschäden und Karies bekommen. Groß budgetierte
Zeichentrickfilme aus Hollywood thematisieren Fehlernährung und Vitaminmangel
natürlich ungern, schließlich will keine Produktionsfirma die Kollegen
von der Hamburger-Industrie düpieren oder übergewichtigen Filmzuschauern
ihre Familienpackung Schokoriegel abspenstig machen.
Insofern geht das computeranimierte Abenteuer „Ab
durch die Hecke“ erstaunlich weit in seiner Konsumkritik, wenn es den Waschbären
Richie beim Öffnen einer zuvor platt gedrückten Chipstüte zeigt:
Aus dieser Büchse der Pandora explodiert ein salziger Teilchensturm, dass
sich die Bäume biegen, dann fegt die Chipsfontäne senkrecht in den
Äther und wächst als Atompilz aus dem blauen Erdenrund. Ein böser
Gag aus der Weltraumperspektive, der nur derart übertrieben wirkt, dass
den Kids beim Lachen wohl kaum das überzuckerte Popcorn im Halse stecken
bleiben wird.
Ohnehin plagen Zeichentrickwaschbär Richie andere
Probleme als seine realen Artgenossen. Er schlägt sich mit einem Problembären
herum. Das kommt so: Gentleman-Gauner und Fassadenkletterer Richie dringt in
die Höhle eines schlafenden Braunbären ein, klaut ihm einen mit Leckereien
vollgepackten Einkaufswagen unter der Schnarchnase weg und muss kurz darauf
mit ansehen, wie das gesammelte Naschwerk von einem Lkw überrollt wird.
Der despotische Bär verdonnert Richie zum Schadenersatz.
Ein Spiel auf Zeit beginnt, das der kleine Freibeuter
nie und nimmer allein gewinnen kann. Also muss er eine Gesellschaft von zivilisationsunerfahrenen
Waldtieren dazu bringen, mit ihm auf Diebestour zu gehen, um ein neues Lebensmittelpaket
für den Braunbären zu schnüren.
„Gemeinsam sind wir stärker“, lautet – einmal
mehr – die Botschaft dieses Animationsfeuerwerks aus dem Hause Dreamworks. Im
Mittelpunkt steht eine sympathisch-verrückte Patchworkfamilie, angeführt
von einer Schildkröte, bestehend aus Opossums, Igeln, einem Eichhörnchen
und einer kapriziösen Stinktierdame. Der bunt gewürfelte Haufen macht
es sich winters in einem hohlen Baumstamm gemütlich, bricht im Frühling
gemeinschaftlich zur Nahrungssuche auf – und entstammt ursprünglich einem
Zeitungscomic. Die bissig-lakonischen Strips aus der Feder von Michael Fry und
T. Lewis, die das Leben in amerikanischen Vororten karikieren, ließen
sich jedoch schwer für das abendfüllende Format adaptieren.
Also erzählt „Ab durch die Hecke“ die Vorgeschichte
der wunderbaren Freundschaft zwischen Verne, der Schildkröte, und Richie,
dem Waschbären. Geschildert wird, wie Einzelgänger Richie die unbedarfte
Forstbrigade auf Kräckerkrümel und Geschmacksverstärker scharf
macht und so ihre kriminelle Energie zu wecken weiß, wie der Waschbär
selbst im Gegenzug Freundschaft und Solidarität zu schätzen lernt
und sich am Ende von Raffgier und Egoismus verabschiedet. Die animierte Fassung
bietet im Vergleich zu den Bildergeschichten mehr moralischen Zeigefinger und
weniger satirischen Fingerzeig.
Gezähmt wirken zudem die Figuren, weil sie allesamt
aufs Kindchenschema getrimmt sind. Diesen Look waren Zuschauer bisher eher von
Dreamworks’ Konkurrenzfirma Pixar gewöhnt, einem Disney-Ableger. Vielleicht
liegt’s an der Produzentin Bonnie Arnold, die für den ersten voll computeranimierten
Spielfilm „Toy Story“ (1995) für Pixar verantwortlich zeichnete. Für
„Over the Hedge“ (so der Originaltitel) hat Arnold die Firma gewechselt. Nach
kontrastreich schillernden Trick-Ensembles in „Shrek
2“, „Große Haie – kleine Fische“
und zuletzt „Madagascar“ zeichnet sich mit dem neuesten Computerstreich von
Dreamworks hoffentlich keine Kehrtwende zur Normierung des rechnererzeugten
Personals ab. Auch hinsichtlich der Gesamtausstattung wünschte man dem
aktuellen Film etwas mehr „Whack Factor“, wie die Macher von „Madagascar“ ihre
leicht windschiefen Designs nannten, die am dynamischen Zeichenstil des berühmt-berüchtigten
Trickpioniers Tex Avery orientiert waren.
Ähnlich wie „Madagascar“ handelt „Ab durch die
Hecke“ vom Zusammenprall von Natur und Kultur. Während Richie nämlich
hüben wie drüben herumstromert und damit nirgendwo richtig zu Hause
ist, haben die von ihm erkorenen Helfershelfer keine Ahnung von der Vorortsiedlung,
die sich während nur einer Winterschlafsaison (!) in den Waldrand gefressen
hat. Das gewaltige Konstrukt der trennenden Hecke starren Verne und Kollegen
an, wie die Affen in Kubricks „2001“ den schwarzen Monolithen bestaunen. Richie hält
einen Kurzvortrag zum Thema „Menschen“ („Wir essen, um zu leben – sie leben,
um zu essen“), bringt die Führungsrolle der skeptischen Schildkröte
ins Wanken und manövriert die Geschichte in die Richtung eines Big-Caper-Movies
im Stil von „Rififi“ und „Ocean’s Eleven“. Nur geht es nicht um bare Münze,
sondern um Nacho-Snacks mit Käsekruste, „Kartoffelettis“ und Schokoladenkekse.
Als „Tresor“ bietet sich die Speisekammer der Vorsitzenden
des Eigenheimbewohnerverbandes an, einer Riesin und Tierphobikerin namens Gladys
Sharp, die vom blassen Äußeren her kaum an berühmte Disney-Schurkinnen
wie Cruella DeVil oder Madame Medusa heranreicht. Dafür ist ihre Seele
noch schwärzer. Gladys’ Stratege im Krieg gegen die Tierplage ist Dwayne,
ein fettleibiger Tierfallenspezialist, der die Grenzverletzungen durch Richie
und Co. dazu nutzt, seinen High-Tech-Maschinenpark auszubauen.
Während sich Grübler Verne, der Charlie
Brown der Waldgesellschaft, lieber in seinen Schildkrötenpanzer verkriechen
möchte, laufen die tierischen Teilzeitgangster während ihrer Diebestouren
nach Suburbia zur komischen Hochform auf: Opossum Ozzie rührt mit Shakespeare-Todesszenen
zu Lachtränen, Skunk Stella brilliert als Undercover-Stinktier im Katzendamen-Outfit,
in dem sie Nachbars Perserkater ablenken soll. Der verzüchtete Pascha verknallt
sich prompt in Stella. Er kann sie nämlich nicht riechen.
Zum Publikumsliebling dürfte Hammy gekürt
werden, das hyperaktive Eichhörnchen. Der Klettermax mit Konzentrationsdefizit
erinnert zwar ein bisschen sehr an die einschlägige Nagerkonkurrenz aus
„Ice Age“, ist aber neben dem Waschbären die stärkste Figur: In diesem
grimassierenden Wirbelwind aus Fell potenzieren sich die verblüffenden
Möglichkeiten moderner Computeranimation. Die raffinierte CGI-Technik sorgt
auch für einen spektakulären Showdown: Superhörnchen Hammy kann
seine Freunde nur noch mit dem beherzten Sprung in die Lichtgeschwindigkeit
retten, denn die militante Tierhasserin hat ihren Garten schließlich mit
einem lasergesteuerten „Todesstreifen“ aufgerüstet, als müsste sie
die Phalanx des internationalen Terrorismus abwehren. Dieser Zweck heiligt bekanntlich
alle Mittel.
Gleich diversen Vorbildern aus der Hochpolitik gibt
Gladys Sharp ihrem Vollstrecker Carte blanche für das, was getan werden
muss, „selbst wenn ich damit die Genfer Konvention verletzen würde“, wie
die wutschnaubende Verbandsvorsitzende unumwunden zugibt. Ist die Hecke am Schluss
zu einer Art Hochsicherheitszaun ausgewachsen, lässt sich das durchaus
als Kommentar zur aktuellen Diskussion um illegale Einwanderer und Grenzsicherung
im Süden der USA lesen. Denkt man die Parallele weiter, kann man es allerdings
fragwürdig finden, dass die „Illegalen“ am Ende des Films genau wissen,
auf welcher Seite der Mauer ihr Platz ist.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: Rheinischer Merkur
Ab
durch die Hecke
USA
2006 – Originaltitel: Over the Hedge – Regie: Tim Johnson, Kary Kirkpatrick
– Darsteller: (Stimmen) Ralf Schmitz, Götz Otto, Jeanette Biedermann, Bernhard
Hoëcker – Prädikat: besonders wertvoll – FSK: ohne Altersbeschränkung
– Länge: 83 min. – Start: 6.7.2006
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