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Abbitte
"Atonement"
von Joe Wright eröffnet Venedig
Cristina Nord besucht die Mostra. Das Drama von
Schuld im sommerlichen Müßiggang überzeugt sie nicht
Der Eröffnungsfilm, "Atonement" von
Joe Wright, versucht sich als eierlegende Wollmilchsau. Er will verführerisch
sein, indem er die Reize Keira Knightleys auskostet, er will Intrigen spinnen
und dabei die Gefühlsabgründe einer Familie ausleuchten, er will historische
Bedeutsamkeit gewinnen, indem er die Schlachtfelder des Zweiten Weltkriegs abschreitet,
er will ein bisschen Action, und er will mit aller Macht in tragischer Verwicklung
schwelgen. Mit dem Ergebnis, dass nichts zu seinem Recht kommt – die Eier schmecken
nach Fischmehl, die Milch ist sauer, die Wolle kratzt, und das Schnitzel will
nicht auf der Zunge zergehen.
Zu Grunde liegt "Atonement" der gleichnamige
Roman des britischen Schriftstellers Ian McEwan, unter dem Titel "Abbitte"
ins Deutsche übersetzt. Im Zentrum steht eine tiefe Schuld. Die 13 Jahre
alte Briony Tallis (Saoirse Ronan) lädt sie auf sich, als sie am Ende eines
langen, heißen Sommertages den Geliebten ihrer älteren Schwester
Cecilia (Keira Knightley) einer Vergewaltigung bezichtigt, die er nicht begangen
hat. Ort der Handlung ist ein stattliches Anwesen, umgeben von gepflegten Gärten,
von Teichen, Brunnen und Seen, Zeit der Handlung ist das Jahr 1935. Cecilia
und Briony sind Töchter des Landherren,
Robbie, der Geliebte (James McAvoy), ist Sohn des Hausmeisters.
In seiner ersten Stunde bleibt "Atonement"
diesem Handlungs- und Zeitrahmen treu – und ist hier am ehesten bei sich, in
den Bildern der sattgrünen Wiesen, Gärten und Haine, im Zeitkolorit
der Badeanzüge, Sommersakkos und Abendroben, in den holzgetäfelten
Gängen und blumenreich tapezierten Zimmern des Herrenhauses. Nach und nach
malt Wright den sommerlichen Müßiggang aus und darunter, in einer
zweiten Schicht, die Eifersucht der jungen, fantasiebegabten Briony sowie die
Verliebtheit der älteren Cecilia, die sich erst zögerlich, dann aber
mit Begeisterung über den Klassenunterschied hinwegsetzt.
Der Film erlaubt sich hier eine hübsche Pointe:
Robbie setzt zwei Briefe an Cecilia auf. Im ersten benutzt er liebevoll und
träumend das Wort "cunt" (Fotze). Im zweiten entschuldigt er
sich für eine Unziemlichkeit. Natürlich soll der zweite Brief Cecilia
erreichen, doch den ersten hält sie in den Händen. Das schafft für
einen Augenblick viel Glück und richtet wenig später großes
Unheil an.
Nicht nur für die Figuren, auch für den
Film. Denn kaum wird Robbie verhaftet – in einer von zahlreichen Spielfilmen
benutzten und dementsprechend ausgelaugten Geste drückt ein Polizist seinen
Kopf nach unten, gestattet ihm einen letzten Blick zurück und zwingt ihn
dann ins Innere des Polizeiautos -, verliert Wrights Film Rhythmus und Stil.
Einstellungen auf eine Eule, eine Kröte oder Close-ups auf die Wunden verletzter
Soldaten suggerieren Bedeutung, sind aber nicht mehr als Dekor. Der Soundtrack,
der auf dem Geräusch einer mechanischen Schreibmaschine aufbaut, wird immer
penetranter. Eine Einstellung auf die Leichen von Schulmädchen, in einem
nordfranzösischen Apfelhain drapiert, treibt die Tendenz zum Schwelgen
in Versehrung auf eine hässliche Spitze. Und die Zeitsprünge – von
1935 über die Kriegsjahre in die Gegenwart und zurück – stiften bemüht
Unruhe.
Am Ende beichtet die nun von Vanessa Redgrave gespielte,
zur Erfolgsautorin gewordene Briony dem Moderator einer Literatursendung das
Geheimnis ihres Lebens. Man muss schon an Fernsehbeichten glauben, um "Atonment"
bis hierhin zu folgen.
Cristina Nord
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der taz vom 30.8.2007
Abbitte
Großbritannien 2007 – Originaltitel: Atonement – Regie: Joe Wright – Darsteller: Keira Knightley, James McAvoy, Romola Garai, Vanessa Redgrave, Patrick Kennedy, Benedict Cumberbatch – Prädikat: wertvoll – FSK: ab 12 – Länge: 123 min. – Start: 8.11.2007
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