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66
Sommer und ein Bad
Eindrucksvoll und
ausdrucksstark
Die prekäre Frage, wie man
mit Personen umgeht, die eine „schwierige Vergangenheit“ zu durchleben hatten,
beantworten sich viele Dokumentarfilmer selbst, indem sie sich sterile Samthandschuhe
anziehen und die menschlichen Gegenstände ihrer filmischen Elaborate wie
die zerbrechlichen Exponate eines Museums behandeln. Eine eventuell zu verspürende
Lebensfreude würde dabei den Plan konterkarieren, zum Einen deprimierte
und auf ewig gezeichnete Schicksale auszustellen und damit zum Anderen beim
Zuschauer tiefe Betroffenheit zu säen, die sich aber schlimmstenfalls nur
als Symptom der Befriedigung eines verkappten elendstouristischen Bedarfs herausstellt.
Dass aber diese sicherlich wertvollen
Zeitzeugen auch Individuen sind, für die der Spaß am Leben selbstverständlich
sein kann, der uns nicht überraschen und schon gar nicht enttäuschen
sollte, das wird zu selten deutlich. Regisseur Peter Kerekes wählt einen
anderen Weg, indem er die genretypische Distanz zu seinen Protagonisten überwindet
und sozusagen per Du mit ihnen ist. Genauso aber löst er den Abstand zum Publikum
auf und lässt es teilhaben am Entstehungsprozess des improvisierten Filmes,
traut ihm sogar an einer Stelle mit scheinbarer Ironie, aber in
concreto doch ernsthaft, selbstständige Einsichtgewinnung
zu und lässt seine Rezipienten eben nicht nur auf mundgerecht Verabreichtes
anspringen („Darauf sollen die Zuschauer selbst kommen.“).
Die Nivellierung der Kriegserfahrungen,
ihre unprivilegierte Einordnung in eine Reihe mit den übrigen Erlebnissen
seiner betagten Hauptdarsteller, könnte als Relativierung bzw. Verharmlosung
des Krieges missverstanden werden, artikuliert aber vielmehr, dass eben der
Krieg nicht alles ist. Kerekes stellt zwar Fragen, schreibt aber nicht vor,
was den höchsten Stellenwert haben sollte, sondern lässt seine oftmals
kauzigen und launischen „Mitarbeiter“ erzählen. Und sie berichten mit Melancholie,
aber ohne Lamoyanz von jugendlichen Albernheiten, der großen Liebe, übers
Erwachsen- und Altwerden und eben auch vom Elend des Zweiten Weltkriegs. Das
geschieht aber nicht in dämmerbelichteten, klinisch einwandfreien und abgeschotteten
Räumen, sondern an warmen Sommertagen inmitten einer lebendigen und pulsierenden
Gesellschaft in dem 1936 erbauten Kosicer Freibad, dessen Bestehen sich zu Drehbeginn
zum 66. Mal jährte.
Kerekes hangelt sich dabei nicht
an einem festgelegten Drehbuch entlang, er überlässt es, das Skript,
sich selbst, indem er seine Gesprächspartner in spontanen und manchmal
auch provokanten Einstellungen mit Situationen ihrer Vergangenheit konfrontiert
und damit bei ihnen Assoziationen weckt, die auch die Passivsten aus der Reserve
locken und redselig werden lassen. Das besondere dabei ist, dass er sich ganz
auf sein Fingerspitzengefühl verlässt und auf die Anleitung einer
Pietätsfibel verzichtet, die vielleicht lieb gemeintes Mitleid vorschreibt,
das aber eigentlich nur unehrlich und aufgesetzt wirken und nach Abreise des
Drehteams ohnehin keinem mehr weiterhelfen würde.
Von einem Drehteam zu sprechen,
wäre in diesem Fall aber fast schon zuviel. Drehtrupp wäre zutreffender,
denn an der tatsächlichen Produktion sind neben Peter Kerekes (Regie, Drehbuch)
nur noch Martin Kollár (Kamera), Marek Sulík (Schnitt) und Marek
Piacek (Musik) beteiligt, die ihre handwerkliche Klasse im Einfangen und der
kinematographischen Verarbeitung von Eindrücken nachweisen und dem Film
so ein dem inhaltlichen Gehalt angemessenes Gewand verpassen. Die ausgefeilte
Konstitution der Bilder zu einem Zusammenspiel von Archivmaterial, auf Archivmateriallook
getrimmten aktuellen Aufnahmen und ebensolchen erfüllt in „66 Sommer…“
aber keinen ästhetischen Selbstzweck, sie dient in erster Linie der filmischen
Immersion, dem, um im Bild des Filmes zu bleiben, Abtauchen des Zuschauers in
den Mikrokosmos eines ostslowakischen Schwimmbads, in dem sich die Grundprinzipien
menschlichen Daseins und Zusammenlebens studieren lassen. Hier wird dem Betrachter
die Vergänglichkeit des einzelnen Lebens und im Kontrast dazu die verhältnismäßige
Ewigkeit allen Lebens gegenwärtig. Alles bewegt sich in einem Kreislauf.
Wo schon Generationen gebadet und gelebt haben, werden noch Generationen baden
und leben. Alles wiederholt sich oder bleibt bestehen. Wenn man den Erzählenden
Glauben schenken darf, sind selbst das Balzverhalten und die gegengeschlechtlichen
Anforderungsprofile über Jahrzehnte hinweg weitgehend konstant geblieben.
Kurzum: „66 Sommer und ein Bad“
ist eine sensible Dokumentation mit subtilem Humor, die Publikum und Protagonisten
mehr respektiert als ein Gutteil der übrigen Gattungsvertreter.
Erik Pfeiffer
66
Sommer und ein Bad
66
SEZON
Slowakei
2003
86
min. – Erstaufführung: 11.7.2004 ORF
Regie:
Peter Kerekes
Buch:
Peter Kerekes
Kamera:
Martin Kollár
Schnitt:
Marek Sulík
Musik:
Marek Piacek
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