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5×2 – Fünf mal Zwei

 

Schon in der Anfangssequenz schafft es Ozon, die Zuschauererwartungen zu unterlaufen: Wer die bisherigen Filme des Franzosen kennt, der hat zwar wohl nicht wirklich mit einer romantischen Liebesgeschichte gerechnet, aber das umschlungene Paar auf dem Plakat lässt doch einen anderen Beginn erwarten als diesen. Das Büro des Notars, der die Scheidung vollzieht – das Ehepaar Marion (Valeria Bruni-Tedeschi) und Gilles (Stéphane Freiss) kurz vor ihrer endgültigen Trennung. Der Notar liest den Text der Scheidung laut vor, langsam ist das und qualvoll. In den Gesichtern der Hauptdarsteller spiegelt sich die Erinnerung an vergangene Verletzungen. Ihr gemeinsamer Sohn wird angesprochen, das Sorgerecht, Alimente – nach diesem Beginn weiß man, dass einen kein Wohlfühlfilm erwartet. Die Schauspieler mussten beim Vorsprechen für 5×2 eine Sequenz aus Bergmans Szenen einer Ehe spielen, und der Einfluss Bergmans ist zu Beginn unverkennbar: Der enge Raum, in dem sie sitzen, die Eheleute, die schweigen und gerade im Schweigen aggressiv wirken, die gleichzeitige Unsicherheit ob der Trennung, das kurze Zögern vor der Unterschrift unter die Scheidungspapiere – der Blick zum Anderen, hat er schon unterschrieben? – Ozon inszeniert nicht weniger intensiv als seine Vorbilder.

 

Ein anderes Vorbild ist, wie immer bei Ozon, Fassbinder. Dessen jugendlicher Blick auf die scheiternde Beziehung eines Paares in dem Theaterstück Tropfen auf heiße Steine habe ihn gereizt, erzählt Ozon, und nachdem er Tropfen auf heiße Steine bereits vor Jahren kongenial verfilmt hat, erzählt er nun in 5×2 erneut die Geschichte einer Trennung. Der Beginn ist dabei das Ende, die Scheidung ist das erste von fünf Segmenten aus dem Leben des Paares, die man zu sehen bekommt – in chronologisch umgekehrter Reihenfolge. Das Ende des Films kann so zu einer Art Happy End werden, trotz der bösen Trennung, die der Film den Protagonisten schon zu Beginn auferlegt, denn das Ende des Films erzählt vom Kennenlernen der Beiden. Dazwischen liegen ein Essen mit Freunden, die Geburt ihres Kindes, die Hochzeit, und doch sind all die Dialoge, all die Blicke zwischen Gilles und Marion – sogar die vermeintlich ganz unschuldigen zu Beginn ihrer Beziehung – belastet durch das vorgezeichnete Schicksal. Ein Kunstgriff, den Ozon da vormacht, denn so gelingt es ihm, den Zuschauer dazu zu verführen, jeder Geste mit misstrauischem Blick zu begegnen, auch den ehrlich liebevollen – man weiß schließlich, wie die Liebe endet.

 

Er habe mit den fünf Segmenten seines Filmes fünf Strömungen der Filmgeschichte nachempfinden wollen, sagt der Regisseur – vom intimen psychologischen Kammerspiel der Scheidungssequenz bis zur Leichtigkeit der Sommerfilme Rohmers, die den Beginn der kurzen Ehe begleitet. Ozon liebt das Kino, ganz offensichtlich, er liebt es, seine Figuren auf der Leinwand zu erforschen, ihnen zuzusehen und seinen Charakteren scharfe Konturen zu verleihen. Ozon nutzt die Zitatenwut der Postmoderne auf seine eigene Art – in Swimming Pool lauerte Hitchcock hinter vielen Ecken, Fassbinder und Sirk machten sich in Tropfen auf heiße Steine und 8 Frauen deutlich bemerkbar – und trotzdem ist es Ozon jedes Mal gelungen, mit eigener Handschrift zu schreiben. Und auch seine ‘fünf mal zwei’ – seine fünf Episoden einer scheiternden Zweisamkeit sind geprägt von den Motiven, die er immer wieder aufnimmt: Das Wasser etwa, der Blick auf die Weite des Ozeans und die beiden frisch Verliebten, die in der grandiosen Schlusseinstellung ins Meer hinaus schwimmen – der gefährlichen Strömung zum Trotz -, es taucht so oder ähnlich in beinah allen Filmen Ozons auf. Der Regisseur verwebt die Erinnerung an die Filmgeschichte mit der an seine eigenen bisherigen Filme. Sein letzter, Swimming Pool, war verspielt, mit 5×2 kehrt der Regisseur zur Ernsthaftigkeit von Sous le Sable zurück – auch in ihm hat er von einem Paar erzählt, einem, das es nicht mehr gab. Dort ist der Mann alleine ins Meer gegangen und hat seine Frau – die wunderbare Charlotte Rampling – allein zurück gelassen. So wird 5×2 auf merkwürdige Art zu einem Gegenstück von Sous le sable: Vom Zerfall eines Paares wird in 5×2 zurück erzählt bis zur Geburt eines "Wir" im Meer – Unter dem Sand hat das langsame Loslassen vom Paar-Dasein erzählt, nach dem Verschwinden des Einen. Die Bewegung zurück, die Geste, eine Geschichte vom Ende her aufzurollen, sie ist somit eine Umkehrung nicht nur irgendeiner Geschichte, sondern auch die Umkehrung einer Geschichte, die Ozon schon einmal erzählt hat. Hoffentlich erzählt er sie noch öfter, seine Geschichte, denn es macht in jeder Variation wieder Spaß, einem der größten Regisseure, die momentan in Europa am Wirken sind, zuzusehen.

 

Benjamin Happel

 

Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:  filmkritiken.org

 

5×2 – Fünf mal Zwei

Frankreich 2004 – Originaltitel: 5×2 – Regie: François Ozon – Darsteller: Valeria Bruni-Tedeschi, Stéphane Freiss, Géraldine Pailhas, Françoise Fabian, Michael Lonsdale, Antoine Chappey, Marc Ruchmann, Jason Tavassoli, Jean-Pol Brissart – Länge: 90 min. – Start: 21.10.2004

 

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