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4
Monate, 3 Wochen und 2 Tage
Fortgesetzte
Seitwärtsbewegung
Mit fließender und vibrierender Kamera evoziert Cristian Mungius Palmen-Gewinner "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage" das spätkommunistische Rumänien des Jahres 1987.
Wir sind am Anfang gleich mittendrin.
Frauen in einem Zimmer, ein Waschsaal, Duschen, Besorgungen, Zigarettenknappheit,
Gespräche auf Gängen. Cristian Mungius Film "4 Monate, 3 Wochen
und 2 Tage" ist wie ein Fluss, in den man als Zuschauer geworfen wird.
Man weiß, dass er vorher floss, dass er hinterher fließen wird,
man schwimmt eine Weile mit, versteht erst wenig, dann mehr. Die Dinge klären
sich im Verlauf. Die Trübnis der Szenerie, die Knappheit der Dinge, die
Heimlichkeit des Tuns werden sich, was man sieht und spürt, ohne dass es
gesagt werden muss, als spätkommunistisch erweisen. Es ist das Jahr 1987.
Wir begreifen, dass Otilia (Anamaria Marinca) und Gabita (Laura Vasiliu) die
Hauptfiguren sind, dass es ihre Geschichte ist, die schon losgegangen sein wird,
wenn wir sie zu sehen beginnen, dass es ihre Geschichte ist, die hier, fließend,
erzählt wird. Und wir fließen, der Kamera – der großartigen,
an kein Stativ gebundenen, auf keine Schienen gesetzten, immer instabilen Handkamera
von Oleg Mutu – folgend, mit.
Und so verharren wir auch mit der Kamera
auf minutenlangen starren Einstellungen, die aber, anders als man es von starren
Einstellungen annehmen sollte, nichts stillstellen, die selbst so wenig austariert
sind wie der Mann, der die Kamera trägt. Sie sind auch nicht als Tableaus
komponiert, sondern unfertig, vorläufig, wie vorübergehend da hingestellt.
Der Enge, der Trübnis, dem Elend, der Starre einer grauen Gesellschaft
stellt Cristian Mungiu das Fließende seines Erzählens, das lebendige
Zittern seiner Bilder entgegen – was mit dem falschen Authentizitätsgefuchtel
des Dogma-Stils wirklich rein gar nichts zu tun hat. So kommt in der fabelhaftesten
Szene des Films beides zusammen, soziale Klaustrophobie und das Ethos eines
Widerstands: Otilia beim Geburtstagsfest der Mutter ihres Freundes, eingeklemmt
zwischen Fremden am Tisch, aufgehalten, abgelenkt. Ein starres, aber dynamisches
Bild, von Kräften des Wegwollens, Davondrängens und Nicht-Aushaltens
durchzogen. Es geht nicht um die Rahmung, sondern um das fortgesetzte Blicken,
das immerzu aktiv bleibt. Das Gegenteil eines analytisch stillstellenden Medusen-Blicks.
Ein aktiver Blick, der aktiviert, was er zeigt, ein Blick, der belebt auch da,
wo er verharrt. Dies kann nur gelingen, weil dieser Blick auf Darstellerinnen
und Darsteller trifft, die diesen Modellierungen gewachsen sind. Was am Spiel
insbesondere Anamaria Marincas fasziniert, ist die souveräne Aufwandslosigkeit,
mit der sie sich durch die von der Kamera geschaffenen Raum-Zeit-Kontinuen bewegt.
Die Geschichte, die "4 Monate,3 Wochen, 2 Tage" erzählt, ist "eigentlich"
Gabitas Geschichte, nur erzählt der Film sie aus Otilias Perspektive. Allerdings
ist gerade das die Pointe, denn die Konvention genau dieser Unterscheidung –
ihre Geschichte, nicht ihre Geschichte – unterläuft der Film. Er will fließen,
er will dem Fließenden des gelebten Lebens sich nähern und sucht
darum, obwohl er sie, ohne viel auszulassen, erzählt, nicht eigentlich
die Geschichte. Er lässt sie, obwohl sie in seinem Zentrum steht, links
liegen, er sucht nicht die Geschichtenform, sondern die fortgesetzte Seitwärtsbewegung,
eine periphere Perspektive, das Weiter und nicht die Pointe, das Detail und
nicht die Peripetie, er sucht und findet mit einem Wort Abweichungschancen vom
Geschichtenförmigen. Der Film ist darin Cristi Puius "The Death of
Mr. Lazarescu" dermaßen ähnlich und noch den verwandten Erzählweisen
im Weltkino – es wäre vor allem an die Brüder Dardenne zu denken –
so unähnlich, dass man schon auf die Idee kommen kann, hier die Eigenart
einer rumänischen "Nouvelle Vague" zu erkennen.
Welche Geschichte in "4 Monate, 3
Wochen, 2 Tage" mit all den genannten Vorbehalten dann doch zu finden ist,
ist dabei natürlich alles andere als egal. Gabita ist schwanger und will
das Kind nicht austragen. Abtreibung ist im Rumänien des Jahrs 1987 verboten,
also lässt sie sich aufs Risiko eines illegalen Abbruchs ein – mit einem
ihr unbekannten Arzt, in einem schmuddeligen Hotel. Das geht erst einmal furchtbar
schief. Wir sehen die Ohnmacht der Schwangeren, wir erleben die Solidarität
ihrer Freundin. Der Film erspart uns explizite Bilder mancher Ereignisse. (Mungiu
beweist auf diese Art einen Takt, den Ulrich Seidl in "Import/Export" nachdrücklich verweigert;
eigentümlicher Weise haben sie aber beide recht.) Umso schockierender der
Moment, in dem der tote Fötus zu sehen ist, als einziges Ausrufezeichen
dieses sonst auf ein Vibrieren und Fließen und Gleiten setzenden Films.
Darin aber, wie er dies Ausrufezeichen mit scheinbarer Seelenruhe setzt, wird
die Souveränität Cristian Mungius exemplarisch sichtbar.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
am 21.11.2007. im www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage
4 luni, 3 saptamani si 2 zile
Rumänien 2007. R und B: Cristian Mungiu. P: Oleg Mutu, Cristian Mungiu.
K: Oleg Mutu. Sch: Dana Bunescu. T: Titi Fleancu, Dana Bunescu, Cristian Tarnovetchi. A: Mihaela Poenaru. Ko: Dana Estrate. Pg: Mobra/Saga.
V: Concorde. L: 113 Min. Da: Anamaria Marinca (Otilia), Laura Vasiliu (Gabita),
Vlad Ivanov (Domnu Bebe), Alex Potocean (Adi), Luminita Gheorghiu (Adis Mutter), Adi Carauleanu (Adis Vater).
Dt. Start: 22.11.2007
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