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42plus

Ist Sabine Derflingers „42plus“ offensichtlichstes Symptom einer Überproduktionskrise des deutschsprachigen Films, die immer öfter Filme ins Kino spült, die bestenfalls als Fernsehspiel-Konfektion für einen gepflegten Montag- oder Mittwochabend taugen? Oder doch ein cleverer Zielgruppenfilm für die gealterte Arthouse-Klientel, die sich ihre Midlife-Crisis hier von Claudia Michelsen, Ulrich Tukur und Tobias Moretti vorspielen lässt?

 

Die Geschichte, die „42plus“ erzählt, ist so klischeehaft, dass es schmerzt. Christine ist eine attraktive, erfolgreiche TV-Talkerin, ihr Ehemann Georg ist ein vielbeschäftigter Arzt. Tochter Sonjas Sexualität ist gerade erwacht, weshalb sie sich für den gemeinsamen Italienurlaub so einiges vorgenommen hat. Die Ehe von Christine und Georg verläuft routiniert; längst haben beide Partner Liebhaber, was kaum noch verheimlicht wird. Als Christine bei der Ankunft in ihrem luxuriösen Ferienhaus einen jungen Mann in ihrem Bett antrifft, reagiert sie amüsiert und souverän – auch als Tamaz herausfordernd beginnt, mit ihr zu flirten. Später, am Strand, wird sie dem jungen Mann erneut begegnen, und er wird anfangen, ihr ein Versprechen zu sein. Währenddessen geht Tochter Sonja zielorientiert ihrer Wege, was die Eltern etwas unruhig macht.

 

In jeder Einstellung, in jedem Dialog von „42plus“ ist die Ambition der Regisseurin spürbar, einen Rahmen zu schaffen, der die Figuren und Konflikte skizziert, aber, bitteschön, bloß nicht auf die triviale Art wie bei Rosamunde Pilcher. Leider wirkt das Resultat auf triviale Weise ambitioniert: Die Figuren quälen sich durch theaterhaft-papierne Dialoge, die immer klarmachen, dass die Worte zugleich etwas Abstrakteres über die Figur aussagen sollen. Dasselbe gilt für den Rest der Inszenierung: Wenn Georg sich im Urlaub altmodische Rockmusik in den CD-Player schiebt, weiß man sofort, dass diese Aktion seine Schwierigkeiten mit dem Altern, sein nostalgisches Verhältnis zur vergangenen Jugend bezeichnen soll. Christine mag eine erfolgreiche Medienfrau sein; im Urlaub ist sie nur noch attrative Frau, deren intellektueller Habitus offensichtlich am Flughafen abgegeben werden konnte. Szene für Szene, Satz für Satz verdichtet Derflinger ein thesenhaftes Szenario, das eher an einen Versuchsaufbau denn an einen Film erinnert.

 

Auf die Exposition folgt selbstredend die Krise: Natürlich lässt sich Christine auf ein Techtelmechtel mit Tamaz ein, natürlich taucht just in diesem Moment Christines Liebhaber Martin mit seiner ältlichen Frau Linda auf. Tobias Moretti gibt Martin als bornierten Ausbund an Machismo und schmieriger Selbstgefälligkeit. Es ist klar, dass es hier um die Differenz zwischen Georg und Martin gehen soll, aber leider bleibt völlig unverständlich, warum eine Frau wie Christine sich mit einem Widerling wie Martin eingelassen haben soll. Das „männliche Spektrum“, das „42plus“ auffächert, wird durch einen einheimischen Gastronomen, der ein paar mediterrane Lebensweisheiten beisteuern darf, den selbstbewussten Tamaz und durch Sonjas Freund gewissermaßen vervollständigt. Während also Claudia Michelsen Christines Abenteuerlust mit geradezu rücksichtsloser Intensität gestaltet (ihre darstellerische Leistung lohnt allein das Eintrittsgeld), implodiert das kunstvoll drapierte Beziehungsgefüge unter südlicher Sonne. Schließlich werden Christine und Georg ihre Beziehung unter neu ausgehandelten Bedingungen fortsetzen.

 

Im Presseheft läuft das auf die Pointe „Miteinander lebendig bleiben“ hinaus. Dort spricht Sabine Derflinger auch von ihren Intentionen und konstruiert ihrem Film einen Kontext, der fassungslos macht. Sie will eine Nähe von „42plus“ zu Rossellinis „Viaggio in Italia“ (fd 3 882) erkennen, zu Filmen wie „Baise-moi“ (fd 34 542) oder „Intimacy“ (fd 34 894). Der „Grauschleier der Enttäuschung“ über das eigene Leben, den die mittelalten Gutsituierten mehr oder weniger empfinden, wird durch die Sexualität, „den letzten animalischen Rest in uns“, zerrissen. So formuliert es Derflinger im Presseheft, und genau so sieht „42plus“ auch aus: Jeder Satz eine These, die dann möglichst theaterhaft pointiert in Szene gesetzt wurde. Nicht einmal das Unterstellen eines ironischen Blickes auf die Lebenslügen des Bürgertums hilft, dazu ist der Film zu mimetisch. Mit Rossellinis Freiheit in der Inszenierung hat das Resultat so wenig zu tun wie mit der Radikalität von „Intimacy“ oder „Baise-moi“. Schade allein um die darstellerischen Leistungen, die hier der konventionellen und kaum überraschenden Didaktik geopfert worden sind.

 

 

Ulrich Kriest

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst

 

42plus

Österreich 2007 – Regie: Sabine Derflinger – Darsteller: Claudia Michelsen, Ulrich Tukur, Petra Morzé, Tobias Moretti, Vanessa Krüger, Jacob Matschenz, Ugo Conti, Mario Giordano, Miriam Fiordeponti, Stefanie Dvorak – FSK: ab 12 – Länge: 95 min. – Start: 24.7.2008

 

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