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39,90
(Neununddreißigneunzig)
Joghurtwerbung
und Softporno
Mit seinem Roman "39,90" wollte
Frédéric Beigbeder die Werbebranche kritisieren. Leider wurde
die Verfilmung des Bestsellers selbst ein langer Werbeclip.
Der iranische Filmemacher Abbas Kiarostami
hat einmal gesagt, sein reduziertes, einfaches, klares Kino sei ein Mittel,
sich die Augen zu spülen, nachdem man zu viel kommerzielles Kino geguckt
hat. Das ist arrogant und macht es sich mit der Teilung der Kinowelt in eine
gute, schlichte, unabhängige Hälfte und eine böse, spektakuläre,
hyperkommerzielle Hälfte allzu einfach. Und doch gibt es Augenblicke im
Leben eines Kinogängers, in denen die Verzweiflung groß ist und er
sich nach Kiarostamis Augenspülung sehnt.
Im Fall von Jan Kounens Bestsellerverfilmung
"39,90 – Neununddreißigneunzig" zum Beispiel. Der Film hat das
gleichnamige, vor acht Jahren erschienene Buch von Frédéric Beigbeder
zur Vorlage; die titelgebende Ziffer entspricht dem D-Mark-Preis des Buches.
"39,90 – Neununddreißigneunzig" will mit der Werbebranche abrechnen;
die Perspektive ist die eines enorm erfolgreichen, aber im Ausstieg begriffenen
Werbetexters. Der Mann heißt Octave Parango und wird im Film außer
in einer Szene am Anfang, in der Frédéric Beigbeder dem Protagonisten
kurz sein Gesicht leiht und dadurch zwei, drei hübsche Vexierbilder hervorruft,
von Jean Dujardin gespielt.
Die Figur, so die Prämisse des Films,
leidet, weil sie der Mechanismen der Branche umso überdrüssiger wird,
je erfolgreicher sie sie beherrscht. Wer sich in die Werbung begibt, kommt darin
um. Doch eben diese Prämisse bleibt Kounens Film äußerlich.
Was man in der schnellen, bunten, lauten Folge der Szenen sieht, erzählt
etwas anderes: Parango verzweifelt, weil er zu viele Drogen nimmt und weil er
die narzisstische Kränkung nicht erträgt, dass seine Freundin ihn
verlässt, nachdem er auf ihre Eröffnung, sie sei schwanger, wie ein
Riesenarschloch reagiert hat. Mit der Werbebranche und ihren Verführungsleistungen
hat das nur insofern zu tun, als Parango in der Agentur genug Geld verdient,
um für seinen flamboyanten Lebensstil aufzukommen.
Was viel mehr mit der Werbebranche und
ihren Verführungskünsten zu tun hat, sind der Look und der Sound des
Films. Jan Kounen hat selber Werbefilme unter anderem für die Pariser Agentur
Saachi & Saachi gedreht, und so nimmt es nicht wunder, dass "39,90
– Neununddreißigneunzig" unentwegt das in Szene setzt, wogegen er
sich zu stemmen behauptet. Der Film ist eine 104 Minuten währende Abfolge
von Clips: rasante Autofahrten, spektakuläre Ansichten des regennassen,
nächtlichen Paris, Visionen vom Paradies mit Sandstrand und türkisfarbenem
Wasser, bildschöne Frauen, coole männliche Helden, rauschhafte Partys.
Solche Bilderwelten zielen frontal auf die Sehnsucht nach Glück, nach Abenteuer
und Leidenschaft, aber auch nach Geborgenheit und Heimat. Dieser Dauerappell
an basale Wünsche und Bedürfnisse ist schwer auszuhalten, zumal das
Gegenteil der makellosen Bilder, die auf hässlich getrimmte Antiwerbung,
keinen Ausweg verspricht. "39,90 – Neununddreißigneunzig" kokettiert
in einigen Sequenzen damit, wenn etwa aus einem sauberen, an Hausfrauen adressierten
Spot für Joghurt ein krissliger Softporno wird. Was der Film dabei vergisst:
Die Werbung hat kein Problem, sich einzuverleiben, was schmutzig und anstößig
ist. Im Gegenteil, wo sie sich als Antiwerbung aufführt, ist sie meist
umso wirkungsvoller.
"39,90 – Neununddreißigneunzig"
erinnert an Hans Weingartners "Free
Rainer – Dein Fernseher lügt".
Beide Filme wollen Medien der Manipulation entlarven, es fehlen ihnen aber die
Werkzeuge, zu erkunden, wie Verführung und Manipulation funktionieren.
Genauso wenig haben sie die Instrumente, die es ihnen ermöglichten, die
eigene Position, mithin den festen Willen zum Entlarven, zu reflektieren. Stattdessen
manipulieren sie selbst, wo immer sie können. Kounens Film ist wie der
Hamster, den der Held in einer Szene mit Koks einstäubt. Das Tier rennt
und rennt in seinem Rad, die Geschwindigkeit wird immer irrwitziger, fast löst
sich das Rad aus der Halterung. Am Ende der Szene geschieht, was man befürchten
musste. Der Hamster liegt totensteif auf dem Boden des Käfigs. Doch seltsam:
Es tut einem nicht mal mehr leid um ihn.
Cristina Nord
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der: taz vom 31.7.08
39,90
(Neununddreißigneunzig)
Frankreich
2007 – Originaltitel: 99 francs – Regie: Jan Kounen – Darsteller: Jean Dujardin,
Vahina Giocante, Alexandra Ansidei, Rachel Berger, Dominique Bettenfeld, Jocelyn
Quivrin, Patrick Mille, Elisa Tovati – FSK: ab 16 – Länge: 104 min. – Start:
31.7.2008
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