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37
Uses for a Dead Sheep
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Besichtigung eines Bergvolks: Ben Hopkins’ Film
„37 Uses for a Dead Sheep“
„Die neun Leben des Thomas Katz“ (2000), Ben Hopkins’ letzter
Film, war eine abgedrehte Londoner Apokalypsen–Fantasie. Auch im neuen Filmtitel
spielen Zahlen und – diesmal tote – Körper ihre Rolle; übersetzbar
ist er nicht, ohne dass er nach Tierkörperverwertungsanstalt klingt.
„37 Uses for a Dead Sheep“: Die beeindruckende Kreativität
der Pamir-Kirgisen im Umgang mit ihrem Hauptlebensmittel ist Stichwortgeber
für eine Einstiegsszene, in der der britische Regisseur sich selbst im
Begriffsduett mit einem der kirgisischen Stammesältesten präsentiert.
Ganz schön abgedreht, wie die beiden sich die Namen komplizierter Joghurtspeisen
und getrockneter Dungfladenvarianten entgegenschmettern. Leider bleibt nicht
nur diese Szene auf der Ebene der lustigen Vokabelschlacht. Auch die anderen
Lebensaspekte des von Hopkins vorgestellten Halbnomadenvölkchens bleiben
so stereotyp und abstrakt, dass sich bald der Verdacht einschleicht, es könne
sich hier um eine Fälschung – ein so genanntes Mockumentary – handeln,
und seine Helden seien bloße Erfindung aus dem Stereotypenkabinett exotistischer
Fantasie.
Doch die Pamir-Kirgisen gibt es wirklich, und ihre
Geschichte ist viel komplizierter, als Hopkins’ holzschnittartige Fabel sie
uns vorstellt. Ihr zufolge ist der kleine Volksstamm dreimal vor dem Kommunismus
geflohen: erst aus dem sowjetischen Pamir nach China, dann weiter nach Afghanistan
und Pakistan. Als hier für das Gebirgsvolk die natur-klimatischen Bedingungen
nicht stimmten, wandte sich Stammesführer Haji Rahman Qul mit einem Notruf
an die Welt und bekam aus Alaska und der Türkei Siedlungsangebote. 1982
wurden rund 1000 Menschen nach Kurdistan ausgeflogen, wo die türkische
Regierung den Pamir-Kirgisen ein Dorf stiftete. Statt des Kommunismus zehrt
nun die zivilisatorische Erosion der nahen Großstädte am traditionellen
Lebensstil.
Schon diese letzte Reise hat genug Potenzial, Fantasie
und Geist nachhaltig zu beschäftigen – schließlich ist die türkische
Regierung bisher nicht durch generösen Umgang mit Minderheiten bekannt.
Doch für Hopkins scheinen politische Interessen diesseits der kommunistischen
Bedrohung nicht zu existieren. Und auch sie erscheint eher als Naturgewalt:
Auf Erläuterungen, welche konkreten Konflikte denn die Kirgisen in den
Clinch mit Sowjets und Chinesen trieben, wartet man ebenso vergeblich wie auf
Einblicke in die soziale Organisation des Stammes selbst.
Doch solch ein klassisch dokumentarischer
Film hat Hopkins offenbar nicht vorgeschwebt. „Ein Film nicht über, sondern
mit den Pamir-Kirgisen“ sei hier zu
sehen, verkündet sogleich ein Off-Kommentar,
der in seinem allwissenden Duktus derlei egalitären Anspruch allerdings
bald Lügen straft. Hopkins’ praktische Versuche, ein innerfilmisches Miteinander
herzustellen, sind stimmiger, gehen aber in der Einbeziehung der Dorfbewohner
in Recherche und Reinszenierung auch nicht über das im seriösen Dokumentarfilm
Übliche hinaus. Neben dem Ratschlag der Stammesältesten bedient er
sich dabei der Mitwirkung der Dorfbewohner für die aufwändige Reinszenierung
vermeintlicher historischer Schlüsselszenen, wie sie derzeit in halbseidenen
TV-Dokumentationen wieder in Mode kommt. Bei Hopkins werden sie spielerisch
in unterschiedlichen Filmstilen verarbeitet: ein sowjetischer Mordanschlag als
Stummfilmdrama. Und der große Auszug der Kirgisen wird mit Massenkomparserie
für die Super-8-Kamera inszeniert.
Amüsant ist das schon, Erkenntniswert hat es
wenig, zumal kein erkennbarer Zusammenhang zwischen Inhalt und Stil festzustellen
ist. Und auch die von Hopkins humoristisch – und egozentrisch – ausgestellte
Einbeziehung des künstlerischen Schaffensprozesses in den Film selbst ist
in Zeiten des Making-of längst eine dokumentarische Standardsituation.
Und vorgetäuschte Offenheit noch dazu: Als eine einzelne Kirgisin einmal
ernsthaft inhaltlich gegen das Filmprojekt Einspruch erhebt, wird sie vom Filmemacher
nicht einmal einer Antwort gewürdigt. Vielleicht ist das ja das größte
Handicap von Hopkins’ Film: die unterliegende Vorstellung, ein Stammesvolk habe
so etwas wie eine einheitliche „eigene Geschichte“, die es nur aufzusammeln
und zu erzählen gälte.
Silvia Hallensleben
Dieser Text ist zuerst erschienen
im Tagesspiegel
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
37
Uses for a Dead Sheep
GB/TR
2006. R: Ben Hopkins. K:
Gary Clarke. S: Marco Van Welzen. M: Paul Lewis. P: Tigerlily Films, Pi Film
Productions. D: Arif Kutlu, Alpaslan Kutlu, Süleyman Atanìsev, Ìsmaìl
Atìlgan, 89 Min. Piffl ab 8.6.06
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