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Uses for a Dead Sheep
Spannendes Schäfchenzählen
Das ist mal eine etwas andere Biographie: Nach seinen
super-exzentrischen und weltweit bestaunten Filmkunststückchen "Simon
Magus" und "The Nine Lives of Tomas Katz", in denen Ben Hopkins
mit jeder vorstellbaren cinematischen Verfremdungstechnik geglänzt hatte,
wagte er den Sprung – in den Dokumentarfilm. Andere britische Regie-Wunderkinder
mag es nach Hollywood ziehen, Hopkins hat lieber seine Kamera- und Schnitt-Crew
gewechselt und eine Fernsehdoku über herumliegende Fliegerbomben gedreht.
Und jetzt, nachdem dieser Versuch offenbar zu seiner Zufriedenheit verlaufen
ist, verbindet er die herrlich absurden Inszenierungsideen seiner Spielfilme
mit einem klassischen Dokumentarfilmprojekt über den Volksstamm der Pamir-Kirgisen
– heraus kommt ein wilder Reigen aus drolligen Charakteren, einem Jahrhundert
asiatischer Zeitgeschichte, eine Reihe nachgestellter und hübsch handgekurbelter
Schlüsselszenen und, vielleicht am eindrucksvollsten, ein sehr frischer,
selbstreflexiver Ansatz zum Dokumentarfilm selbst.
Denn indem Hopkins, in fließendem Türkisch
übrigens, versucht, die leicht einseitige Kultur (der Titel verweist auf
die Fixierung des Volkes auf ihre Herdentiere) und die umso turbulentere Geschichte
der Kirgisen auf Zelluloid zu bannen, schaut er auch immer hinter die Kamera.
So entlarvt er nicht nur die nachgestellten Szenen durch trockene Voice-Over-Anmerkungen
darüber, wem man welche Kostüme hat schneidern müssen, er stellt
auch sein eigenes Team vor und widmet dem kirgisischen Art Director und dem
einheimischen Kabelträger gar eigene Porträt-Kapitel. Bei einer derartigen
Vermischung von Team, Schauspielern und thematisiertem Volksstamm bleibt ihm
aber auch gar nichts anderes übrig: Die Information, dass die kirgisischen
Reiter erst am Mittag zum Nachstellen einer historischen Szene erscheinen konnten,
weil niemand sonntags übermäßig früh aufstehen wollte,
ist nicht nur eine unterhaltsame Hintergrundinformation zur gerade laufenden
Doku-Fiktion, es ist auch Teil des Themas.
Hinzu kommt eine wirklich angenehme Bescheidenheit
Hopkins’, der die Geschichte der Kirgisen tatsächlich auf Augenhöhe
verhandelt. Dazu gehört nicht nur die erstaunliche Entscheidung, sich mit
dem Volk in deren eigener Sprache auseinanderzusetzen, sondern auch ein spürbarer
Respekt vor den Geister- und Heldenmythen, die in die mündlich überlieferte
Geschichte des Stammes eingegangen ist. Dass Hopkins zudem noch jeder Beschwerde
und Gegenmeinung zum Dargestellten auch auf Zelluloid Gehör verschafft,
lässt ebenfalls das angenehme Gefühl aufkommen, nicht in einer Natur-Doku
zu sitzen, die einen rückschrittlichen Volksstamm für ihr eigenes
kulturelles Weltbild instrumentalisiert und zur Schau stellt, sondern mitten
im widersprüchlichen, organisch gewachsenen Leben.
All diese Feinfühligkeiten und all die postmodernen
Doku-über-die-Doku-Versatzteile wären aber nicht halb so erfolgreich,
wenn die Geschichte um das kirgisische Reiter- und Viehzüchter-Volk nicht
einfach so grandios faszinierend wäre. Nach der willkürlichen Teilung
des Pamir-Gebietes durch britische und russische Staatsmänner im 19. Jahrhundert
fanden sich die für ihre hochqualitative Schafzucht berühmten Kirgisen
erstmal auf russischem Staatsgebiet wieder. Dann verbrachte der Stamm, stets
auf der Flucht vor den Repressalien kommunistischer Revolution und Oppression,
mehr als ein halbes Jahrhundert auf der Flucht durch Asien: von Russland nach
China nach Afghanistan nach Pakistan – bis man die vermutlich weltweit erste
Volks-Umsiedelung per Flugzeug arrangierte und seitdem in der Ost-Türkei
eine Exil-Heimat gefunden hat. Und wer das für turbulent hält, der
weiß noch nichts über Vergiftungsanschläge, die man mit Yoghurt
vereitelt, über improvisierte Zahnmedizin auf 4.000 Meter Höhe und
über Polo mit toten Gänsen. Man lernt also jede Menge spannender Sachen,
die man nicht zu träumen wagte – mehr kann ein Dokumentarfilm eigentlich
nicht leisten.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen im Schnitt
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
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Uses for a Dead Sheep
GB/TR
2006. R: Ben Hopkins. K:
Gary Clarke. S: Marco Van Welzen. M: Paul Lewis. P: Tigerlily Films, Pi Film
Productions. D: Arif Kutlu, Alpaslan Kutlu, Süleyman Atanìsev, Ìsmaìl
Atìlgan, 89 Min. Piffl ab 8.6.06
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