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28
Tage
In
Betty Thomas’ „Frauenfilm" wird ein New Yorker Partygirl auf Umwegen erwachsen
Hinter
einem DINK verbirgt sich bekanntlich der neureiche Yuppie-Nachfolger „Double
Income No Kids" . Aber DUI? „Driving Under Influence" nennt man in
den USA das, was bei uns gewöhnlich unter „Alkohol am Steuer" abgehandelt
wird. Das trifft auch auf Gwen zu: Nachdem sie mit der Hochzeitslimousine ihrer
Schwester einen fremden Vorgarten demoliert hat, wird sie zu einer Entziehungskur
verurteilt.
Gwen
ist Sandra Bullock. Und die führt uns in den ersten Minuten des Films vor,
wie ein New Yorker Partygirl, das auch eine erfolgreiche Autorin ist, das Leben
genießt. Hier ein Gläschen Champagner, dort ein cooler Auftritt,
zwischendrin ein paar Tabletten und noch ein Schluck aus der Flasche und zum
Schluss ein kleiner Solotanz, der sie rücklings in der Hochzeitstorte landen
lässt.
„Serenity
Glen", Tal der Fröhlichkeit, heißt die Reha-Klinik, in die Gwen
eingewiesen wird, doch auch hier herrscht anstaltsübliche Strenge. Nicht
nur Drogen sind tabu, auch das Handy wird konfisziert. Und Fröhlichkeit
wird künstlich inszeniert, wobei man, sich an den Händen fassend,
Erbauliches skandiert: „Together we are better."
Wer
meint, dass solche Rituale etwas Persönlichkeit Zerstörendes an sich
haben, wird Gwens Arroganz und Unmut angesichts der arrangierten Gruppenseligkeit
verstehen. Und weil 28 TAGE eine Komödie ist, wird das Anstaltsleben erstmal
auch zum Lachen inszeniert. Doch weil 28 TAGE auch ein ernster Rehabilitations-Film
ist, kann das nicht so bleiben. Deshalb gibt es in diesem Film den profilierten
Psychologen und Klinikleiter Cornell, der mit Steve Buscemi (leider viel zu
selten zu sehen) schön gegen den Strich besetzt ist. Deshalb muss Gwen
so weit rebellieren, bis sie irgendwann buchstäblich in den Abgrund stürzt.
Deshalb ist ihr Freund Jasper an ihrer Seite, der Gwens Genesungsprozess bei
seinen Besuchen mit Ausflipp-Eskapaden und nihilistisch-melancholischer Weltsicht
blockiert. Und deshalb sind Gwens Mitpatienten beim näheren Hinsehen wirklich
reizende Leute, die man gerne näher kennen lernen möchte.
Leider
erfüllt sich das nur unvollständig. Leider, denn sie sind allesamt
interessanter als Sandra Bullocks Gwen, die trotz merklicher Anstrengung zwischen
breitem Grinsen und nervösem Zucken keinen Raum findet, sich zu entfalten.
Es sind die Umstände, die uns die Person erklären. Eine harte Kindheit,
die Mutter trank auch. Und die grosse Schwester, bei deren Hochzeitsfest Gwen
so kläglich versagt hat, entpuppt sich selbst als kaltes, seelenloses Geschöpf.
Die
Schwestern werden versöhnt, während Jasper auf der Strecke bleibt.
Auch sonst klappert die Therapiemechanik erwartungsgemäß vor sich
hin. 28 TAGE wurde von einem fast reinen Frauenteam realisiert. Regisseurin
Betty Thomas, die zuletzt DR. DOLITTLE (1998) und PRIVATE PARTS (1997) realisiert
hat, wollte, so heißt es im Presseheft, „unbedingt einen Film über
eine Frau machen". Das Drehbuch schrieb Susannah Grant, die auch ERIN BROKOVICH
verfasst hat. Und realisiert wurde das ganze bei Sonys Tall Tree Productions
von der Produzentin Jenno Topping.
Ein
richtiger „Frauenfilm" also. Vielleicht verdanken wir es diesem Umstand,
dass Gwen nicht unter einem penetrant überfürsorglichen Ehemann zu
leiden hat, wie die alkoholkranke Meg Ryan in WHEN A MAN LOVES A WOMAN. Und
dass sie fortgehen darf. Jasper ist schon ein Idiot. Aber ein bisschen ungerecht
ist es trotzdem, dass die Männer unter den Filmtrinkern sich mit großer
Geste zu Tode saufen dürfen, während die Girls – jedenfalls solange
sie jung sind – sich therapieren lassen müssen. Bei Männern scheint
Alkohol ein irgendwie heroischer Teil ihrer Persönlichkeit, bei Frauen
nur eine hässliche Störung. Aber bei diesem Film ist das eigentlich
nicht das Problem. Am Ende, so viel darf wohl verraten werden, hat es Gwen geschafft.
Fast jedenfalls. Sie ist auf dem Weg, ein verantwortlich handelnder Mensch zu
werden. Die Partyzeiten sind vorbei. Der Ernst des Lebens fängt an. 28
TAGE ist kein Film über Alkoholismus, auch nicht über Sucht. Das ganze
Zittern und Schwitzen und Leiden dient hier einem ganz anderen altbekannten
Ziel.
Silvia
Hallensleben
Dieser Text ist zuerst erschienen bei:
28
Tage
28
DAYS
USA
2000. R: Betty Thomas. B:
Susannah Grant. P: Jenno Topping. K: Dedan Quinn. Sch:
Peter Teschner. M:
Richard Gibbs. A: Marcia Hinds-Johnson. Ko: Ellen Lutter. Pg: Columbia/Tall
Trees. V: Columbia. L: 106 Min. Da: Sandra Bullock (Gwen Cummings), Viggo Mortensen
(Eddie Boone), Dominic West (Jasper), Azura Skye (Andrea), Michael O’Malley
(Oliver), Diane Ladd (Bobbie Jean), Elizabeth Perkins (Lilly), Steve Buscemi
(Cornell). Start: 27,4.2000 (D, CH), 28.4.2000 (A)
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