zur startseite

zum archiv

zu den essays

28 Days Later

 

 

 

Jeder kann der Zombie sein

 

 

Jugendkultur und Konkurrenz: Danny Boyles Film „28 Days Later“

 

Jeder Jugendliche hat dies schon einmal gefühlt: Laufen wir nicht durch eine vollkommen leere Welt, bevölkert allenfalls von untoten Zombies oder blutig verstümmelten Leichen, aufgetürmt zu Bergen? "All the dead bodies piled up in mounts", wie es Velvet Underground schon 1965 formulierten. Sind die Symbole und Zeichen der Konsumkultur nicht ebenso grotesk und bizarr leer wie die verrenkten toten Körper nach einer gigantischen Katastrophe? Der Eindruck, wir lebten immer schon in der Welt nach der Katastrophe, verlässt die Motivwelt der Pop-Kultur nimmer mehr. Die stets wohlaufgezeichneten zeitgenössischen Desaster tragen dazu auch ihren Teil bei. Entscheidend aber ist, dass Todesangst in Pubertät und Adoleszenz sich immer wie Apokalyptik anfühlt: denn dass man am Ende ganz allein und ohne Weltuntergang krepieren könnte und die anderen fröhlich weitermachen, will noch nicht in die narzisstischen Köpfe.

 

Nun hat in dem Film 28 Days Later von Danny Boyle (Trainspotting) tatsächlich eine Katastrophe stattgefunden, und von London sind nur Kulissen übrig. Die Menschen faulen fahl in Autobahntunneln vor sich hin. Andere haben sich in blutgierige Monster verwandelt, die man töten muss, bevor sie die neue Supertollwut verbreiten. Einmal erkrankt, kann der beste Freund in Sekunden zum mordenden Monster werden, weshalb man sich beim präventiven Töten keine Schwachheiten durchgehen lassen darf. Vier Leute, die dieses neue Dschungelleben schnell begriffen haben, begleiten wir beim Versuch, sich zu retten. Nach gewissen Anfangsschwierigkeiten mit der Apokalypse brechen sie ganz vergnügt mit einem lustigen Londoner Taxi nach Norden auf, in Richtung eines Radiosignals. Dabei ist das junge schwarze Mädchen (Naomie Davis) am toughsten, wenn es darum geht, junge infizierte Menschen ohne Verzug umzulegen.

 

Zurzeit ist es wohl in Mode – man denke etwa an die Rolle, die Viola Davis in Steven Soderberghs Solaris spielt –, aggressive schwarze Macho-Frauen einen Trupp weicher weißer Männer durch unerforschtes Terrain führen zu lassen. Schwarze Schauspieler werden noch immer mit einer dominanten Eigenschaft markiert. In den Achtzigern und Neunzigern war der (männliche) schwarze Vorgesetzte als Über-Ich, vor allem in Cop-Movies, eingeführt worden. Heute haben wir die unsentimentale junge schwarze Frau als Boss, die nun nicht mehr unbedingte Gesetzestreue verkörpert, sondern kaltschnäuzigen Pragmatismus. In beiden Fällen hatten die so entlasteten weißen Jungs die Möglichkeit, weiterhin und gesteigert ihre tollen Widersprüchlichkeiten samt sensiblem Innenleben auszuleben. Hier ist es das Träumerle Jim (Cillian Murphy), dessen „süß“ und irritiert die gefährlichen Gegenden absuchender Blick zur Identifikation einlädt.

 

Der Weg nach Norden führt das Taxi buchstäblich über Leichenberge, die schlammig unter ihm wegglitschen. Es geht durch Tunnel und verlassene Stätten zweifelhafter Zivilisiertheit voller Toter und dringend zu killender Halbtoter. Kinderbiester kauern beißbereit in verlassenen Autobahnraststätten und kriegen, was sie verdienen. Einkaufswagen stapeln sich vor einem immer noch gut sortierten Supermarkt zu Olaf-Metzel-Skulpturen, und drinnen genießen unsere vier Freunde das Einkaufen, ohne zu zahlen. Man lässt die Kreditkarte, die man nicht mehr braucht, einfach liegen. Auch diese Apokalypse weiß noch ein bisschen von der utopischen Kraft der Negation. Dann dominieren wieder die Bilder eines ästhetisierten Schreckens und einer schwarzen Romantik.

 

Durch die verschiedensten Jugendkulturen hindurch lässt sich ja ein spezifisch britischer Beitrag isolieren, eine ganz besondere Jugendmelancholie. Zu New-Wave-Zeiten sprach man von Bleakness oder Bleak Wave und meinte die schwarz gekleideten, nach innen schauenden traurigen Jünglinge von Bands wie The Cure oder Joy Division (deren Sänger sich erhängte). Aber auch Ende der Achtziger, als die extremen Formen von Punk und Heavy Metal sich begegneten, gab es eine britische Death-Metal-Ästhetik in Musik, Comic strips, auf Plattencovern und Videos. Ein radikaler Weltschmerz begegnete einem barocken Beschwören und friedensbewegten Beklagen dekorativer Leichenberge. Unentschieden darüber, ob es mit den aufgetürmten Kadavern eine politische oder eine anthropologische Bewandtnis hat, werden sie als Motive immer wieder aufgegriffen. Gern von Elementen der Gothic Novel überformt, schafften sie es bis in die Clubs zu den dunkel-morbiden Abarten von Drum & Bass.

 

Wie schon in ihrem Film The Beach lieben es der Regisseur Danny Boyle und sein Lieblingsautor Alex Garland, solche jugendkulturellen Formate als Exzesse eines tödlich gewordenen individuellen Konkurrenzkampfes zu erzählen. Die gewaltbereite, hoch nervöse Aufmerksamkeit auf der einen und utopische Liebe am Rand des Abgrunds auf der anderen Seite werden dabei in gleicher Weise ästhetisiert. In The Beach sind Liebesinsel und Krieg aller gegen alle nur zwei Zustände eines grausamen, aber doch auch erstrebenswert abenteuerlichen Lebens. Die Utopie der Hippie-Gesellschaft in The Beach und deren unvermittelt ausbrechende Tötungsbereitschaft kehren in 28 Days Later wieder, wenn zwischen Jim und dem Mädchen zarte Liebe inmitten von Verwesungsdämpfen keimt. Zweierglück fernab der Zivilisation und Kriegermentalität erstarken aneinander.

 

Liest man diesen Film politisch, dann bietet er dem jugendlichen Eskapismus an, sich durch einen ästhetisierten Kriegertypus mit einer barbarisch und ganz frei gewordenen Marktkonkurrenz zu identifizieren. Die Logik des Präventiven und der Dauerverdacht der Seuche sind die sehr aktuellen Codes, in die sich das Konkurrenzverhältnis naturgesetzartig einschreibt. Es wird übersetzt in einen Kampf aller gegen alle, bei dem es vor allem darauf ankommt, schnell den Infizierten zu finden und ihn ebenso schnell zu töten. Dieses Szenario aber – und da unterscheidet sich 28 Days Later nicht von anderen aktuellen Jugendkultur-Produkten – ist geil. Ließen Bleakness und Gothic-Kultur früher noch offen, ob es gesellschaftskritisch gegen die Langeweile eines falsches Leben oder kulturpessimistisch gegen die Zivilisation ging, ist es hier entschieden: Den Kämpfer-, Landschafts- und Liebesbildchen steht als Feind nicht ein letztlich politisch verortbarer Gegner, sondern die Zivilisation selbst gegenüber – mal in Gestalt eines militärischen Totalitarismus, mal als kalte, menschenfeindliche Architektur. Nur wo die Zivilisation ganz aufgehört hat, im ewigen Gemetzel einer zur Barbarei befreiten Konkurrenzlogik, herrscht die gute Intensität des kriegerischen Lebens. Man muss halt immer bereit sein, im besten Freund und Kollegen, ja im eigenen Vater den Mörderzombie zu erkennen und ihn umzulegen, bevor er es tut.

 

 

Diedrich Diederichsen

 

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in: Die Zeit

 

 

28 Days Later

Niederlande / Großbritannien / USA 2002 – Regie: Danny Boyle – Darsteller: Cillian Murphy, Naomie Harris, Christopher Eccleston, Megan Burns, Brendan Gleeson, Noah Huntley, Alexander Delamere – FSK: nicht unter 18, nicht feiertagsfrei – Länge: 112 min. – Start: 5.6.2003 (6. Woche)

 

zur startseite

zum archiv

zu den essays