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25 Stunden

Die Reflexion im Spiegel verselbständigt sich und wirft all den Selbsthass des Protagonisten zurück auf seine Umwelt. Eine Hasstirade bricht los, gegen all die Obdachlosen New Yorks, die einen auf der Strasse anpöbeln, genauso wie auf den eingewanderten Gemüsehändler an der Ecke, gegen die jüdischen Schmuckverkäufer in den Cafés, genauso wie gegen die Terroristen bin Ladens, die New York seine Narbe beigebracht haben, gegen Gut und gegen Böse. Am Ende des Films werden all die verhassten Gesichter, die er vor dem Spiegel von seinem Abbild vor Augen geführt bekam, ihm noch einmal begegnen, auf dem Weg ins Gefängnis ist er dann, Monty Brogan (Edward Norton), der für sieben Jahre seine Heimat New York verlassen muss, um seine Schuld an der Gesellschaft mit sieben langen Jahren im Hochsicherheitstrakt zu zahlen.

Drogen hat er geschmuggelt, obwohl er sich versprochen hatte, damit aufzuhören, wenn er genügend Geld verdient habe. Den Absprung nicht geschafft, weil Gier ihn übermannt. 25th Hour von Spike Lee verbringt die letzten 24 Stunden mit Monty Brogan in Freiheit, der letzte Tag des Lebens, welches er in dieser Form selbst verwirkt hat durch sein Handeln. Man begleitet Brogan auf Abschiedsfeiern, die echte und falsche Freunde für ihn geben, man begleitet ihn bei seinen Besuchen in der ehemaligen Schule und bei seinen Gesprächen mit dem Vater. Außerdem ist da natürlich – ein Zugeständnis ans Genre – der obligatorische Besuch beim Gangsterboss, der sich um die Integrität des erwischten Kuriers sorgt, um seine Fähigkeit, ruhig zu bleiben und keine strafmindernden Angebote gegen Informationen zu tauschen.

Spike Lee inszeniert all diese Begegnungen flüssig und routiniert. Spiele mit dem Medium halten sich in Grenzen, wenn sie aber doch auftauchen, so sind sie wirkungsvoll angebracht, wie die kurzen, irritierenden Dopplungen im Schnitt, die meist dann einmontiert werden, wenn Personen sich begegnen – um sich zu verabschieden. Zwei Menschen fallen sich in die Arme, der Augenblick der Berührung wird zweimal hintereinander gezeigt, eine Wiederholung von nur einem Sekundenbruchteil und doch ein äußerst wirkungsvoller Eingriff in die Substanz des Films. Auch auf der Tonspur finden sich ab und an hervorgehobene Momente, so etwa in einem Augenblick eigentlich höchster Brutalität, in dem die Geräusche eines Kampfes verschwinden, um den im Hintergrund singenden Vögeln Platz einzuräumen. Auch hier aber ist es nicht irgendein Augenblick, sondern einer, der für die Geschichte einen zentralen Ort einnimmt und durch Lees Eingriffe bewusst akzentuiert wird.

Schnitte und Ton und vor allem auch: immer wieder der Rekurs auf die fallenden Türme in New York. Erinnerungen, wie die im Pub hängenden Bilder der Feuerwehrmänner und Bilder der neuen Stadt, der immer noch ungewohnten Skyline. Das Thema der Stadttopographie zieht sich vom Vorspann, in dem die "Towers of Light", die Lichtskulptur, die vor einiger Zeit die Türme aus Licht neu zu erschaffen versuchte, bis hin zu dem schon ein wenig vom Drehbuch herbeigeschriebenen Appartement eines der Protagonisten mit direktem Blick auf Ground Zero.

Es mag ab und an eine etwas holprige Analogie sein zwischen der verletzten Stadt und dem gefallenen Drogendealer, die Stadt wird ein wenig zu häufig zur Metapher für Brogans Seelenzustand: Ende eines Abschnittes und Aufbruch in einen neuen erst in ungreifbar ferner Zukunft. Dennoch spürt man, dass das Kino, träge wie das Medium nun mal ist mit seinen langwierigen Produktions- und Vermarktungsprozessen, langsam beginnt, das Trauma einer Stadt zu verarbeiten, zu psychologisieren und die unzähligen Geschichten zu erzählen, die in jeder Tragödie liegen.

25th Hour ist diesbezüglich nur ein Anfang, etwas unbeholfen vielleicht stellenweise, aber sicher kein schlechter Film. Spike Lee kennt seine Stadt und der Hass des Dealers ähnelt vielleicht auch ein wenig dem Hass des New Yorker Taxifahrers aus Scorseses New York-Film Taxi Driver. Natürlich stand der Taxi Driver zunächst für etwas anderes ein: Die Säuberung New Yorks nämlich von all den Dealern und Zuhältern, dem Gesindel, zu dem der Protagonist in Spike Lees Film eigentlich dazugehört – ein Dealer, der an Minderjährige verkauft. Dennoch motivierte auch den Taxi Driver die Sehnsucht nach etwas, das für Monty Brogan nun in so weite Ferne gerückt scheint: Einem Neubeginn.

Benjamin Happel

Dieser Text ist zuerst erschienen in:  www.filmkritiken.org

 


25 Stunden

(25th Hour)  – USA 2002 –  R: Spike Lee – D: Edward Norton, Philip Seymour Hoffman, Barry Pepper

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