zur
startseite
zum
archiv
21
Gramm
Von
der Last der Seele – 21 Grams von Alejandro González Iñárritu
Die
Welt ist ein Jammertal, und wir Menschen Sünder; Angesichts des Elends
dieser Welt bleibt uns nur die grosse Zerknirschung. In 21
Grams,
dem zweiten Film von Alejandro González Iñárritu, leiden
die Protagonisten miteinander um die Wette. Alle haben sie ihr Kreuz zu tragen,
schleppen sie ihre verwundeten Seelen durch ein Leben, das diese Bezeichnung
nicht verdient. Jack Jordan (Benicio Del Toro), der mehrfach vorbestrafte Kriminelle,
glaubt sein Heil in Jesus gefunden zu haben, doch wer glaubt, ein anständiger
Lebenswandel werde belohnt, irrt gewaltig. Jack Jordan wird drei Menschen totfahren,
er, der doch nur in Gottesfurcht leben will, wird eine Familie zerstören.
Wie
schon in seinem Erstling Amores
Perros
steht in Iñárritus neuem Film ein Autounfall im Zentrum der Erzählung.
Das Unglück, das der Zuschauer nie zu sehen kriegt, steht im Zentrum von
drei Handlungsträngen, verbindet die Geschichten dreier gänzlich unterschiedlicher
Protagonisten. So weit die Gemeinsamkeiten mit Amores
Perros,
doch anders als in seinem brillanten Einstand hat Iñárritu dieses
Mal eine vollkommen unchronologische Erzählweise gewählt. Die Narration
ist zersplittert, bisweilen in kleinste Fragmente, der Gesamtzusammenhang entfaltet
sich nur langsam. Erst allmählich wird klar, welches Ausmass die Tragödien
besitzen, deren Zeuge wir werden.
Der
schwerkranke Paul (Sean Penn) braucht zum Überleben ein neues Herz. Kaum
hat er es, wird er sich – welch originelle Symbolik! – in die Witwe des Spenders
verlieben. Eine Liebe, die von Anfang an unter einem schlechten Stern steht,
denn wer am Herzen krankt, für den kommt ohnehin jede Hilfe zu spät.
Und bei Paul ist so einiges nicht im Reinen: Seine Frau liebt er schon lange
nicht mehr, er lässt sich aber dennoch gerne von ihr pflegen. Umso schlimmer,
dass sie unbedingt ein Kind von ihm will.
21
Grams
hat keine Herzbeschwerden, der Film leidet vielmehr am Magnolia-Syndrom,
dem Drang, sich nach einem gekonnten Debüt im zweiten Film noch einmal
selbst zu übertrumpfen und sämtliche grossen Fragen, die die Menschheit
seit je her bewegen, auf einmal anzugehen. 21
Grams
kennt als Gemütszustand nur den emotionalen Superlativ, unterhalb des ganz
grossen Dramas wird nichts akzeptiert. Die fragmentierte Erzählstruktur
fördert diese Tendenz noch zusätzlich: Um sicher zu gehen, dass sich
der Zuschauer in der scheinbar chaotischen Szenenabfolge nicht vollkommen verirrt,
wird jede Szene bis zum Bersten aufgeladen. Hier gibt es keine leichten Momente,
erzählerische Pausen, in denen nichts passiert, sondern ständiges
Powerplay der Gefühle. Jede Sekunde muss sich dem Zuschauer im Gedächtnis
einbrennen, koste es, was es wolle. Die vibrierende Energie und die Frechheit
von Amores
Perros
– aber auch der Humor – gehen 21
Grams
vollkommen ab. Stattdessen gibt es bleischwere Kost, die dafür aber in
Hülle und Fülle.
Mit
Benicio del Toro um die Wette leidet Sean Penn, der es sich anscheinend zum
Ziel gesetzt hat, Al Pacino den Titel Grossmeister des Tränensackes abzujagen.
Mit permanentem Hundeblick – eine weitere Verbindung zu Amores
Perros
– quält er sich durch den Film – und mit ihm der Zuschauer.
Simon
Spiegel
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
21
Gramm
– USA 2003 – Originaltitel: 21 Grams – Regie: Alejandro González Iñárritu
– Darsteller: Sean Penn, Benicio Del Toro, Naomi Watts, Charlotte Gainsbourg,
Melissa Leo, Clea DuVall, Danny Huston – Prädikat: besonders wertvoll –
FSK: ab 12 – Länge: 125 min. – Start: 26.2.2004
zur
startseite
zum
archiv