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2046
Wer
ein Geheimnis hat, vertraue es einem Baumloch an und schließe dieses mit
Lehm, damit es darin sicher verwahrt bleibe. Mit diesem Ritual entließ
uns Wong Kar-Wai vor viel zu langen Jahren aus seinem bezaubernden In
the Mood for Love.
2046, auf
den man viel zu lange warten musste, beginnt nun mit einer langen Fahrt aus
einem Loch hinaus und endet mit einer Fahrt wieder hinein. Eine Rahmung, die
verdeutlicht: Es geht um Geheimnisse und ihren Ort. Der Film selbst erscheint
als ein solches (und er bleibt es in vielerlei Hinsicht auch). Er handelt zudem
von der erdrückenden Anwesenheit eines Geheimnisses. Und er handelt davon,
wie man Geheimnisse versteckt. In Bildern, Literatur, Musik, in kleinen Gesten.
Und nicht zuletzt: In Filmen.
2046 ist
ohne Zweifel Wong Kar-Wais poetischster, sinnlichster Film. Mehr noch als der
ebenfalls schon hochstilisierte Vorgänger, ist 2046 darum
bemüht, ein großes, traumhaftes Bild zu zeichnen, ohne dabei aber
in die Langeweile des Panoramas zu gehen. Vielmehr lenkt er Blicke auf Details,
fragmentiert, trennt ab, lässt die Dinge im Diffusen verschwimmen. Auffällig
oft sind die Bilder angeschnitten oder größtenteils von dunklen Flächen
im unscharfen Vordergrund verdeckt. Kaum, dass eine souveräne Übersicht
ermöglichende Perspektive gewährt wird. Entsprechend flirren auch
Zeit und Raum: Erinnerung, gegenwärtige Geschehnisse, Traum, Fiktionalisierung,
Visualisierung literarischer Ergüsse? 2046 verneint
nicht selten eindeutige Antworten auf die Frage nach dem Status seiner Bilder.
Mehr als jeder andere Film von Wong Kar-Wai will er zuallererst sinnlich erlebt
werden (und das heißt: am besten im Kino): Kameraführung, Ausstattung,
der emotional ungemein aufwühlende Soundtrack, die Montage und nicht zuletzt
die äußeren Erscheinungen der Darsteller ergeben ein kinematographisches
Amalgam von einer Intensität, wie man sie lange nicht mehr erleben konnte.
Schwierig,
eine Handlung eigentlichen Sinne zu destillieren. Wir begegnen Chow Mo Wan (Tony
Leung Chiu Wai) aus In
the Mood for Love
wieder, der sich, Jahre nach den Ereignissen aus dem vorangegangenen Film, als
Boulevardjournalist und Autor leichter Erotikromane verdingt, während auf
den Straßen Hongkongs die Aufstände der 60er Jahre toben. Die tragische
Liebesgeschichte hat er nie verwunden: Er sucht schnelle, erotische Abenteuer,
ist nach außen hin zwar zunächst charmant, aber bindungsunfähig.
In einem Buch namens 2046 schreibt
er sein Innerstes nieder und projiziert sich selbst in ein japanisches Alter
Ego, das in einem Science-Fiction-Szenario in einem Zug durch die Zeit reist,
ins Jahr 2046, wo
alle Erinnerungen für immer verweilen. 2046, das
ist auch die Nummer des Zimmers, in dem Maggie Cheungs Figur aus In
the Mood for Love
lebte, neben das Chow Mo Wan nun wieder eingezogen ist. Und wieder leben Frauen
in diesem Zimmer, das Spiel der Liebe dreht erneut seine Runden, durchzogen
allerdings von Chow Mo Wans Geheimnis, das unausgesprochen über jedem gescheiterten,
leidenschaftlichen neuen Abenteuer schwebt. Ein diffuses, oft episodenhaftes
Bild von der Liebe nach ihrer eigentlichen Unmöglichkeit, über zwar
viele, letztens Endes aber nur zwei Menschen, von denen der eine jedoch im anderen
Film geblieben ist.
Viele
Miniaturen, mal größer, mal kleiner angelegte Entwürfe finden
sich in diesem Film. Bis zuletzt und über den Wettbewerb von Cannes hinaus
hat Wong Kar-Wai am Schnitt gesessen. Dass man das, wie die langjährige
Produktionszeit, dem Film nicht ansehe, wäre glatt gelogen. Manch einen
mag der daraus resultierende, fragmentarische Charakter des Films vor den Kopf
stoßen, wie auch, dass er vieles unklar lässt. Wer darüber jedoch
hinwegsehen, darin vielleicht sogar die poetische Stärke und nicht zuletzt
seine Klugheit als Kommentar zu Liebe, Sex, dem ganzen Rest anerkennen kann,
wer sich an den reizenden Details erfreuen und sich vor allem lustvoll darin
versenken kann, der wird mit einem ungemein euphorisch stimmenden Filmerlebnis
belohnt. Ein Meisterwerk, das der ungeheuren Erwartungshaltung nach In
the Mood for Love,
vor allem aber: nach den ersten Stimmen aus Cannes, mit Leichtigkeit begegnet.
Thomas
Groh
Diese
Kritik ist zuerst erschienen im:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Texte
2046
(Hongkong/China
2004)
Regie/Drehbuch:
Wong Kar-Wai; Kamera: Christopher Doyle, Kwan Pung-Leung, Lai Yiu-Fai; Schnitt:
William Chang; Musik: Peer Raben, Shigeru Umebayashi
Mit:
Tony Leung Chiu Wai, Li Gong, Takuya Kimura, Faye Wong, Ziyi Zhang, Carina Lau,
Chen Chang, Wang Sum, Ping Lam Siu, Maggie Cheung, u.a.
FSK:
ab 12 – Länge: 127 min. – Start: 13.1.2005
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