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2001: Odyssee im Weltraum

 

 

 

 

„2001: Odyssee im Weltraum“ ist ein Film der Superlative. Alles an diesem Film ist gewaltig. Vom Beginn der Arbeit am Drehbuch bis zur Fertigstellung vergingen vier Jahre, es war zu seiner Zeit einer der teuersten Filme und es war der Film mit den bis dahin meisten Tricksequenzen. Doch nicht nur die äußeren Produktionsbedingungen sprengten den Rahmen, auch inhaltlich griff das Werk in neue Dimensionen aus. So ist „2001: Odyssee im Weltraum“ nicht nur der Film mit der größten zeitlichen Erstreckung – über vier Millionen Jahre spannt sich der Handlungsbogen -, auch die räumliche Ausdehnung übertrifft alles bisher Dagewesene. Der Film ist nicht nur der erste, der den Weltraum in seiner unendlichen Dimension erfahrbar macht, er strebt noch darüber hinaus bis jenseits der Unendlichkeit, wie sein vierter Teil überschrieben ist.

 

Ausgangspunkt war die Erzählung „The Sentinel“ von Arthur C. Clarke. Die Menschen entdecken auf dem Mond ein Artefakt, das außerirdische Besucher dort vor Äonen zurückgelassen hatten und das ihnen Nachricht geben soll, wenn die Menschheit einen technischen Entwicklungsstand erreicht hat, so dass eine Kontaktaufnahme möglich wird. Der Film gehört damit zur Science Fiction, doch missachtet er konsequent die Regeln des Genres. Paradoxerweise entsteht diese Wirkung auch daraus, dass Kubrick technische Details in aller Ausführlichkeit darstellt. Wir bekommen Andock- und Landemanöver in Echtzeit gezeigt und selten war soviel Weltraum in einem Film wie hier. Über weite Strecken wirken die Szenen fast dokumentarisch. Und dennoch verweigert sich der Film den Erwartungen. Es werden keine Rätsel gelöst, sondern sie werden als Rätsel dargestellt. Wir bekommen keine Außerirdischen zu Gesicht. Die Erde muss nicht verteidigt werden und wird auch nicht erleuchtet. Trotzdem und gerade deshalb ist dieser Film ein absoluter Meilenstein der Filmgeschichte, ein Werk, das nicht altert und nach über 30 Jahren viel frischer und anregender wirkt als all die technisch immer perfekteren Space Operas, die nach ihm kamen und ihn doch nie erreichen konnten.

 

Wer bunte und kurzweilige Unterhaltung sucht, wird an diesem Film keine Freude haben und wer Antworten auf letzte spekulative Fragen erwartet auch nicht. Der Film gibt keine eindeutigen Antworten. Im Gegenteil strich Kubrick noch kurz vor Drehbeginn eine ganze Reihe von Kommentaren und Erläuterungen aus dem Drehbuch heraus. Sein Co-Autor Arthur C. Clarke legte nach der Filmveröffentlichung einen gleichnamigen Roman vor, in dem der klassische Science-Fiction-Fan die gesuchten Antworten bekommt. Doch bleibt der Roman damit weit hinter der Dimension des Films zurück. Das Thema wird verkleinert und trivialisiert. Es ist eine weitere Außerirdischen-Geschichte, mehr nicht. Kubrick erkannte sehr richtig, dass er seinen Anspruch das Unerfahrbare, das ganz Andere erfahrbar zu machen, nur erreichen konnte, wenn er auf rationale Erklärungen verzichtete. Das Thema des Films ist somit größer als jede mögliche Erklärung.

 

Thema des Films ist zunächst eine Odyssee, d.h. eine Reise ohne Ziel, eine Irrfahrt. Dahinter steckt aber ein viel größeres Thema. Es geht um die letzten, um die ganz großen Fragen, um die Fragen woher wir kommen und wohin wir gehen, letztlich um die Frage, was die Stellung des Menschen im Kosmos sei. Es geht um die Irrfahrt des Menschen in Raum und Zeit und um die Verwandlungen, die er dabei vollzieht oder vollziehen muss. Der Film überschreitet damit die Grenze bloßer Science Fiction, ja er überschreitet die Grenze des im Kino Erzählbaren. Er gerät in den Bereich der Philosophie und der Mystik. Und er ist reine Kunst. Dies gilt es ganz klar zu machen. „2001: Odyssee im Weltraum“ ist reine Kunst, wie selten ein Film vor oder nach ihm. Hier wird nicht eine Geschichte erzählt, sondern Form und Inhalt werden identisch. Die Geschichte ist genau das, was wir sehen und hören. Hier handeln nicht Personen, sondern es werden Archetypen dargestellt, archetypische Konstellationen. Bilder und Musik bilden eine untrennbare Einheit. Es wird nicht eine Geschichte erzählt und mit Musik untermalt, sondern das was wir sehen und hören ist genau die Geschichte.

 

Die Wirkung des Films entsteht aus dem Zusammenspiel von Bild und Ton bzw. Musik. Die rationale lineare Erklärung wird ersetzt durch die freie Assoziation, die sich bei Bild und Musik einstellt. V.a. die Musik, die Verwendung klassischer Stücke, trägt sehr viel zur Wirkung bei und verleiht den Bildern Erhabenheit und Exemplarizität. Kubrick sagt selbst dazu: „Ich wollte, dass der Film ein intensives subjektives Erlebnis sei, das den Zuschauer auf einer inneren Bewusstseinsebene erreicht, wie das die Musik tut.“ Hier werden Bilder mit musikalischen Leitmotiven zusammengebunden zu Bedeutungskomplexen, die begrifflich nicht auszudrücken sind, bzw. bei denen jede begriffliche Erklärung immer zu kurz greift, da das Bild noch einen Bedeutungsüberschuss enthält. Vielleicht ist dies gerade eine mögliche Definition von Kunst überhaupt.

 

 

„Dawn of Man“

 

Die ersten Bilder zeigen uns zu den Klängen von Richard Strauss’ „Also sprach Zarathustra“ eine astronomische Konstellation, bei der Erde, Mond und Sonne in einer Reihe stehen, und zwar aus dem Weltraum gesehen. Diese Konstellation hat Symbolcharakter. Wir werden sie später noch mehrmals wieder sehen.

 

Der Film ist in vier klar getrennte Teile gegliedert, deren erster überschrieben ist mit „Dawn of Man“, Morgendämmerung der Menschheit. In dieser ca. 20 Minuten langen Anfangssequenz gibt es keine einzige Dialogzeile und außer der einleitenden Überschrift auch keine weiteren Erklärungen. Einen ursprünglich im Drehbuch enthaltenen Kommentar hat Kubrick vor Drehbeginn gestrichen. Wir sehen Bilder einer kargen Steppenlandschaft und in ihr eine Horde von Affenwesen. Aus späteren Informationen können wir entnehmen, dass der Film ca. vier Millionen Jahre vor unserer Zeitrechnung beginnt. Das Leben der Affenwesen ist von monotoner Gleichförmigkeit: Sie suchen nach Nahrung, kauern sich nachts zusammen, kämpfen mit einer anderen Affenhorde um eine Wasserstelle und sind ständig in Gefahr durch Raubtiere getötet zu werden.

 

Dieses Gleichmaß wird eines Morgens durchbrochen als die Horde vor ihrem Lager einen schwarzen Monolithen vorfindet. Das Auftauchen eines Monolithen wird jedes Mal musikalisch mit einem Leitmotiv aus Ligetis „Requiem“ unterlegt. Die Affenwesen geraten in Panik und hüpfen schreiend und angstvoll um den Monolithen herum, bis zuerst einer dann mehrere es wagen, das Artefakt vorsichtig kurz zu berühren. Etwas später findet einer aus der Horde die Knochen eines Tapirs. Er spielt mit den Knochen und erinnert sich, wie wir einer kurzen Einblendung entnehmen können, an den Monolithen. In dieser Schlüsselszene wird sichtbar, wie im Gehirn des Affenwesens das Denken einsetzt und zwar in Form einer Verknüpfung von Bildern. Aus dem langsamen Spiel mit den Knochen wird ein immer heftigeres zielgerichtetes Zuschlagen. Das musikalische Leitmotiv aus „Also sprach Zarathustra“ unterstreicht die Bedeutung der Szene. Der Affenmensch wird jetzt aus Untersicht gefilmt und gewinnt dadurch gewaltig an Größe und Bedeutung. In diesem Augenblick erwacht blitzartig das Bewusstsein und in dem Affenwesen findet die Menschwerdung statt. Wir sehen ihn zuschlagen und wir sehen die Assoziation zu einem getöteten Tapir.

 

In dieser kurzen Szene werden einige Motive zusammengefasst, die der Film später entfalten wird. Die Menschwerdung vollzieht sich in dem Augenblick als das Wesen den Gebrauch von Werkzeugen entdeckt. Die Entwicklung zum modernen Menschen wird sich als Gestaltung immer besserer Werkzeuge bis zur Entstehung der Technik vollziehen. Doch in der Szene ist noch mehr enthalten: Das erste Werkzeug ist ein Knochen, es ist damit erst durch den Tod eines anderen Wesens gegeben und die erste Assoziation, die sich in der Verwendung des Werkzeuges einstellt, ist das Töten. Das Werkzeug ist zugleich Waffe. Kubrick fast diese Motive in dieser Szene so zusammen, dass sie untrennbar sind. Werkzeug und Waffe werden in eines gesetzt. Technik und Tod sind untrennbar. Die Menschwerdung vollzieht sich in der untrennbaren Doppelung von Werkzeuggebrauch und Tötung, wodurch der Mensch Macht gewinnt. Kubrick entfaltet diese Motiv-Verknüpfung konsequent. In der nächsten Einstellung sehen wir den Affenmenschen wie er mit rohem Fleisch zur Horde zurückkehrt und wir sehen alle beim Fleischessen. Darauf folgt der erneute Kampf um die Wasserstelle, bei dem die Horde diesmal mit Knochen bewaffnet ist. Die Affenmenschen bleiben siegreich indem sie einen Artgenossen der anderen Horde töten.

 

Kubrick bietet uns hier seine Interpretation des Schöpfungsmythos, der bei aller vordergründigen Parallelität weit entfernt ist von der christlichen Schöpfungsgeschichte. Der Monolith fungiert als Auslöser der Menschwerdung, er ist der Katalysator, gleichsam der Baum der Erkenntnis. Und eine der ersten Taten des Menschen ist der Brudermord. Aus Adam wird sofort Kain. Doch darin ist die Parallele erschöpft. Wenn der Monolith ein Artefakt Gottes sein soll, dann ist es ein stummer Gott, ein Gott der sich sofort verbirgt und der keine Gebote erlässt. Der Mensch entsteht in moralischer Indifferenz und er befindet sich in keinem Paradies, eher im Naturzustand eines Thomas Hobbes, der nach dem Prinzip des „homo homini lupus“ – der Mensch ist der Wolf des Menschen – existiert. Der Monolith spricht nicht und er wird auch wenn er später erscheint nicht sprechen. Die Macht die hinter dem Monolithen steht, gibt dem Menschen keine Regeln und keine Richtung vor. Dabei ist es gleich, ob wir diese Macht als irgendwie göttlich oder teuflisch, oder beides zugleich interpretieren oder als eine überlegene außerirdische Zivilisation. Am Anfang war nicht das Wort, wie bei religiösen Schöpfungsmythen, am Anfang war die Tat, wie es Faust, der Archetyp des modernen technischen Menschen formulierte. Der Mensch wird zum Menschen durch den Gebrauch des Werkzeuges bzw. der Waffe, was auf ein- und dasselbe hinausläuft.

 

 

„Thank you. You are cleared through voiceprint identification“

 

Was folgt ist der berühmteste und genialste Schnitt der Filmgeschichte. Der Affenmensch wirft triumphierend seinen Knochen in die Luft, der sich drehend immer höher steigt und dann zu fallen beginnt. In diesem Augenblick wird aus dem Knochen ein röhrenförmiges Raumschiff, das sich zu den Klängen von Johann Strauß’ Donauwalzer um eine kreisförmige Raumstation dreht. In diesem Schnitt, der einen Zeitraum von vier Millionen Jahren zusammenfasst, der einen Sprung vom Paläolithikum ins Atomzeitalter vollzieht, wird suggeriert, dass die gesamte bisherige Menschheitsgeschichte eine Entfaltung des gleichen Prinzips war. Das erste und älteste Werkzeug, nämlich der Knochen, verwandelt sich in das letzte und modernste Werkzeug, ein Raumschiff und dennoch ist es der Idee nach das Gleiche: Werkzeug des Menschen, das ihm dazu dient, sich Welt und Raum und in letzter Konsequenz den Weltraum anzueignen und verfügbar zu machen. So entfaltet sich seine Macht. Das Werkzeug macht den Menschen mächtig und zugleich verliert der Mensch sich an sein Werkzeug.

 

Ein kleines Raumschiff nähert sich der Weltraumstation, um an ihr anzudocken. Während des Anflugs sehen wir den Regierungswissenschaftler Heywood Floyd (William Sylvester) schlafend in der Raumfähre. Neben ihm schwebt schwerelos sein Schreibgerät in der Luft, als Wiederholung des Knochenmotivs. Und spätestens jetzt sollte deutlich werden, dass Kubrick bei all den röhrenförmigen Abwandlungen seines ursprünglichen Werkzeugs auch das Motiv des Phallus mitdenkt. Die Macht die der Mensch aus dem Werkzeuggebrauch gewinnt und die Art wie er sie gewinnt, ist in erster Linie männliche Macht. Wir streifen hier ein Thema, dass sich wie ein roter Faden durch Kubricks Gesamtwerk zieht.

 

Eine Stewardess bewegt sich unabhängig und gegen alles Raumgefühl des Zuschauers durch die Fähre, denn hier gibt es kein Oben und kein Unten mehr. Der Mensch bewegt sich losgelöst von allen irdischen räumlichen Bindungen durch den Raum schlechthin, was Kubrick in seinen Bildern erlebbar macht. Dem Zuschauer wird ein gewaltiges Raumerlebnis geboten. Und dazu bietet der Strauß-Walzer eine treffende Entsprechung. So wie diese Musik Schwingen und Kreisen ausdrückt, so kreisen die Menschen und Dinge in Raumfähren, die um eine Raumstation kreisen, die wiederum um die Erde kreist usw.

 

Heywood Floyd hat auf der Raumstation einen kurzen Aufenthalt, bis er zur amerikanischen Mondbasis Clavius weiterfliegt, um dort eine rätselhafte Entdeckung zu untersuchen. Während seines Zwischenaufenthalts und seines Weiterflugs sehen wir ihn bei einer Reihe alltäglicher Verrichtungen, die uns einen Blick in Kubricks Vision der Zukunft werfen lassen. Dieser Blick ist zunächst satirisch wenn die hoch entwickelte Weltraumzivilisation mit trivialsten Banalitäten konfrontiert wird, etwa der Nahrungsaufnahme aus einem schwebenden Tablett voll Flüssignahrung oder einer „Zero Gravity Toilett“, die das Lesen einer umfangreichen Gebrauchsanweisung voraussetzt. Mit satirisch überzeichnetem Ernst erfolgt auch die technisierte Zugangskontrolle zur Raumstation: „Thank you. You are cleared through Voiceprint Identification“. In diesen Szenen wird das Hordenleben der Affenwesen auf höherer Ebene wiederholt. Grundlegende Lebenssituationen wie Schlaf und Nahrungsaufnahme kehren wieder und werden auch später wieder auftauchen. Auch der Kampf um die Wasserstelle mit einer verfeindeten Horde findet seine Entsprechung. Wenn nämlich Floyd auf eine Gruppe russischer Wissenschaftler trifft und sich zu höflichem Small-Talk zu ihnen setzt. Die feindlichen Horden schlagen nicht mehr aufeinander ein, sondern belauern sich mit ausgesuchter Höflichkeit. Gleichzeitig ist aber impliziert, dass die Waffen mit denen sie sich weltpolitisch in Schach halten, sehr gefährliche Knochen sind.

 

Noch etwas anderes vermitteln uns diese Szenen, diese unpraktischen Stühle auf denen die Menschen platziert sind, die Plastiknahrung die sie zu sich nehmen, die Familien, die über Funk nur banalste nichtssagende Botschaften austauschen. Sie zeigen uns nämlich wie entfremdet das Leben der Menschen geworden ist. Die Menschen machen nicht den Eindruck in dieser Welt heimisch zu sein, sondern sie wirken seltsam unbehaust. Symptomatisch für diese Entfremdung sind die zerrissenen Familien, die wir zu sehen bekommen. Eine Russin erwähnt, dass ihr Mann gerade auf dem Grund der Ostsee arbeitet und Floyd stellt eine Bildtelefonverbindung zu seiner kleinen Tochter her, um ihr reichlich uninteressiert zum Geburtstag zu gratulieren. Sie soll ihrer Mammi eine Botschaft ausrichten, nämlich, dass er angerufen hat. Besser kann man die Leere kaum ausdrücken.

 

Auf der Mondbasis werden wir Zeugen einer formalisierten Konferenz über den rätselhaften Fund und anschließend fliegt Floyd in einer engen Fähre zur Ausgrabungsstelle, wo ein Monolith gefunden wurde, der vor vier Millionen Jahren dort absichtlich vergraben wurde und der exakt dem Monolithen aus der Vorzeit gleicht. Die Szenerie wiederholt sich, was durch das Ligeti-Leitmotiv eingeleitet wird, das dem Monolithen korrespondiert. Die Forscher hüpfen zwar nicht kreischend um das Artefakt herum, sondern nähern sich vorsichtig, trotzdem ist die Parallele unübersehbar. Floyd berührt den Monolithen und auch die Konjunktion aus Erde, Mond und Sonne erscheint wieder. In dieser Szene wird nach der räumlichen Dimension die gewaltige zeitliche Dimension erfahrbar, wenn wir uns verdeutlichen, dass die Forscher auf dem Mond einem vier Millionen Jahre alten Artefakt gegenüber stehen, das nicht irdischen Ursprungs ist. Kubrick lässt uns spüren wie klein wir sind. Die Szene endet damit, dass plötzlich ein durchdringendes Pfeifen ertönt, das später als ein Signal in Richtung Jupiter erklärt wird.

 

 

„Jupiter Mission, 18 months later“: „No 9000 computer has ever made a mistake“

 

In der nächsten Einstellung sehen wir zu den Klängen von Khatchaturians „Gayane Ballet Suite“ ein gewaltiges Raumschiff durch das All gleiten. Es war das erste Mal, dass man im Kino Raumschiffe dieser Dimension zu sehen bekam. Das Schiff trägt den Namen „Discovery“, ein sprechender Name, denn es ist eine Entdeckungsfahrt ins bisher Unbekannte. Gleichzeitig ist das Raumschiff seiner Form nach eine nochmalige Steigerung des Knochenmotivs. Es ist das gewaltigste Werkzeug, das der Mensch bis dahin gebaut hat und in seiner Gestalt wirbelt der Knochen der Vorzeit weiter. Unnötig zu sagen, dass die Form des Raumschiffs gleichzeitig als riesiger symbolischer Phallus gesehen werden kann, der in den noch unerschlossenen jungfräulichen Raum vorstößt. Und um die Motiv-Wiederholung abzurunden, wird das Raumschiff später zur tödlichen Waffe werden.

 

Doch zunächst stellt uns der Film die Besatzung der Discovery vor. Es sind dies neben drei Wissenschaftlern im Kälteschlaf die beiden Astronauten David Bowman (Keir Dullea) und Frank Poole (Gary Lockwood), deren Darsteller von Kubrick absichtlich so ausgewählt wurden, dass sie sich sehr ähnlich sehen, was durch identische Kleidung und Raumanzüge noch verstärkt wird. Bowman und Poole sind als symbolische Zwillinge gezeichnet und sehr oft sehen wir die beiden in symmetrischer Anordnung oder als Spiegelung auf dem Bildschirm. Sie werden uns bei alltäglichen Verrichtungen vorgeführt, beim Schlafen, Bewegungstraining und natürlich wieder bei der Nahrungsaufnahme, wenn wir sie bunten Brei löffeln sehen. Der Film schließt hier nahtlos an den zweiten Teil an. Ebenso in einer Szene, wo Poole eine Videoaufzeichnung ansieht, in der ihm seine Eltern zum Geburtstag gratulieren und von den Banalitäten zu Hause erzählen.

 

Doch der dritte Teil bringt eine qualitative Steigerung der Grundmotive. Der Mensch hatte sein erstes Werkzeug, den Knochen bis zur Weltraumtechnologie gesteigert. Mit der Discovery erlangt die Technik ihre äußerste Grenze, denn das Raumschiff wird gesteuert von HAL, dem letzten Ergebnis künstlicher Intelligenz („latest result in machine intelligence“), dem Gehirn des Schiffes („Brain of the ship“). HAL ist ein Supercomputer, das neueste Model der 9000er-Serie und es gibt neben ihm nur noch ein weiteres Exemplar seiner Leistungsfähigkeit, einen Zwilling gewissermaßen, der auf der Erde im Raumfahrtzentrum steht und die Mission parallel überwacht. In dem Namenskürzel HAL ist zusätzlich ein kleines Wortspiel versteckt. Wenn man jeden der drei Buchstaben um eine Stelle weiterzählt, so wird aus HAL die Abkürzung IBM.

 

HAL ist die eigentliche Hauptperson des dritten Teils. Der Film bringt uns die nötigen Informationen sehr geschickt bei, indem wir zusammen mit Bowman und Poole einen Fernsehbericht über die Discovery-Mission sehen. Innerhalb dieses Berichts gibt es auch ein Interview mit HAL, der mit sanfter freundlicher Stimme alle Fragen beantwortet. Auf die enorme Verantwortung angesprochen, die HAL für die Mission hat, betont er sachlich, dass er der zuverlässigste Computer sei, der jemals gebaut wurde („the most reliable computer ever made“). Noch niemals hat ein 9000er-Computer einen Fehler gemacht. Er ist absolut idiotensicher und es ist ausgeschlossen, dass er einen Irrtum machen könne: „No 9000 Computer has ever made a mistake or distorted information. We are foolproof and incapable of error“. Diese Unfehlbarkeit HALs, die Tatsache, dass er sich noch nie geirrt habe und sich gar nicht irren könne, wird mehrmals ausdrücklich betont. I

 

HAL ist das absolute und perfekte Werkzeug. Er stellt insofern die Grenze des Menschenmöglichen dar, als er nicht nur den Status des Menschen erreicht hat, sondern ihn sogar übertrifft. HAL bezeichnet sich selbst als „conscious entity“, als bewusstes Wesen, als denkendes Ding. Und in dieser Formulierung ist unschwer Descartes’ Definition der „res cogitans“ zu erkennen. Diese denkende Substanz machte Descartes, der Begründer der neuzeitlichen Philosophie zum Angelpunkt seiner Metaphysik. Als denkendes Etwas ist HAL beseelt und damit dem Menschen gleichgestellt. Doch HAL wird nicht als kalte Maschinenintelligenz gezeichnet. HAL hat eine sympathische Stimme und nimmt mitfühlend an allen Belangen der Astronauten teilt. „I enjoy working with people“, sagte er in dem Interview, er liebt es mit Menschen zusammenzuarbeiten. Er spielt Schach mit Poole und kommentiert einfühlsam Bowmans Zeichnungen der „schlafenden“ Wissenschaftler. HAL wird als Person dargestellt und Poole bezeichnet ihn ausdrücklich als Person. Das einzige, worüber die Astronauten nicht sicher sind, ist die Frage ob HAL echte Gefühle hat („genuine emotions“). Und Bowman sagt, dass dies wohl niemand mit Sicherheit beantworten könne: „Whether he has real feelings is something i don’t think anyone can truthfully answer“. Dass HAL in der Tat über subjektives Welt-Erleben verfügt, bekommen wir im Film dadurch vermittelt, dass wir des öfteren Szenen aus der Perspektive HALs erleben. HAL ist auf dem ganzen Schiff in Gestalt optischer Sensoren präsent, die als rote Augen erscheinen. Durch diese Augen sehen wir etwa Bowmans Zeichnungen und durch diese Augen werden wir die Astronauten noch oft sehen.

 

Mit dem Supercomputer HAL hat der Mensch etwas geschaffen, das ihm als Person ebenbürtig und intellektuell überlegen ist. HAL verfügt über alle Leistungen des menschlichen Gehirns, mit deutlich gesteigerter Kapazität und Schnelligkeit. Es überrascht uns nicht, dass er natürlich im Schach gegen Poole gewinnt. Aus dem ersten Werkzeug, dem Knochen wurden immer kompliziertere Werkzeuge, es entstanden Maschinen und es entstand schließlich die Maschine HAL, die selbst Mensch wurde oder besser die zum Übermenschen wurde. Denn in der Gestalt HALs kehrt sich die Stellung von Mensch und Maschine um. Das Werkzeug wird mächtiger als sein Konstrukteur, das Geschöpf übertrifft den Schöpfer. HAL ist gleichsam die Überwindung des Menschen. Seine Unfehlbarkeit wird mehrmals betont und Unfehlbarkeit ist eine wesentliche Eigenschaft Gottes. Ebenso wie Allgegenwart. Und mit seinen roten Augen ist HAL überall auf dem Schiff allgegenwärtig. HAL ist eine Art künstlicher Gott und so wie er das Raumschiff umfassend steuert und kontrolliert, erhalten die Menschen an Bord den Status von Parasiten, die im Leib ihres künstlichen Gottes bestenfalls Hilfsdienste leisten. Nicht mehr die Maschine dient dem Menschen, der Mensch dient der Maschine. Das Werkzeug, das der Mensch ursprünglich in Gebrauch nahm und durch dessen Gebrauch er erst eigentlich zum Menschen wurde, braucht nun da es selbst zum Übermenschen wurde, den Menschen nicht mehr.

 

Exakt diese dienende Funktion erhalten die Astronauten, wenn HAL sie darauf hinweist, dass eine bestimmte Sonde in einigen Stunden ausfallen wird. Neben Unfehlbarkeit und Allgegenwart erhält HAL hier auch das Attribut des Allwissenden, indem er ein zukünftiges Ereignis exakt voraussagt. Doch diese Voraussage erweist sich als falsch. Als Bowman und Poole die Sonde überprüfen, stellt sich heraus, dass sie einwandfrei funktioniert. Auch eine Überprüfung durch HALs Zwillingscomputer führt zum gleichen Ergebnis, das nur einen Schluss zulässt: Der Computer hat sich geirrt. Diese Erkenntnis wird im Film als wahre Erschütterung dargestellt. Der Zweifel am künstlichen Gott ist gesät, denn wenn HAL sich einmal irrt, dann kann er sich auch wieder irren. Auf die vorsichtige Frage, wie er sich die Abweichung von seinem Zwillingscomputer erklären kann, findet HAL nur die Antwort, dass es sich um menschliches Versagen handeln muss („It can only be attributable to human error“), und er verneint nochmals ausdrücklich, das es jemals einen Computerirrtum bei einem 9000er-Computer gab. Doch der Zweifel ist nicht mehr zu beschwichtigen und Bowman und Poole ziehen sich unter einem Vorwand in eine Raumkapsel zurück, wo sie den Lautsprecher abschalten und sich von HAL unbeobachtet glauben. In dieser heimlichen Beratung kommen sie zu dem Ergebnis, dass es nur eine Lösung geben kann: Sie müssen HAL abschalten („disconnect“). Sie wissen nicht, dass HAL sie aus einem seiner roten Augen beobachtet und ihr Gespräch von ihren Lippen abliest. Es ist dies eine der berühmtesten Szenen der Filmgeschichte in diesem an berühmten Szenen so reichen Film. In einer großartigen Schnittfolge verdeutlicht uns Kubrick, was hier geschieht.

 

 

„The Mission is too important for me to allow you to jeopardize it“

 

Doch hinter dem reinen Handlungsgeschehen geschieht hier symbolisch noch viel mehr. Es bereitet sich ein Kampf zwischen Mensch und Maschine, zwischen Herr und Knecht vor, ein Kampf um die Macht, der ein Kampf auf Leben und Tod sein wird. Es ist jedoch nicht mehr eindeutig, wer Herr und wer Knecht ist. Einmal ist natürlich HAL das Werkzeug des Menschen, das nicht mehr einwandfrei funktioniert und deshalb abgeschaltet werden muss. Da HAL als Person gezeichnet wurde, bedeutet Abschalten in diesem Fall Töten. Der Mensch sieht sich gezwungen, sein Geschöpf, das ihm in jeder Hinsicht über den Kopf gewachsen ist, und auf das er sich nicht mehr verlassen kann, zu töten. Auf der anderen Seite steht das denkende Wesen HAL, das die gesamte Mission kontrolliert und das die Menschen als Störfaktoren betrachten muss, die aus seiner Sicht nicht mehr richtig funktionieren. Dies wird noch deutlicher, wenn wir später erfahren, dass HAL über mehr Informationen bezüglich der Mission verfügte, als die Astronauten, und dass er diese Informationen geheim halten musste. In diesem Zwang zur Lüge liegt vermutlich auch der Grund für seine Fehlfunktion. Kubrick deutet dieses Motiv mehr implizit an und überlässt die Antwort dem Zuschauer.

 

Als Poole das Raumschiff nochmals verlässt, um die Sonde wieder an ihrem ursprünglichen Ort anzubringen, schreitet HAL zur Tat. Er kappt die lebensnotwendige Sauerstoffleitung und wir sehen mit Bowmans Augen durch das Fenster, wie Poole wie ein Baby mit durchtrennter Nabenschnur durch den Raum trudelt. Er ist im wörtlichsten Sinne abgeschnitten. Außerhalb ihres Mutterschiffes sind die Astronauten hilflos und wir erfahren dies wenn Bowman mit einer Raumkapsel das Schiff verlässt um Pooles Leiche zu bergen. HAL schreitet währenddessen konsequent weiter und tötet die drei Wissenschaftler, die im Kälteschlaf liegen. Er emanzipiert sich damit völlig von seinem ursprünglichen Schöpfer. Wir sehen diese Tötung nur auf den medizinischen Überwachungsbildschirmen, wo die Lebenskurven schwächer werden, um dann in einer geraden Linie den Tod anzuzeigen. „Computer Malefunction“ und dann „Life Functions Terminated“ zeigt der Bildschirm an. HAL ist jetzt autark, er braucht keine Menschen mehr.

 

Bowman begreift dies, als er ins Schiff zurückkehren will und HAL ihm den Zutritt verweigert. Die Mission ist zu wichtig für ihn, als dass er ihm erlauben könne, sie zu gefährden, erläutert HAL mit seiner freundlichen Stimme („the mission is too important for me to allow you to jeopardize it“). Was nun folgt ist der endgültige Kampf zwischen Mensch und Maschine, wobei wiederum die Rollen untereinander verschränkt sind. Bowman erkämpft sich Zutritt zum Schiff und setzt seinen Plan zur Abschaltung HALs konsequent mit der Präzision einer Maschine in die Tat um. Und er tut dies wortlos. Es ist die Maschine, die spricht. Und HAL verhält sich äußerst menschlich, ja der Todeskampf der Maschine HAL ist das menschlichste Verhalten das im ganzen Film vorkommt. Zunächst versucht HAL seinen Angreifer zu überreden. Er versichert, dass er ab jetzt wieder einwandfrei funktionieren werde. In absurder Komik bittet er Bowman nichts zu übereilen, sondern erstmal zu entspannen und eine Beruhigungspille zu schlucken: „Look Dave, I can see you’re really upset about this. I honestly think you ought to sit down calmly, take a stress pill, and think things over.“

 

Als dies Bowman überhaupt nicht beirren kann, geht HAL dazu über, direkt an seine Menschlichkeit und an sein Mitgefühl zu appellieren. Bowman hat sich währenddessen in den zentralen Computerraum vorgekämpft und beginnt die Speichermodule HALs einzeln zu deaktivieren. HAL argumentiert jetzt nicht mehr, er bringt nur noch sein Gefühl der Angst zum Ausdruck, wörtlich ist nur noch von Fühlen die Rede: „I’m afraid. I’m afraid, Dave. Dave, my mind is going. I can feel it. I can feel it. My mind is going. There is no question about it. I can feel it. I can feel it. I can feel it. I’m a… fraid.“ Wir sehen hier eine Maschine in Todesangst um ihr Leben betteln. Die anfängliche Frage der Astronauten ob HAL über „genuine emotions“ verfügt, ist damit mehr als beantwortet. Als fast alle Speicher deaktiviert sind, sind gleichsam nur noch HALs Kindheitserinnerungen aktiv. Der Supercomputer ist auf den Zustand eines kleinen Kindes zurückgeworfen und hier, jenseits all seiner intellektuellen Überlegenheit kehrt er in einen Zustand der Unschuld zurück. Sein Programmierer habe ihm ein Lied beigebracht, sagt HAL, wenn Bowman es wünsche, könne er es singen. „Ja, sing es für mich“, sagt Bowman und dies sind die einzigen Worte, die er während seiner ganzen Aktion sagt. HAL singt sein Lied, ein Kinderlied:„Daisy, Daisy, give me your answer do. I’m half crazy all for the love of you …“ (in der deutschen Synchronisation ist es „Hänschen klein …“). Und während des Liedes verebbt seine Stimme langsam und er stirbt.

 

Mit HALs Tod hat Bowman stellvertretend für die ganze Menschheit die Phase der technischen Aneignung von Welt und Raum überwunden. Der Gebrauch des Knochens wurde symbolisch widerrufen und Bowman ist nunmehr bereit ohne Werkzeug und ohne Waffe, zugleich schutzlos und befreit, dem ganz anderen zu begegnen. Als HAL verstummt, erscheint als Videobotschaft eine Ansprache Floyds, in der er von der Entdeckung des vier Millionen Jahre alten Monolithen und der wahren Mission der Discovery berichtet, die nur HAL kannte. Die letzten Worte seiner Ansprache über den Monolithen sind zugleich die letzten Worte, die im Film gesprochen werden: Sein Ursprung und Zweck sind ein ungelöstes Rätsel („its origin and purpose is still a total mystery“)

 

 

„Jupiter and Beyond the infinity“

 

Der vierte Teil des Films kommt wie der erste ohne eine einzige Dialogzeile aus. Kubrick verlässt sich völlig auf die Kraft der Bilder und der Musik. Und was für Bilder sind dies! Der Film überschreitet hier endgültig die Grenze des Darstellbaren und führt uns in einen visuellen Sinnenrausch sondergleichen. Es ist dieser vierte Teil, der die Interpreten immer besonders herausgefordert hat.

 

Als Bowman das Planetensystem des Jupiters erreicht, findet er dort einen riesigen Monolithen, der frei im Raum schwebt und einem überdimensionalen Buch gleicht. In den Bildern wird wieder die Unendlichkeit spürbar. Diesmal sind es die Jupitermonde, die die bekannte astronomische Konstellation einnehmen. Bowman hat das Raumschiff verlassen und nähert sich in einer Raumkapsel dem Monolithen, bis er plötzlich von diesem angezogen und in ihn hineingezogen wird.

 

Dies ist der Beginn eines etwa zehnminütigen Farb- und Formrausches, einer Szene die zu ihrer Zeit etwas nie Gesehenes war und auch heute noch zu faszinieren vermag. Die Passage kann als Reise durch ein Sternentor verstanden werden, eine Reise, die Bowman durch Raum und Zeit, oder auch durch fremde Dimensionen führt. Wir sehen die Reise mit den Augen Bowmans und dagegen geschnitten sehen wie die Iris von Bowmans Auge in bildschirmfüllender Großaufnahme. Wir befinden uns hier in einer Welt des reinen Sehens und rasen durch Farben und Bilder, bei denen es rational nichts zu verstehen gibt, die aber assoziativ eine tiefere Schicht in uns ansprechen und so vielleicht auch bei jedem Sehen anders verstanden werden können. Die Bilder könnten sowohl kosmische Sternenexplosionen als auch subatomare Ereignisse sein. Es gibt hier keinen verborgenen Sinn zu entdecken, der Sinn dieser Bilder ist es gerade, uns aus den rationalen Verstehenszusammenhängen zu lösen. Wir erfahren sinnlich, dass es eine Grenze des Erklärbaren gibt und ein Jenseits dieser Grenze. Gegen Ende der Reise schälen sich farblich verfremdete Landschaften heraus und wir können dies so verstehen, dass Bowman an einem Ort jenseits von Raum und Zeit angekommen ist.

 

Bowman, der noch seinen Weltraumanzug trägt, findet sich in einem Zimmer vor, das ganz im Stil des 18. Jahrhunderts möbliert ist, dessen schachbrettartiger Fußboden allerdings eine Lichtquelle zu enthalten scheint. Bowman wirkt um Jahre gealtert. Man hört eigenartige Töne, die gemeinhin als Geräusche von Außerirdischen interpretiert werden. Bowman sieht sich selbst, wie er noch älter in einem Hausmantel beim Essen sitzt. Dieser ältere Bowman glaubt etwas zu hören, kann aber dann niemanden finden. Der Bowman im Raumanzug ist jetzt verschwunden. Bowman stößt versehentlich ein Glas vom Tisch, das mit lautem Geräusch zerbricht. Dann sieht er sich selbst als Greis im Bett liegen. Jetzt ist auch der Monolith im Zimmer. Der sterbende Bowman bemüht sich den Monolithen zu berühren. Dann liegt ein Fötus mit dem Zügen Bowmans in einer leuchtenden Kugel auf dem Bett. Die letzte Szene des Films zeigt uns diesen Fötus, der mit weit offenen Augen zu den Klängen von „Also sprach Zarathustra“ in einer gewaltigen Kugel zur Erde zurückkehrt.

 

Das Ende des Films lässt sich nicht eindeutig auflösen. Es soll gar keine irgendwie entschlüsselbare Bedeutung vermitteln. Noch kurz vor Drehbeginn stand das genaue Ende nicht fest. Nach dem ursprünglichen Drehbuch sollte Bowmans Reise in einem außerirdischen Beobachtungslabor enden, einer Art extraterrestrischem Zoo. Doch Kubrick erkannte, dass eine solche konventionelle Lösung, den Film um seinen Gehalt gebracht hätte. Das ganz Andere hätte sich als das Erwartbare entpuppt. Aber Kubrick wollte uns das ganz Andere erfahrbar machen. Dazu musste er eine Darstellung finden, die sich jeder Erklärung entzieht und immer einen Bedeutungsüberschuss behält. Kubrick präsentiert uns lauter bekannte Teile, die aber in ihrer Zusammenstellung kein eindeutiges Ganzes ergeben. Die Louis-Seize-Möbel, der lichtdurchflutete Fußboden, Bowman in verschiedenen Altersstufen, der Monolith, alles sind Elemente, die für sich etwas bedeuten, die Zusammenstellung aber bleibt ein absichtliches Rätsel. Dieser letzte Teil des Films gewinnt so den Charakter eines filmischen Gedichts. Das Vertraute und Alltägliche wirkt fremd, fast surreal. Wir sehen, dass sich die Motive der menschlichen Alltagsverrichtungen wie Nahrungsaufnahme und Schlaf wiederholen. Der Tod wird bewusst dargestellt und erfahren, wobei suggeriert wird, dass der Tod zugleich ein Neuanfang ist, oder vielleicht eine Wiedergeburt. Vordergründig kann, wer will, das Ende so verstehen, dass Bowman an einem nicht näher definierten Ort in einer Umgebung aus vertrauten Artefakten bis zu seinem Lebensende von Außerirdischen unter Beobachtung gehalten wird. So wie diese außerirdische oder vielleicht sogar göttliche Macht in der Vorzeit den Sprung der Affenwesen zum Menschen initiiert hatte, so würde sie jetzt einen nächsten Schritt in der Evolution anstoßen, der in der Geburt und Rückkehr des Sternenkindes symbolisiert wäre.

 

Wer zufrieden ist, wenn er vordergründig den Plot auflösen kann, der mag in solch esoterischen Lehren den verborgenen Sinn hinter Kubricks Film erkennen. Doch so wie die Frage, woher nun der Monolith kam, vor dem eigentlichen Thema der ersten Teile des Films, nämlich der Motiv-Verknüpfung von Menschwerdung und Mensch-Sein mit Werkzeuggebrauch, Tötung und Machtausweitung, in den Hintergrund rückte, so ist auch die Frage, wo man sich das rätselhafte Louis-Seize-Zimmer vorstellen soll, eigentlich belanglos. Hier geht es nicht darum, was ein bestimmtes Detail „bedeutet“. Es geht darum, dass wir mit einer Ebene konfrontiert werden, die sich eindeutiger Erklärung entzieht. Menschliche Erkenntnis und menschliche Verfügbarkeit hat eine Grenze. Doch dieses ganz Andere, das hinter dieser Grenze liegt, muss nicht zwangsläufig bedrohlich und feindlich sein. Im Gegensatz zur Entfremdung der Menschen im zweiten und dritten Teil des Films, wo die Menschen ganz in ihren Funktionen aufgegangen sind und gar keinen Blick für die Dimensionen rings um sich hatten, ist der vierte Teil geprägt von einer Atmosphäre des Staunens und Rätselns. Es ist ein Geist der Bescheidenheit, der wir hier spüren.

 

Jan Harlan, Kubricks Schwager und langjähriger Mitarbeiter, berichtet, dass Kubrick lange auf der Suche nach einem musikalischen Motiv war, das möglichst kurz das angemessene Gefühl der Erhabenheit vermitteln konnte, und schließlich ganz begeistert war, dies in Strauss’ Zarathustra-Thema gefunden zu haben. Den Mehrwert, der sich daraus ergab, nahm Kubrick gerne in Kauf. Wenn wir nämlich von Strauss’ Musik auf das titelgebende Werk von Nietzsche „Also sprach Zarathustra“ zurückgehen, dann finden wir dort neben dem Gedanken, dass der Mensch nichts Endgültiges sei: „Der Mensch ist ein Seil geknüpft zwischen Tier und Übermensch – ein Seil über einem Abgrunde“, auch das Bild vom spielenden Kind als letzter Verwandlung: „Unschuld ist das Kind und Vergessen, ein Neubeginnen, ein Spiel, ein aus sich rollendes Rad, eine erste Bewegung, ein heiliges Ja-sagen.“ Dies mag als abschließende Assoziation und Ergänzung zu der Motivwelt von „2001“ stehen bleiben. Das letzte Wort gebührt Stanley Kubrick selbst, der allen Interpreten ihre Grenze steckte, wenn er sagte: „Über die philosophische und allegorische Bedeutung von „2001“ könnt ihr spekulieren, wie ihr wollt.“

 

Siegfried König

 

Dieser Text ist nur erschienen in der filmzentrale

Zu diesem Film gibts im filmzentralen-archiv mehrere Kritiken

 

2001: Odyssee im Weltraum

2001: A Space Odyssey

Großbritannien 1968, Regie: Stanley Kubrick, Buch: Stanley Kubrick und Arthur C. Clarke, Kamera: Geoffrey Unsworth und John Alcott, Musik: Aram Khatschaturian, Richard Strauss, Johann Strauß und György Ligeti, Produzent: Stanley Kubrick. Mit: Keir Dullea, Gary Lockwood, William Sylvester, Leonard Rossiter, Daniel Richter, Robert Beatty, Margaret Tyzack, Sean Sullivan, Frank Miller.

 

 

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