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196
bpm
Drei
Szenen von der „Love Parade“ – anders als im Fernsehen. Dies gelingt Romuald
Kamarkar in den ersten beiden Szenen seines Videotagebuch-Eintrag „196 bpm“
hervorragend. Ein paar zerfasert abhängende Gestalten machen den Anfang.
Im Hintergrund der Schriftzug des „Linientreu“ – höchst unglamouröses
Gelände. Die Kamera verliebt sich in einen Tänzer mit einer silbernen
„77“ auf dem T-Shirt, ein süßer Knilch. Dann „Gabba“ auf dem Breitscheid-Platz.
Der Name passt. Der Mann von Getränkewagen klopft den Beat mit der Gabel
auf den Regenschutz. Ein Heini mit silbern-ovaler Brille, die schon scheiße
aussah, als sie vor elf Jahren modern war, trinkt ein Bier. Ein nackter Rücken
mit der Tätowierung Hardcore schiebt sich bildfüllend vors Objektiv.
Nervöse Prolls, ungroovy, aber sehr spannend. Jedem möchte man folgen.
Jetzt auch ein paar Mädchen. Irgendwas Unangehmes oder Spannendes liegt
in der Luft. Oder Langeweile. Eine kleine Hubert-Fichte-Erzählung hat gerade
ihren Lauf genommen.
Dann
aber der Schnitt zu DJ Hell, live at the WMF. Die restlichen Dreiviertel des
einstündigen Films gehören ihm. Man könnte sagen, nach vollkrasser
Rezeptionsästhetik, jetzt mal die Produktionsästhetik. Hell macht,
was DJs so machen. Der Track wird losgeschickt und erst mal angetanzt. Dann
dauert es. Am Bildrand wogen Menschen wie das Meer bei Murnau. Aber im Zentrum
beugt sich wieder Hell übers Mischpult und marschiert, als würde er
den Beat jetzt physisch hervorbringen. Dann ein Schluck. Kopfhörer runter,
Schweiß abwischen. Ein paar Worte zu Kumpels. Dann unter den Tisch, die
Crate durchflöhen und was Neues auflegen. Wieder emphatisches Höhenrausdrehen
und Höhenreindrehen.
Man
ist aber entweder vorher schon Fan oder wird es auch durch diesen Film nicht
mehr. Nicht dass der schlecht auflegt, im Gegenteil, aber sein gewöhnungsbedürftiges
Elektroseppl-Charisma erschließt sich erkennbar nur dem Kameramann, nicht
der Kamera. Man möchte stattdessen mehr von diesem in sich selbst verliebten
Mädchen hier oder diesem kritischen Dreadlockjungen da sehen und von den
anderen, die sich ganz glänzend amüsieren. Oder von denen, die hinter
dem Pult abstehen und Backstagepässe spazieren führen und irgendeinen
Job machen, eine dieser wartenden Tätigkeiten, auf denen die ganze Musikindustrie
basiert. Aber dafür muss man seinen Blick tief in den Hintergrund bohren.
Dabei ist es doch unhöflich, die ganze Zeit so den DJ anzustieren.
Diedrich
Diederichsen
196
bpm
Deutschland
2003
Regie:
Romuald Karmakar
Drehbuch:
Romuald Karmakar
Darsteller:
Helmut Geier (als DJ Hell)
Kamera:
Romuald Karmakar
Schnitt:
Uwe Klimmeck
Produktion:
Pantera Film [de]
Verleih:
Pantera Film [de] (2003) (worldwide)
Länge:
60 min
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