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1492
– Die Eroberung des Paradieses
Wie,
um die Frage noch einmal aufzunehmen, die am Anfang der Rezension von John Glens
„Columbus"-Film
stand (epd Film 10/92), kann ein Film über eine Gestalt aussehen, mit der
Elend, Völkermord und Unterdrückung für einen Kontinent begann?
Glens Film hat darauf keine rechte Antwort gegeben; er hat naiv und, meiner
Meinung nach, durchaus ehrbar, eine Heldengeschichte zu erzählen begonnen,
um sie dann, fast erschrocken, zu demontieren. Ridley Scott geht ohne Bescheidenheit,
ohne Skrupel, ohne Reflexion den anderen Weg. Er bastelt und malt mit ungeheurem
Aufwand am Mythos herum, bis Columbus wieder der verlorene Held zwischen Abendland
und Neuer Welt, zwischen Mittelalter und Neuzeit ist, der tragische Kolonialist,
wie wir ihn gewohnt sind, der das Gute gewollt hat, dem aber das Paradies zur
Hölle werden mußte, weil er zu viele Widersprüche aus der alten
Welt mit sich brachte. Und während sich, mit welchem Geschick auch immer,
Glen darum bemühte, so etwas wie ein Panorama des Geschehens zu entwerfen,
geht es Scott vor allem um einen Menschen, einen überlebensgroßen
Menschen, und das heißt, der Film handelt auch von einem darstellerischen
Mythos, von Gerard Depardieu als melancholischem Vitalisten.
Am
Anfang sitzt Christopher mit seinem Sohn Fernando am Felsenufer in der Brandung
und erklärt anhand eines am Horizont verschwindenden Segels und einer halbgeschälten
Apfelsine seine Vorstellung von der Beschaffenheit der Welt: Sie ist rund. Schon
in dieser Szene ist eigentlich alles klar: die gewaltige Natur wird von einem
rastlosen Menschen mit einer Vision bezwungen, der den Begrenzungen seiner Zeit
und seiner Gesellschaft entkommt. Alle weiteren Episoden, alle Handlungspartikel,
alle Dialoge, alle Bildkonstruktionen, alle Symbole haben, so scheint es, nur
die eine Aufgabe, diesen Mythos vom Übermenschen zu festigen, dessen einzige
Fehler sein ungestümes Temperament und die Rücksichtslosigkeit sind,
die man nun einmal für eine große Sache braucht. So macht er sich
am Hofe, an der Universität von Salamanca und in der Kirche zwar mehr Feinde
als Freunde, findet aber auch immer wieder die Menschen, die an seine große
Idee glauben, allen voran die Königin. Was da knistert zwischen Sigourney
Weaver und Gerard Depardieu ist nur das Papier des Drehbuchs. Wie weit sein
Held sich schon von seiner finsteren Zeit entfernt hat, die Scott als Dualität
enger, durch ein Übermaß an Feuer an allen Ecken und Enden durchaus
höllischer Innenräume und weiter Landstriche sieht, zeigt der Regisseur
an der ignoranten Abscheu Columbus’ gegenüber einer Hexenverbrennung und
gegenüber der Zerstörung der islamischen Kultur von Granada durch
die Reconquista.
Dann
stechen die drei Schiffe in See, was wiederum nicht ohne viel Feuerschein und
Lichteffekte abgeht. Unterwegs, das kennen wir, kommt es beinahe zur Meuterei,
aber Columbus weiß seine Männer noch einmal mitzureißen. Und
bald darauf künden die vom Feuer angezogenen Insekten vom nahen Land. Aus
dem morgendlichen Nebel erscheint das Paradies, und Columbus betritt es in einer
endlos gedehnten Szene von Triumph und Dankbarkeit. Blumen, Blätter, Vögel
und Schlangen sind zu sehen in diesem Paradies, von dem der Held gleich zu schwärmen
beginnt. Nicht mit Gewalt wolle er diesen Garten Eden regieren, und keiner seiner
Männer solle sich eines Übergriffs schuldig machen, schreibt er nieder.
Hinauf durch den Wald müssen die Männer, um den Himmel zu erreichen
und um uns im zweiten Teil an die Topographie zu erinnern, wenn sie Unschuld
und Paradies verloren hat.
Man
begegnet den „Wilden" und findet in gemeinsamem Gelächter zueinander.
Man lebt friedlich, ein wenig mißtrauisch werden die Menschen schon, als
Columbus ihnen ankündigt, es werden noch viel mehr Männer seiner Art
kommen. Wozu? Um das Christentum zu bringen, und Medizin. Da haben sich Scott
und seine Drehbuchautorin Roselyne Bosch glatt ein wenig Ironie erlaubt, denn
gerade haben die „Indianer" den Weißen durch ihre Medizin geholfen.
Frohen Herzens verläßt Columbus die Insel und die Leute, die er zurückläßt.
Soweit
die traditionelle Geschichte, die Scott bis hierher als beeindruckenden und
ignoranten Bilderbogen inszeniert hat. Im zweiten Teil des Films, der der interessantere
hätte werden können, weil er nicht von einem Entdecker, sondern eben
von einem Kolonialisten handelt, setzt Ridley Scott seine zweifellos vorhandene
Bildmächtigkeit ganz und gar in den Dienst der Heldenverehrung. Dieser
Columbus ist nie Täter, immer nur tragisches Opfer, und das Scheitern seiner
Träume bestätigt nur deren Wert: Columbus hat Amerika erträumt.
Und wie noch in jeder kolonialen Legende sind es nicht die Widersprüche
zwischen den Kolonisatoren und den Kolonisierten, die aus dem Paradies die Hölle
machen, sondern Widersprüche zwischen verschiedenen Fraktionen der Kolonialisten.
Kein
Zweifel, Ridley Scott ist voller Bewunderung für diesen Mann, den er uns,
irgendwo auf einer Linie zwischen John Ford und Werner Herzog, zugleich als
romantischen Aufklärer, als Besessenen und als Propheten von Freedom and
Democracy zeigt. „Er war ein helles Licht in einer dunklen Zeit", sagt
er, und der ganze Film wirkt, als diene er der Illustration dieser bescheidenen
Prämisse: eine wahre Fundgrube für die Symbol- und Subtext-Forschung.
Kalkulierteste Bilder, die immer auf verschiedenen Ebenen etwas bedeuten, die
einander vorwegnehmen, wiederholen, kommentieren, lüden dazu ein, liefe
nicht alles auf eine so unergiebige Eindeutigkeit hinaus. Columbus errichtet
eine Stadt im Dschungel; das Anbringen der Glocke wird als ein heroischer Akt
gezeigt, Christentum und Freiheit in einem Kult vereint, bei dem der Held sein
Werk noch einmal, ganz Körper und ganz Symbol, wiederholen darf. Weil es
nicht gelingt, muß er das Pferd des Adeligen requirieren, zum Arbeitstier
degradieren, und er erzeugt damit endgültig dessen Haß, der schließlich
in die Katastrophe führen wird: eine Fraktion der Kolonialisten mit ihren
„Verbündeten" steht gegen die andere Fraktion mit ihren „Verbündeten".
Als wäre alles, von Moses über die amerikanische Revolution und den
Bürgerkrieg bis zur Eroberung des Weltraums, mit der Scott nicht umsonst
die Fahrten des Columbus so enthusiastisch vergleicht, schon in dieser Legende
enthalten. Bei dem Versuch, einen Mythos zu schaffen, produziert Scott nur Propaganda.
Am Ende seines Lebens hat dieser Columbus natürlich so wenig verstanden
wie sein Regisseur. Da sitzt er wieder mit seinem Sohn am Meer, in sicherer
Entfernung nun, und der beginnt mit der Niederschrift seines Lebens. Nahtlos
geht der Weg vom Tod des Mannes in die Ewigkeit seiner Legende über, die
Riefenstahls, Trenkers und Veit Harlans hätten es nicht besser machen können.
Wenn
an diesem Film noch etwas zu verderben war, dann hat es der unselige Vangelis
mit seinem zirpenden, grummelnden und blubbernden Soundtrack getan, der seine
Phantasielosigkeit durch Aufdringlichkeit wettmacht und in seiner Unfähigkeit,
wenigstens einmal zu schweigen, den Geist des Films präzis wiedergibt.
Und
1492 ist wohl auch als Unternehmen der Kinomaschine das kolonialistischere Produkt;
die Filmproduktion ließ ein „Eingeborenendorf` nachbauen und holte sich
die Statisten aus den umliegenden Ansiedlungen, Menschen, die zum Teil noch
nie einen Film gesehen hatten und die nun – nicht unberechtigt – Angst hatten,
sie könnten nach ihrer Mitwirkung nicht mehr zurückkehren in ihre
Welt. Und wenn der Regisseur erzählt, wie schwer es gewesen sei, sie dazu
zu überreden, bei einem Werk mitzuspielen, das einem Menschen gewidmet
ist, mit dem ein furchtbares Blutbad, der Tod vieler Vorfahren begann, dann
wird recht deutlich, wie sehr der Kolonialismus nicht Geschichte ist, sondern
ein Geschehen, das sich immer wieder, auf immer neuen Ebenen von Wahrnehmung
und Unterdrückung wiederholt.
Der
Film erfand noch einmal die „Wilden"; zum Teil durch Überredung, durch
Korruption, durch Zwang gar wurde erreicht, daß sie den Lendenschurz wieder
annahmen; der Casting Director, heißt es, habe es ihnen vorgemacht, indem
er selbst im Lendenschurz herumgelaufen sei, und außerdem habe er sein
eigenes Konterfei zur Verfügung gestellt, damit diese reinkarnierten „Wilden"
die Aggression gegenüber dem Eindringling üben konnten. Die Filmproduzenten
sind auf ihre Leistungen so stolz wie Kolonialisten nun einmal stolz auf ihr
Geschick sind, mit den Wilden umzugehen. Der heroische Film über den Anfang
der Zerstörung setzt das Zerstörungswerk fort.
Ridley
Scott hat einen erzreaktionären, strohdummen, auf unschöne Weise kitschigen,
effekthascherischen und noch nicht einmal unterhaltsamen Film geschaffen.
Georg
Seeßlen
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in epd film
11/92
1492
– DIE EROBERUNG DES PARADIESES
1492
– CONQUEST OF PARADISE
USA
1992. R: Ridley Scott. B: Roselyne Bosch. P: Ridley Scott, Alain Goldman. K:
Adrian Biddle. Sch:
William Anderson, Francoise Bonnot. M: Vangelis. T:
Pierre Gamet. Ba:
Norris Spencer. Sp: Kit West. Ko:
Charles Knode. Pg: Percy Main/Legende-Produktion. V: Concorde. L: 140 Min. FBW:
wertvoll. St: 15.10.1992. D: Gerard Depardieu (Christoph Columbus), Sigourney
Weaver (lsabella 1. von Kastilien), Armand Assante (Sánchez), Fernando
Rey (Antonio de Marchena) Angela Molina (Beatriz), Michael Wincott (Adrian de
Moxica), Tcheky Karyo (Martin Alonso Pinzón). Frank Langfella (Santángel),
Loren Dean (Fernando).
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