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12
Uhr Mittags
Hinter
der Fassade
„Do
not forsake me, oh my darlin’
On
this, our weddin’ day
Do
not forsake me, oh my darlin’
Wait
… along
The
noon day train will bring Frank Miller
If
I’m a man I must be brave
And
I must face a man who hates me
Or
lie a coward, a craven coward
Or
lie a coward in my grave.“ (1)
Der
Blick fällt auf eine in düsteren, teilweise grellen Schwarz-Weiß-Grau-Tönen
sich darbietende Landschaft. Tristesse. Drei Männer nähern sich einem
unbedeutenden Nest namens Hadleyville, irgendwo. Es ist ca. 10 Uhr morgens.
Jack Colby (Lee van Cleef), Pierce (Robert J. Wilke) und Ben Miller (Sheb Wooley)
reiten durch Hadleyville. Jeder kennt sie. Vor allem aber kennt jeder Einwohner
den, der gerade nicht in die Stadt reitet, Frank Miller (Ian MacDonald), auf
den die drei anderen warten. Frank Miller soll mit dem Zug um 12 Uhr in Hadleyville
eintreffen. Frank Miller ist ein verurteilter Mörder, der aus unerfindlichen
Gründen begnadigt wurde. Frank Miller wurde vom Marshal der Stadt, Will
Kane (Gary Cooper), vor Jahren gefasst. Und Will Kane gilt der Besuch Frank
Millers. Jeder in der Stadt weiß das, als die drei Ganoven auftauchen.
Und jeder weiß, dass sich Miller an Kane rächen will.
Ein
klassischer Western? Nein, beileibe nicht. Fred Zinnemann (1907-1997), der aus
Österreich stammende Regisseur, der noch vor der Machtübernahme der
Nationalsozialisten in Deutschland in die USA ging, war eher ein Ausnahmeregisseur
in den heiligen Hallen von Hollywood. Bekannt wurde Zinnemann mit „Das siebte
Kreuz“ (1944) nach dem berühmten Roman Anna Seghers, später mit Filmen
wie „Verdammt in alle Ewigkeit“ (1953), „Oklahoma!“ (1955), „Der alte Mann und
das Meer“ (1958), „Geschichte einer Nonne“ (1959), „Der Schakal“ (1973) und
„Julia“ (1977), seinem vorletzten Film.
„Oh,
to be torn ‘tweenst love and duty
S’posin’
I lose my fair-haired beauty
Look
at that big hand move along
Nearin’
high noon
He
made a vow while in state prison
Vowed
it would be my life or his’n
I’m
not afraid of death but oh
What
will I do if you leave me?“ (1)
„High
Noon“ ist in jeder Hinsicht ein Ausnahme-Western. Wir sehen keine blühenden
Landschaften eines glorifizierten Westens und glorifizierenden Westerns, keine
furchtlosen Helden ohne Schwächen, keine lustigen Nester, keine „typisch“
amerikanische Nach-Siedler-Generationen, die sich in Furchtlosigkeit vor den
Gefahren zusammenschweißt und ihre Führer (längst) auserwählt
(hat). Alles läuft anders ab, sieht anders aus und geht anders aus als
etwa in Howard Hawks „Rio Bravo“ (1959), in dem John Wayne – der „High Noon“
als „unamerikanisch“ bezeichnet haben soll – die „uramerikanischen Werte“ verteidigt,
ohne dass Hawks allerdings sämtliche Register des Pathos ziehen würde
(was „Rio Bravo“ wiederum zu einem ansehnlichen Exemplar des Genres werden lässt).
Gary
Coopers Marshal Kane hatte Hadleyville von Banditen gesäubert und alle
sind ihm dankbar. Jetzt, als die drei Ganoven die Stadt betreten, will Kane,
der gerade die um Jahrzehnte jüngere Amy (Grace Kelly) heiratet, die Stadt
verlassen. Morgen soll der neue Marshal kommen. Und mit dem üblichen Hochzeittrara
verlässt das glückliche Paar mit dem Pferdewagen die Stadt. Kane weiß,
dass Miller um 12 Uhr ankommen wird – und kehrt um. Amy versteht nicht warum,
vielleicht will sie es auch nicht verstehen, und will aus Protest gegen ihren
Mann just mit dem Zug, mit dem Miller kommen wird, wegfahren.
Zinnemann
passte die Laufzeit des Films exakt der Zeit der Handlung an. Die Handlung spielt
zwischen 10.30 Uhr und 12 Uhr mittags, der Film hat eben diese Länge von
85 Minuten. Und in diesen knapp eineinhalb Stunden enthüllt sich derart
viel an Schwächen und Verhaltensweisen, dass Zinnemann (bewusst) auf die
üblichen Stilmittel des Genres weitgehend verzichten konnte. Für ihn
war nach eigener Aussage der Western nur die Hülle, unter der sich vor
allem Feigheit und Verrat, Gemeinschaft in Worten, aber Einsamkeit in der Tat
entblößten.
Kane,
der als Marshal weiß, was zu tun ist, der als Mensch aber gleichzeitig
eher zurückhaltend, fast schüchtern wirkt, ist gewissenhaft. Er bräuchte
nicht zurückkehren, sein Job ist erledigt. Nur ein schlafender Betrunkener,
ein Stammgast, liegt noch in der Zelle (Jack Elam). Morgen kommt sein Nachfolger.
Morgen. Eben – erst morgen. Und deshalb kehrt Kane zurück, deshalb, und
weil Frank Miller wegen ihm kommt, schließlich weil Frank Miller die Zustände
wieder herbeiführen könnte, unter denen Hadleyville zu einem Gemisch
aus Kriminalität und Vergnügung verkommen war. Im Saloon, in dem er
Hilfssheriffs anheuern will, machen ihm die
anwesenden
Männer dies mehr als deutlich.
„Do
not forsake me, oh my darlin’
You
made that promise when we wed
Do
not forsake me, oh my darlin’
Although
you’re grievin’
I
won’t be leavin’
Until
I see Frank Miller dead
Wait
along, wait along
Wait
along
Wait
along.“ (1)
Wir
erleben Hadleyville als eine Art zeitlichen Knotenpunkt: Leute werden kommen,
andere gehen oder wollen gehen, der Marshal will eigentlich weg, aber der andere
ist noch nicht da, Kane hat sein Junggesellendasein aufgegeben und geheiratet.
Kane sucht nun die, denen er bislang geholfen hat. Und er findet keinen. Sein
Deputy Harvey (Lloyd Bridges) spielt den „Vernünftigen“ und legt seinen
Stern ab, will, dass Kane die Stadt verlässt und schüttet sich mit
Whisky voll. Alle wollen, dass Kane geht. In der Kirche sucht Kane Hilfe. Doch
Bürgermeister Henderson (Thomas Mitchell) beendet seine flammende Rede
auf den besten aller Marshals mit demselben Rat: Kane, mach dass du fortkommst.
Der Richter (Otto Kruger) sattelt sein Pferd und verschwindet. Und selbst der
andere Deputy Herb (James Millican), der Kane anfangs, um kurz nach 10 Uhr,
noch helfen wollte, flüchtet in seine vier Wände, als er von Kane
hören muss, er habe niemanden sonst gefunden, um gegen Miller zu kämpfen.
Ein anderer (Harry Morgen lässt sich, als Kane kommt, von seiner Frau (Eve
McVeagh) verleugnen.
Der
Schweiß steht Kane auf der Stirn. Aber nicht die Hitze macht ihm vor allem
zu schaffen, sondern die Angst, gegen Miller und seine drei Helfershelfer allein
dazustehen. Die Angst und die Enttäuschung, die bittere Enttäuschung
über Menschen, die sich in ihren Häusern verbarrikadieren. Es wird
ruhig in Hadleyville. Auch Kanes Ex-Freundin Helen Ramirez (Katy Jurado) packt
ihre Koffer – ob aus Angst, Feigheit oder einfach Enttäuschung über
die Einwohner des Ortes und vor allem über ihren Freund Harvey? Wenn sie
Kanes Frau wäre, würde sie ihn nicht im Stich lassen, sagt sie Kanes
Frau Amy ins Gesicht, die nur an ihre Ehe zu denken scheint, aber nicht an ihren
Mann. Warum helfe sie dann Kane nicht, fragt Amy. Sie sei nicht Kanes Frau,
pariert Helen.
Als
selbst der Vorgänger Kanes, Martin Howe (Lon Chaney Jr.) Kane dazu rät,
die Stadt schleunigst zu verlassen, weiß der Marshal, woran er ist. Er
bereitet sich vor, muss noch eine Schlägerei mit Harvey überstehen,
der ihn zwingen will zu gehen.
Gary
Coopers Marshal ist so allein, wie man nur allein sein kann. Er ist bei sich,
ganz bei sich. Er bleibt, trotz Angst und Enttäuschung, ja Verbitterung,
überlegt, und handelt bis zum bitteren Ende seinem Gewissen folgend. Und
dieses Ende ist nicht die erneute Herrschaft Frank Millers über die Stadt,
nicht der Sieg Kanes über die vier Gestalten, nicht die wiedergewonnene
Sicherheit in Hadleyville. Kane verlässt die Stadt. Seinen Marshal-Stern
wirft er den Einwohnern vor die Füße in den Sand.
Düsterer
kann man einen Western kaum drehen. Düsterer kann man aber vor allem kaum
eine Atmosphäre einfangen, in der sich unter der brüchigen Oberfläche
von vermeintlicher Ehre und Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Gemeinschaft, Mut und
Entschlossenheit etwas ganz anderes offenbart: Feigheit, Egoismus und letztlich
auch Verrat. Ein ganzer Ort hat sich gegen Kane verschworen, der seine Einwohner
vor dem Schlimmsten bewahrt hat. Erst im letzten Moment und in einer einzigen
Person offenbart sich ein Fünkchen Hoffnung, als Amy zur Waffe greift und
einen der Banditen tötet.
Fred
Zinnemann drehte „High Noon“ in einer Zeit, in der ein amerikanischer Senator
namens McCarthy sich mit anderen anschickte, „unamerikanische Umtriebe“ zu bekämpfen.
Das entsprechende Komitee, dem vor allem Intellektuelle, auch Filmschaffende
wie der Schauspieler Lloyd Bridges, Drehbuchautor Carl Foreman und Floyd Crosby,
der den Film fotografierte, zum Opfer fielen, war eine Institution der modernen
Hexenverfolgung. Man sah überall Kommunisten und wollte sie überall
sehen. Vor allem Foreman sah in „High Noon“ einen visuellen Gegenschlag gegen
diese organisierte Verfolgung. Der gesichtlose Frank Miller, der erst ganz am
Schluss des Films in Erscheinung tritt, und seine ebenfalls konturenlosen drei
Kumpane waren für Foreman so etwas wie ein Symbol für das Komitee
McCarthys. Zinnemann selbst äußerte sich in einem Interview, das
Charlotte Kerr 1982 mit ihm führte und auf der DVD zu finden ist, scheinbar
zurückhaltender. Für ihn sei „High Noon“ nicht auf eine spezielle
politische Situation zugeschnitten gewesen. Die Handlung hätte genauso
gut in einer anderen Zeit und an anderem Ort spielen können.
Wertung:
10 von 10 Punkten.
Prädikat:
besonders wertvoll.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei: ciao.de
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Texte
(1)
Do Not Forsake Me, Album: Frankie Laine’s Greatest Hits (Ned Washington / Dimitri
Tiomkin) Frankie Laine – 1952
12
Uhr mittags
(High
Noon)
USA
1952, 85 Minuten
Regie:
Fred Zinnemann
Drehbuch:
Carl Foreman, nach einer Geschichte von John W. Cunningham („The Tin Star“)
Musik:
Dimitri Tiomkin, „Do not forsake me, oh my darlin’“ gesungen von Tex Ritter
Kamera:
Floyd Crosby
Schnitt:
Elmo Williams
Produktionsdesign:
Rudolph Sternad
Darsteller:
Gary Cooper (Marshal Will Kane), Thomas Mitchell (Bürgermeister Jonas Henderson),
Lloyd Bridges (Deputy Sherif Harvey Pell), Kate Jurado (Helen Ramirez), Grace
Kelly (Amy Kane), Otto Kruger (Richter Percy Mettrick), Lon Chaney Jr. (Martin
Howe), Harry Morgan (Sam Fuller), Ian MacDonald (Frank Miller), Eve McVeagh
(Mildred Fuller), Lee van Cleef (Jack Colby), Robert J. Wilke (Pierce), Sheb
Wooley (Ben Miller), James Millican (Deputy Sherif Herb Baker), Jack Elam (Charlie,
Betrunkener)
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