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Tangos – Adios Buenos Aires
Der Tango ist was zum Abtauchen
in der Krise. Was aber auch geht, ist, eine Stadt wie Buenos Aires zu verlassen,
wo nichts mehr geht. Der Dokumentarfilm des deutschen Tangospezialisten Arne
Birkenstock begleitet Emigrantinnen wie die 20jährige Tangotänzerin
Marcela, die dabei sind, der ruinierten Stadt Tschüß zu sagen. Woanders
Geld verdienen? In Europa! Dort ist jetzt Tango angesagt. Marcela hofft in Frankreich
auf lukrativen Tangounterricht. Sie macht die Reise ihrer europäischen
Großeltern rückgängig, die Anfang der fünfziger Jahre in
Buenos Aires hoffnungsvolle Immigranten gewesen waren, wirtschaftlicher Not
und sozialer Ausgrenzung trotzend.
Vor drei Jahren also der Globalisierungsgau
in Argentinien. Arbeit weg. Geld weg. Was bleibt, ist eine tolle
Droge. Für die ganz Alten und für die ganz Jungen. Der Tango. In der
Catedral, dem 200 Jahre alten Kornspeicher, kommen die Generationen zusammen.
Die Alten erinnern sich, wie die Jungs unter sich Tango geübt und getanzt
haben, bevor sie sich in den Ballsaal trauten. Die junge Marcela ist stolz darauf,
daß der hochbetagte Tangolehrer ihr auch die Tanzschritte der Männer
beigebracht hat. Im Catedral-Club sind die fünf Punkfreaks von Las Munecas
zu Haus. Gardel-Lieder auf E-Gitarren und Polittango zur Lage: "Heute ertrinken
unsere Träume im Weltwährungsfonds". Kostümiert sind sie
wie Vampir-Banker. – In der Stadt sind Großbanken mit Graffiti besprüht:
"Treten Sie ein. Wir betrügen sie". Und dann tut der Film noch
ein Statement dazu: "Sich ins Ausland zu verdrücken, wäre das
Dümmste", während wir im Off hören, daß Hunderttausende
auswandern.
Der Film plaziert den Tango in
eine von den Banken verheerte Stadt. Der Crash von 2002 nahm über Nacht
jede Perspektive zum Weiterleben, Job und Wohnung sowieso. Arne Birkenstock,
versierter TV-Dokumentator, montiert unaufgeregt Statements, Musik, Tanz, alte
Fotos, neue Demos und privates Familienleben zusammen. Das letzte Essen, dann
fährt Mama nach Europa. Putzhilfe ist zwar illegal, aber bringt Geld. Die
vier Kinder bleiben zurück. – Widersprüche bleiben stehen. Also danken
wir einem Autor, der sich mit Kommentaren zurückhält. Was wir sehen,
drängt sich nicht vor. Die Bilder sind anständig. Und was den Tango
betrifft, setzt der Film nicht eins drauf. Das wollen wir festhalten. Denn wenn
der Tango die letzte Bastion und die letzte Ecke sein soll, in der anständiges
Leben noch möglich ist, läge Filmpathos na. Aber: nix davon. Und dann
passiert es: Freiheit für den Tango. Für zwölf Tangos in 85 Minuten.
Danke Arne Birkenstock, danke. Denn wir kennen doch alle diese grauenhaften
Musikdokumentationen, in denen Songs nur mit drei Takten angespielt und dann
mit Statement-Fragmenten verhackstückt werden. Alle machen das jetzt, die
Gruppen mögen so berühmt sein, wie sie wollen, aber bei drei Minuten
Musik hintereinander schalten die Zuschauer um. Denken die Erfinder der Konzentratmontage.
Also nochmal: Die zwölf Tangos
sind zum Zuhören (und -sehen). Luis Borda, der Botschafter des Tango Nuevo,
hat für den Film die Großen des Tangos, alte neben junge, zu einem
All-Star-Orchester formiert. Wir sehen die letzten Aufnahmen vom legendären
Bandoneon-Spieler José Libertalla und des ebenso großen Tango-Sängers
Jorge Sobral. Beide starben wenige Wochen nach Drehschluß. Maria de la
Fuente, 92 Jahre alt, singt zusammen mit Lidia Borda, die sich des Titels "beste
Tangosängerin der Gegenwart" erfreut. – Keine Ahnung, wie es Ihnen
geht, – mir lief es kalt den Rücken runter. – Und da "12 Tangos"
kein Nostalgiefilm ist, ganz im Gegenteil, holen uns Neukompositionen wie "Ironía
del Salón" und "Corralito" auf den Boden der Catedral
zurück, gleich wieder und zur selben Zeit Jugendclub.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen in der taz
12 Tangos – Adios Buenos Aires
Deutschland 2005 – Originaltitel: 12 tangos – Pasaje de regreso
a Buenos Aires – Regie: Arne Birkenstock – Darsteller: Roberto Tonet, Marcela
Maiola, Yolanda Zubieta, Nestor Lopez, Alfredo Carlino, Luis Borda – FSK: ohne
Altersbeschränkung – Länge: 85 min. – Start: 8.12.2005
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