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Die
120 Tage von Sodom
Alles
was maßlos ist, ist gut
Mussolinis
Italien im Jahre 1944.
Vier
hohe, faschistisch geprägte Persönlichkeiten der Großbourgeoisie
veranstalten eine menschenverachtende Lustorgie, welche die Grenzen des Erträglichen
und des Vorstellbaren zerbersten läßt. Um ihren "de Sad(e)istischen"
Durst zu stillen, lassen die Vier, zu Objekten der animalischen Begierde degradiertes,
menschliches Material herbeischaffen. In drei gewaltverliebten Akten: Höllenkreis
der Leidenschaft, Höllenkreis der Scheiße und Höllenkreis des
Blutes, durchleiden die Opfer die Ejakulation der Perversität.
Pier
Paolo Pasolinis Verfilmung der gleichnamigen Literaturvorlage von Marquis de
Sade, ist die geni(t)ale Darstellung der sadistischen Formel, in welcher die
Subordination die Quelle der Wollust des Peinigers ist. Der Terror, der von
einem Gewaltregime anarchisch oktroyiert wird und dessen sich die demokratische
Unschuld, ihre Vergewaltigung akzeptierend, hingibt, ist der cinematographische
Protest, die kritische Anprangerung der leugnerischen historischen Inexistenz
des italienischen und klerikalen Faschismus`.
Die
heuchlerische Verleumdung der Mussolini-Diktatur, die die Macht nicht als anarchisch
empfindet sondern als gegebenen Zustand toleriert und hinnimmt, bewegte Pasolini
zu dieser düsteren Inszenierung.
Pasolini
legte bei den Dreharbeiten zu "Die 120 Tage von Sodom" großen
Wert auf eine filmstilistische Reduktion. Es wurde fast nur in geschlossenen
Räumen gedreht, das Licht ist kalt und tot, es ist alles Zitat und Dekor,
die Schauspieler mussten spielen und nicht einfach sein, um die widersprüchliche
Atmosphäre zu schaffen. Die Madonnen-Statuetten wirken als hastig dazu
gestellte Kontrast-Elemente zu metaphorisch blasphemischen Handlungen der Protagonisten.
Die Picasso-Gemälde indes scheinen gewollt auf die spanischen "Franco-Diktatur"
anzuspielen.
Die
Darsteller sind ihrerseits äußerlich völlig unbelastet, erregen
aber mit ihren machtpotenziell legitimierten Handlungen Wut und Zorn. Darauf
bauend wird der Film von einer gefühlssterilen Atmosphäre beherrscht,
die den kalkulierten Wahnsinn bis in die Gedärme spüren läßt.
Ekel
und Genuß fungieren in diesem Film wie siamesische Zwillinge: zu klassischer
Musik (z.B. "Das heitere Gesicht des Frühlings" aus Carl Orffs
"Carmina Burana") spielt die finale Folterszene und im Augenblick
der Demütigung zitiert man Nietzsche und Baudelaire. Hier wird eines eindeutig
klar: Intellekt ist keine Grundvoraussetzung für das Gute!
Aber
was ist die Faszination dieses Films, die einem wie kaltes Erbrochenes im Halse
des Gewissens steckt? Es ist die Wahrheit! Es ist die Wahrheit der unabstreitbaren
menschlichen Geschichte. "Die 120 Tage von Sodom" ist ein Präzedenzfall
der Selbsterkenntnis, nämlich jener, daß jedem von uns die gottgegebene
genetische Verschuldbarkeit der Barbarei innewohnt. Im historischen "Dreisatz"
lautet dies: Denunziation – Kollaboration – Auschwitz.
Der
Film wurde im Erscheinungsjahr 1975 verboten. Am Morgen des 2. November 1975
fand man den "ideologischen Freibeuter" tot auf einem Vorstadt-Bolzplatz,
mit zerbrochenem Schädel und von seinem eigenen Auto überfahren. Ein
Tod, wie in einem seiner Filme. Ein rechtsradikaler Anschlag wurde nicht ausgeschlossen.
Zwei Monate darauf gelangt "Die 120 Tage von Sodom", der Zensur unterworfen,
in die Kinos. – Ein Film, den man gesehen haben muss !
Ali
Selçuk Akinci
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Zu diesem
Film gibt’s im archiv mehrere
texte
Die
120 Tage von Sodom
(Salò o le centoventi giornate della città di Sodoma/Salo ou les
120 journées de Sadome)
Regie:
Pier Paolo Pasolini; Buch: Pier Paolo Pasolini, Sergio Citti; Kamera: Tonino
Delli Colli; Produzent/Produktionsfirma: Alberto Grimaldi für PEA (Rom)/Les
Productions Artistes Associés (Paris); Darsteller: Paolo Bonacelli, Aldo
Valletti, Giorgio Cataldi, Umberto Paolo Quintavalle, Sonia Saviange, Caterina
Boratto, Sergio Fascetti, Bruno Musso, Giuliana Melis, Dorit Henke u.a.
Italien/Frankreich
1975, 115 Minuten, FSK: nicht unter 18.
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