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Ein Gespräch mit Hans Weingartner (HW) anlässlich
der Vor-Premiere von „Free Rainer – Dein Fernseher lügt“, vom 13.11.2007
in Göttingen. Gesprächspartner: Andreas Thomas (AT) – exklusiv für
die filmzentrale
AT Sie waren u.a. Skilehrer
und sind studierter Neurologe?
HW Nein, Gehirnforscher.
Ein Neurologe ist ein Mediziner, ich bin kein Mediziner, ich bin ausgebildeter
Wissenschaftler. Cognitive Science untersucht alle Aspekte des Denkens
AT Geht das auch in
Richtung Philosophie?
HW Ja, es ist auch Philosophie
dabei. Aber es ist schon eine Naturwissenschaft: Psychologie, Neurophysiologie,
Philosophie, einfach alle Wissenschaften, die sich mit dem Denken befassen.
AT Erst haben Sie also
diese Ausbildung gemacht und dann sind Sie Regisseur geworden. Was hat Sie zum
Film gebracht? bzw. warum sind Sie Regisseur geworden?
HW Meine Leidenschaft
und mein Interesse für Film war immer schon da, seitdem ich meinen ersten Film gesehen hatte. Das
war 1980, glaub ich. Mein erster Film war Superman (1). Ich komm’ ja vom Land, da
gab’s keine anderen Filme.
AT Wann sind Sie geboren?
HW 1970. Der Beruf des
Filmregisseurs existierte für mich praktisch nicht. Das gab’s nicht in
Vorarlberg, lag außerhalb des Vorstellungsbereichs eines jungen vorarlberger
Teenagers. Und dann, in Wien, als ich dann begonnen hab’ zu studiern, hab’ ich
mich so Experimentalfilm-Gruppen angeschlossen und hab’ das einfach als Hobby
betrieben. Mit 22 war ich ganz kurz an der Filmakademie, aber ich fand das da
so furchtbar, dass ich gleich wieder ausgetreten bin und lieber Geisteswissenschaft,
also Cognity Science, studiert habe. Ich bin dann nach Berlin und hab da erstmal
Häuser besetzt, 1994,
AT Da wurden noch Häuser
besetzt?
HW Wir waren die letzten
halt. Und dann hab ich das Studium abgeschlossen und bin drauf gekommen, dass
ich für einen Forscher vielleicht doch zu ungeduldig bin und hab mich spaßhalber
in Köln beworben an der Kunsthochschule für Medien, und wurde halt
als einer von Tausend genommen und hab gedacht, das schaust du dir jetzt mal
an, bin dahin und ich hab es halt geliebt, dort zu studiern, es war großartig
für mich, sich den ganzen Tag mit Film zu befassen. Es war für mich
die Erfüllung aller meiner Träume und ich wurde, zum ersten Mal in
meinem Leben, für etwas, was ich tue, wirklich respektiert. Ich fühlte
mich einfach zugehörig. Ich hab mir nie so große Gedanken über
meine Zukunft gemacht, hab nur das gemacht, was mich halt interessiert hat.
In meinem Abschlussfilm kam dann mein Gehirnforschungsstudium zusammen mit dem
Filmstudium. In diesem Film „Das weiße Rauschen“. Es hatte für diesen Film eine große Rolle gespielt,
dass ich diese neutrale Sicht auf die Schizophrenie hatte und da doch Klischees
von beiden Seiten vermeiden konnte. Ich meine damit, dass Filme vorher Schizophrene
meistens als Genies oder Serienkiller dargestellt haben und das ist beides nicht
wahr. Auch dieses Klischee: Die Schizophrenen sind eigentlich normal und wir
sind verrückt, dieses antipsychiatrische Klischee aus den siebziger Jahren,
das konnt ich auch durchbrechen.
AT Aber ich hatte auch
den Eindruck, dass der Daniel Brühl auch deshalb verrückt wird, weil
die Umstände für ihn sehr schwierig sind. –
HW Natürlich! –
AT Es ist alles total
steril und unzugänglich. Er verirrt sich in der Uni, das erinnerte mich
an mein eigenes Studium –
HW Die
Realität überfordert ihn, die Informationsüberflutung überfordert
ihn –
AT Und dann die Menge
Drogen, die in der WG konsumiert werden
HW Ja, schon.
AT Und deshalb habe
ich das auch ein bisschen so interpretiert, dass es auch die Welt ist, die einen
verrückt macht
HW Ja, natürlich,
ja natürlich. Ich sag ja nicht, dass es eine rein neurologische Störung
ist. Was vererbt wird, ist die Disposition, die Vulnerabilität gegenüber
der Schizophrenie. Und man weiß auch von denen, die diese Disposition
haben, erkranken letztendlich nur 10 Prozent wirklich. Die anderen schaffen
es, diese Nervenstörung, diese extreme Sensibilität, diese Übererregbarkeit
zu kompensieren.
Was vor allem hilfreich
ist, sind stabile soziale Verbindungen, ein Beruf, eine Arbeitsstelle, Menschen,
die einen lieben. Wenn wirlich alle verrückt werden würden, die die
Veranlagung dazu haben, dann wäre die Welt ein Irrenhaus. –
Ja und dann war
ich plötzlich Filmregisseur, weil „Das weiße Rauschen“ so erfolgreich
war. Und „Das weiße Rauschen“ war der Film, der alles verkörpert
hat, was ich an Filmen liebe, und genau die Art von Film, die ich machen wollte.
Und als er so erfolgreich war, dachte ich okay: deine Art zu erzählen,
ist gefragt. Vielleicht solltest du weiter machen.
AT Können Sie sagen,
welche Art von Filmen Sie meinen? Gibt es da irgendwelche Filme als Vorbilder,
Inspirationen?
HW Das kann ich nicht
so genau sagen.
AT Ich kenne auf jeden
Fall einen Ihrer Lieblingsfilme: „Taxi Driver“. Der kommt im „Weißen Rauschen“vor und taucht in „Free Rainer“ als Film-Plakat beim Soziopathen auf.
HW Ja. „Taxi Driver“
kommt vor, ist aber nicht eine so wichtige Inspiration. Wichtiger sind für
mich alle Filme von John Cassavetes, die Filme von Truffaut, die Dogma-Filme
und die Filme von Roberto Rossellini – und „Einer flog über das Kuckucksnest“, das ist mein Lieblingsfilm. „Taxi Driver“, das ist mehr so ein
Stück Heimat für mich, so ein Stück Weißes Rauschen, das
ich immer in jeden Film dann rein bringe.
AT Ich fand so witzig,
dass Daniel Brühl in „Das weiße Rauschen“ dasselbe macht wie Robert
de Niro in „Taxi Driver“, dass er den Eklat im Kino hervorruft –
HW Ja, genau. Er vermasselt
sein Date.
AT Die Frage hat sich
jetzt eigentlich erübrigt, warum das Milieu so echt wirkt, im „weißen
Rauschen“ und in den „fetten Jahren“ –
HW Ja, weil’s bei mir
zuhause gedreht wurde, also in meiner WG. Jedenfalls „Das weiße Rauschen“.
AT Dann sind da also
die Wände echt, keine Kulissen, –
HW Fast ganz echt …
AT Dann haben Sie die
Wohnung bei den Dreharbeiten aber doch ziemlich zugrunde gerichtet?
HW Ja, also ja, hmja:
Aber es war nur Müll, aber der Hausbesitzer hat mir dann den Gerichtsvollzieher
auf den Hals geschickt.
AT Immerhin. Dann hat
sich’s ja gelohnt! –
Haben Sie gewusst,
dass kürzlich eine Fassung der „Fetten Jahre“ im Fernsehen gelaufen ist ohne das kämpferische Ende, also
das „zweite“ Ende?
HW Das habe ich nicht
mitbekommen, ja, das liegt daran, dass die Sender den Final Cut haben. Sie sind
Ko-Produzenten und im Vertrag steht, dass sie über die Sender-Fassung das
Entscheidungsrecht haben, nicht über die Kino-Fassung.
Aber ich glaube
nicht, dass es daran liegt, dass ihnen das Ende zu radikal war, sondern der
Film war ihnen wahrscheinlich zu lang war. –
Dieses Mal habe
ich ja ohne deutsche Fernsehsender gearbeitet –
AT aber österreichische
Sender?
HW – ja, aber die haben
mir nicht reingeredet. Da gibt es so einen Topf, der heißt: „Film-Fernsehabkommen“.
Da reicht man ein. Und entweder ja oder nein. Und dann wird man in Ruhe gelassen.
Es ist nicht so wie bei den Öffentlich-Rechtlichen, wo man dann diese nervigen
Redakteure hat, die zwei Semester Germanistik studiert haben und glauben, sie
wüssten, wie man Filme macht. – Die wollten ja bei den „Fetten Jahren“
z.B., dass ich den Film ohne Knarre drehe. Da gibt es eine witzige Szene auf
der DVD, auf der de Luxe-Edition, wo man sieht, wie wir die Szene mit nem Holzknüppel
drehen und uns vor Lachen fast weghaun. Wir schaffen es einfach nicht das zu
drehen, weil wir so lachen müssen. Aber wir haben das natürlich durchgezogen
mit Knarre…
AT Und das gab keinen
Ärger?
HW Nö, naja, ein
Debut, das im Wettbewerb in Cannes läuft, da konnten sie uns keinen Ärger
mehr machen.
AT Was haben die überhaupt
gegen eine Knarre? Die sollten sich doch freuen über jede Knarre, die in
einem Film vorkommt? Da steigen doch die Quoten?
HW Ja. Produktionsleiter
Karl Bergengruen ist halt so’n
totaler Wicht.
AT Soll ich das so wiedergeben?
HW Ja natürlich
– Das ist so ein kleiner Schleimscheißer – das kannst du ruhig …
Der hat immer nur
gesagt: Was wird Doktor Oetker sagen?
AT Was hat der Film mit
Doktor Oetker zu tun?
HW Hab ich auch gesagt.
Hä, Doktor Oetker? – Ja, die haben den entführt und in den Kofferraum
gesteckt. – Ja, und was hat das jetzt mit dem Film zu tun?
AT Nun habe ich in dem
Film „Free Rainer“ Elemente von, Bezüge auf „23 – Nichts ist wie es scheint“ gefunden. Computer Chaos Club, Illuminaten, diese ganzen Verschwörungsgeschichten.
Ist das Zufall?
HW Nein, es ist natürlich
kein Zufall, aber es ist auch nicht bewusst, also keine bewussten Referenzen.
Ja, aber natürlich. „23“ ist ein Verschwörungstheorien-Film
und auch „Free Rainer“
spielt ja mit Verschwörungstheorien: Diese schwarzen Boxen und niemand
weiß: Wer hat die Adressen? Wer sind diese Menschen? Gibt’s die überhaupt?
Ist es vielleicht eine Verschwörung aus Politik und Wirtschaft?
AT Nochmal kurz zu Hans
Christian Schmid. Fühlen Sie sich als Regisseur verwandt mit ihm?
HW Weniger. Doch: In
einer Hinsicht. Ich bewundere seine Schauspieler-Arbeit, find ich großartig.
Sein Gespür beim Casting ist unglaublich. Da fühl ich mich ihm auch
sehr verbunden. Er war auch einer der ersten in Deutschland, find ich, im Kino,
der das wieder eingeführt hat, diese sorgfältige Schauspieler-Arbeit,
und dass man da wieder Wert drauf legt. Und das ist auch das, was den deutschen
Film in den letzten Jahren mit so erfolgreich gemacht hat, dass man sich wieder
für die Schauspieler interessiert.
AT Schmid ist aber ja
auch im weitesten Sinne politisch interessiert. Wenn man jetzt diesen Ausdruck
„Politische Filme“ verwendet? Da ist er aber auch einer der wenigeren, oder
gibt’s da noch mehr, außer Ihnen?
HW Naja, Fatih Akin,
seine letzten zwei Filme find ich sehr politisch, Volker Schlöndorff macht
sehr politische Filme und äh…
AT Ja, das macht er immer
schon. Aber von dieser neuen Generation gibt’s nicht so viele? Was ist mit Marcus
Mittermeier, „Muxmäuschenstill“? Oder ist das eigentlich nur so eine Farce? An den musste ich oft
denken bei „Free Rainer“, weil es da ja auch um Umerziehung geht – im weitesten
Sinne …
HW Ja. Umerziehung im
positiven Sinne. Ja. Also ein positives Vorbild. – Naja, wie soll ich sagen?
Ich sehe das nicht als meine Aufgabe, solche Querverbindungen herzustellen.
Das ist ja mehr das Steckenpferd der Filmkritik. Ich mach halt meine Filme so,
wie ich es grade für richtig halte. Was mir halt schon Spaß macht,
ist ein bisschen gegen den Strom zu schwimmen, das heißt dann gerade z.B.
eben Filme gegen den Kulturpessimismus zu machen, um eben nicht zu sagen, es
ist sowieso Hopfen und Malz verloren und der Mensch ist schlecht und dumm und
der Kapitalismus unbesiegbar. Diese Haltung, die ist mir zu einfach. Da versuch
ich halt so ein aktionistisches, subversives Gegenmodell zu entwerfen. Dafür
krieg ich natürlich auch ordentlich auf den Deckel immer, vor allem von
den Linken und Intellektuellen.
AT Mit welcher Begründung?
HW Ja, unter dem Schlagwort
Naivität, nicht radikal genug. Für die ist es halt nur radikal, wenn
geschossen wird und wenn alle, die sich auflehnen, vom System zerstört
werden. Vor allem haben diese Filme immer diesen Kunst-Duktus, der mir nicht
entspricht, die tragen in sich schon immer den Geschmack der Kapitulation.
AT Meinen Sie jetzt
sowas wie die „Berliner Schule“?
HW Ja, Richtung Berliner
Schule, genau. Also nicht alle, also ich finde die Filme großartig, aber
das ist nicht my cup of tea. Ich bin halt ein anderer Typ.
AT Aber das „Weiße
Rauschen“ geht doch ziemlich in die Richtung der Berliner Schule?
HW Überhaupt nicht.
Nicht im Geringsten. Nicht im GERINGSTEN. „Das weiße Rauschen“ ist expressionistisch,
der ist wild, der ist voll mit Behauptungen und Emotionen, der bedient sich
quer durch alle Filmgenres und ist eklektizistisch, in dem Sinne, dass er alles
ausprobiert. Er ist nicht so streng zu sich selbst, also die “Berliner Schule“
ist ja sehr dogmatisch, in dem Sinne, dass sie einen ganz strengen Rahmen hat
und das ist „Das weiße Rauschen“ überhaupt nicht. „Das weiße
Rauschen“ ist ein Film, der sehr ähnlich ist wie „Gegen die Wand“, finde ich. Da hast du genau dieselbe Rotzigkeit und scheiß
auf perfektes Licht oder die perfekte Ausstattung, da ist auch mal ein Mikro
im Bild, was weiß ich
…
AT Ich find das bei
„Gegen die Wand“ schon ziemlich gekonnt, also ziemlich genau eingesetzt , auch
diese Rohheit …
HW Ja, ja „Gegen die
Wand“ ist die ausgearbeitete, erwachsene Form vom „Weißen Rauschen“
AT Ich fand eben an
dem Film ganz gut, dass es nicht so eindeutig war. Wenn man sich dagegen „Free
Rainer“ anguckt, dann geht es immer auf eindeutige Aussagen hinaus. Und das
ist beim „Weißen Rauschen“ eben gerade nicht, weil da viele Sachen offen
bleiben. Und das fand ich gerade schön
..
HW Ja, das ist eben
`ne Geschmackssache, also, ob man das gut oder schlecht findet. Ich kann das
aber ehrlich gesagt schon langsam nicht mehr hören, immer diese Jury-Begründungen,
zum Beispiel, wenn jemand einen Preis gewinnt: Der Film stellt mehr Fragen als
er Antworten gibt. Also jetzt haben wir wirklich jahrzehntelang Fragen gestellt,
vielleicht sollten wir mal ein paar Antworten suchen. Vielleicht sollten wir
nicht immer nur unterdrückte Werktätige zeigen, sondern auch, wer
sie unterdrückt und warum und wie sie sich wehren können. Vielleicht
sollte man nicht nur Menschen zeigen, die vor der Glotze vor sich hin vegetieren
und wie ihr Gehirn mehr oder weniger fritiert wird, sondern man sollte Menschen
zeigen, die den Spieß umdrehen und sich wehren gegen diese Gehirnwäsche.
Das ist natürlich utopistisch, das ist naiv. Aber es macht Spaß und
es ist mal was anderes und es musste einfach mal ausprobiert werden. Schau,
ich könnts mir auch leicht machen und einen Film machen, der Deutschland
zeigt, bestrahlt von diesem blauen Leuchten, und ich zeig diese Zombies, zu
keinem klaren Gedanken mehr fähig und emotionslos, Kinder ohne Mitgefühl,
vor ihren Play Stations und ihren Glotzen, wortkarg, weißt du, so wie
in diesen Großstadtfilmen wie „Kids“ oder so, ja – die halt mehr oder weniger gehirntot sind – oder wie
bei Haneke, oder wie in diesen ganzen Plattenbaufilmen halt.
AT Na gut, aber das ist
wieder das andere Extrem, nicht? In der „Berliner Schule“, da gibts doch auch
Filme, die liegen so dazwischen? Und Sie haben ja gesagt, da sind auch Filme
dabei, die Sie auch ganz gut finden?
HW Naja, das ist ja
gerade erst jetzt aufgekommen, in den letzten drei Jahren, dass man – und da
waren „Die fetten Jahre“ ganz vorn dabei, als einer der ersten – jetzt wieder
Filme hat, wo sich am Ende doch noch ne Perspektive öffnet. Das war ja
früher verboten, ein Happyend auch nur anzudeuten im Kunstfilm. Es gab
die strenge Norm Antiplot, auf keinen Fall ne Heldengeschichte. Antihelden,
Antiplot und bad end: Das ist der Kunstfilm.
AT Und das ist auch „hoch
politisch“!!
HW Das war „hoch politisch“.
Ich fand das so lächerlich irgendwie, dass diese ganzen Kunstfilmer, die
glauben, dass sie sich so gegen die Norm stellen würden, selber genauso
normiert sind in ihrer Filmsprache.
AT Na gut, die Norm
heißt da ja, jedenfalls mehr oder weniger inoffiziell, dass man möglichst
vermeiden sollte, eine allzu einfache Rhetorik zu benutzen, also möglichst
wenig manipulativ zu sein, möglichst wenig in Klischees zu verfallen.
HW Aber das ist einfach
Bullshit. Sobald die Kamera läuft, ist es nicht mehr die Wahrheit. Und
diese sprachlosen Plattenbaukinder, die nicht mehr rausbringen als „Haste mal
ne Kippe“ oder „Hey, ich find dich geil“ oder „Haste nochn Bier“, die nicht
mehr Dialoge führen können als das, das ist doch auch ein Klischee.
Also ich hab noch nie solche Jugendlichen getroffen.
AT Das ist ein Klischee,
das find ich auch. Aber was ist zum Beispiel mit so einem Film, wie „Montag kommen die Fenster“?
HW Den find ich großartig.
Aber er ist auch nicht authentisch, er hat nur einen authentischen Stil. Solche
Menschen gibt’s in Wahrheit nicht. Das ist genauso ein Stil wie jeder andere.
Da sollten wir uns nichts vormachen.
AT Gibt es überhaupt
keine Möglichkeit, die Wahrheit in den Film zu bringen?
HW Nee, nur im Dokumentarfilm.
Selbst da eigentlich nicht. Es gibt keine Möglichkeit, die Wahrheit zu
zeigen. Du kannst dich vielleicht an sie annähern, aber im Endeffekt …
Das Leben des Zuschauers, das ist die Wahrheit. Man kann sich im Kino nur anregen
lassen, aber man kann sich nicht ein Stück Wahrheit holen. – Ich war eine
Weile lang auf so einem Fassbinder-Trip. Fassbinder hat immer gesagt, er will
sehen, dass man sieht, dass seine Schauspieler spielen, damit man merkt, dass
es Schauspieler sind. Aber das hab ich dann zum Glück rechtzeitig abgelegt,
weil das ist mir dann auch wieder zu blöd oder zu pubertär fast schon. Dann
macht es auch keinen Spaß mehr.
AT Werner Herzog hat
mal gesagt, für ihn seien alle Filme, auch Spielfilme, Dokumentarfilme.
Den Satz find ich auch sehr interessant. Wenn man dann, unter dem Aspekt, einen
normalen Spielfilm guckt, dann weiß man, man sieht einen authentischen
Schauspieler, der eine Rolle spielt
…
HW Die guten Spielfilme
sind auch Dokumentarfilme. Also, wenn ich mir jetzt irgend nen Scheiß-Heimatfilm
mit Peter Alexander aus den Fünfzigern anguck, das ist überhaupt kein
Dokumentarfilm. Okay, obwohl: STIMMT! Der dokumentiert ja auch so ne gewisse
Wirtschaftswunderverlogenheit –
AT Ja, und er spielt
sich selber als Schauspieler. Da wird ja auch wieder Wirklichkeit inszeniert
und im Dokumentarfilm inszenierst du auch Wirklichkeit, letztlich. Allein, wie
du die Kamera hinstellst, da bist du schon dabei, Wirklichkeit zu inszenieren.
HW Ja, bis auf vielleicht
Sciencefiction-Filme oder „Herr der Ringe“ oder „Spiderman“ oder „Mr und Mrs Smith“…
AT Da gehts auch um
Konstruktion von Realitäten, oder?
HW Das ist überhaupt
nichts mehr. Das ist nur noch Popcorn und hat auch nix mit Essen zu tun.
AT Ich find “Free Rainer“
erstmal deshalb interessant, weil er genau das macht, was du gesagt hast, dass
er nämlich versucht, einfach Verschiedenes auszuprobieren, Verweigerungshaltung,
oder sich zu wehren oder Veränderung, überhaupt so etwas mal anzudenken,
das ist ja schon mal sehr positiv. Und dass was verändert werden muss,
steht auch außer Frage. Ich hatte bloß das Problem, dass es natürlich
so nicht denkbar ist und deshalb wusste ich nicht genau, wann war es Satire
und wann war es Ernst? Es kippt immer hin und her …
HW Aber das ist doch
guut! Es soll ja auch hin und her kippen. Du sollst nicht nen Film kriegen,
wo das drin ist, was drauf steht auf der Packung, ja? Also, du wirst nicht einfach
bedient in dem Film. Er verwirrt einen manchmal. Es ist auch ein Film, der einen
nicht so wahnsinnig involviert, weil durch die Satire, durch diese Überhöhung,
schmeißt er dich immer wieder raus und du musst neu zurück rein finden.
AT Eines dieser Ziele
ist ja, den Leuten Kultur wieder nahe zu bringen, also zumindest den „Guten
Geschmack“?
HW Sagen wir mal, Ziel
des Films, ist ein Bewusstsein zu schaffen für die Manipulationsstrategien
des Fernsehens …
AT Du meinst jetzt für
das Publikum, das ins Kino geht. Ich meinte aber die Filmhandlung …
HW Die
Story ist nur ne Story, das ist nicht das, worum es geht. Die Story ist nur
der Aufhänger.
AT Aber das Ziel und
die hehre Absicht dieser sieben Leute sind es ja, glaub ich, ist es doch, den
Leuten wieder beizubringen, wie man denkt und der Abstumpfung zu entgehen, wieder
mehr in der Realität zu leben. Es gibt eine Szene, da sitzen die dann auf
dem Rasen und jeder hat ein Buch in der Hand. Einer neben dem anderen und lesen
Bücher und alle sind glücklich. Wenn man sich das vorstellt, dass
das innerhalb von wenigen Wochen passiert ist, dann man das ja nicht ernst nehmen.
In dem Moment denke ich ja, das muss jetzt eine Satire sein …
HW Ja, jetzt ernst nehmen,
im deutsch-rationalen Sinn, im Sinne von Immanuel Kant vielleicht nicht, also,
aber natürlich soll mans nicht ernst nehmen, sondern es soll einen zum
Mitträumen verleiten und es soll sich bei dir festkrallen, dieser Traum,
dass du dann irgendwann denkst, sag mal wie wärs? Natürlich ist das
jetzt übertrieben, aber plötzlich ertappst du dich, Tage später,
wie du nochmal dran denkst, und denkst: sag mal, wie wärs denn wirklich,
wenn wir hier das Paradies auf Erden schaffen?
AT Für mich ist
die Frage: Ist das wirklich das Paradies. Also ich bin eigentlich so jemand
mit einer subversiven Vergangenheit, ich war irgendwann mal Punk –
HW Ich auch
AT –
und das ist für mich das Gegenteil von dem, was unsere Eltern von uns wollten.
Die wollten, dass wir Bücher lesen, die wollten, dass wir uns geistig bilden
– jedenfalls solange wir einer bestimmten Schicht angehörten – und wir
wollten eigentlich rotzfrech sein und wir wollten eben Trash und der Film macht
eigentlich nicht Werbung für Trash, sondern für das Bildungsbürgertum,
oder?
HW Punk hat ja auch
nichts gebracht, die Totalverweigerung hat ja nichts gebracht, außer das Leben von ein
paar Millionen Leuten zu zerstören.
AT Aber bringt es jetzt
was, nur noch gute Literatur zu lesen oder Fassbinder-Filme zu gucken?
HW Naja, genauso gut
kannst du ja sagen, wieso essen wir nicht alle fast food? Bringt es überhaupt
noch was, den Geschmack einer Olive zu schätzen, ja? Warum fahren wir nicht
alle mit dem Lift den Berg hinauf, bringt es was, den Berg zu Fuß rauf
zu gehen? Eigentlich ist es doch egal, wie wir unsere Zeit verbringen. Ob wir
jetzt Fernsehen schauen oder mit unseren Kindern spielen, ist doch dasselbe.
Hauptsache wir haben genug zu essen und ein Dach überm Kopf? Nicht jeder
Mensch weiß mittlerweile noch, was das Leben ausmacht, was es bedeutet,
sein Leben selbst zu leben und es sich nicht in der Glotze vorleben zu lassen.
„Brave New World“ verstehst du? Wir müssen das Soma wieder wegwerfen, die
10 meist verkauften Medikamente sind Psychopharmaka, ja? Also bitte erzähl
mir nicht, dass die Menschen alle so glücklich sind in den Industrienationen.
AT Ich sag bloß,
dass zu einer Revolution auch manchmal ein bisschen Trash gehört, also
Billigkeit, die zu einer Befreiung führt, Tarantino zum Beispiel…
HW Trash ist ja okay,
aber es darf halt nicht überhand nehmen. Eine kleine Dosis Paris Hilton
ist ja vielleicht nicht schlecht, aber ständig nur noch Paris Hilton ist
scheiße. Und insofern haben wir jetzt dieses Anything Goes-Prinzip, dieses
Punk-Prinzip von mir aus, dieses Trash-Prinzip, dieses Prinzip des Sich-Gehen-Lassens,
auf alles cheißen, haben wir wahrscheinlich zu weit getrieben. Und es
kennzeichnet ja normalerweise den letzten Zyklus einer Zivilisation vor ihrem
Untergang: Trash. Die letzten Jahre Roms war eine Zeit des Trash: Gladiatorenkämpfe
und Drogen und Sich-gehen-lassen. Aber macht einen das glücklich? Nein,
es macht einen nicht glücklich. Ich meine, mir geht’s jedenfalls so. Also
wenn ich ein Wochenende lang nur Party mache und glotze, dann fühl ich
mich nachher irgendwie total leer –
AT – kommt irgendwie
auf die Party an, aber …
HW Diese ganze Scheiß-Party-Kultur,
diese ganze Scheiß-Trash-Kultur …
AT Aber es gibt doch
auch eine Art von Trash, die noch als eines der wenigen Refugien von Subversion
funktionieren kann, oder?
HW Trash ist nicht mehr
subversiv. Im Gegenteil. IM GEGENTEIL. Heutzutage wieder ein Buch zu lesen,
das ist subversiv, weil dann der Rest der Klasse zu dir sagt: Ey, der liest
Bücher, der ist ein Psycho. Aber zu sagen, ich bin ne trash bitch, ich hab mein ganzes
Leben lang kein Buch gelesen, das ist die Norm heutzutage. Ich bin nen Riesenschritt
weiter, mit dem Film.
AT Mich erinnert das
an – also ich hab eine kleine Tochter, die hat jetzt so ein Wimmelbuch bekommen.
Kennst du diese Wimmelbücher. Da ist jede Seite voller kleiner Geschichten
mit mehreren Gebäuden drauf mit ganz vielen Leuten und das ist eine ganz
heile Welt.
HW Das kenne ich noch
aus meiner Kindheit: Das ist ne Kleinstadt und da ist der Bäcker …
AT – und da ist ne Katze,
die auf jedem Bild wieder neu zu finden ist und die Leute sind alle ganz nett
miteinander und freundlich und friedlich und umgänglich, – und das macht
mir fast schon mehr Angst als so ein bisschen mehr Trash. Und das hat mich auch
so ein bisschen an den Film erinnert, wo alle Leute da auf der Straße
sitzen und alle nett miteinander umgehen und Topfschlagen oder ich weiß
nicht, was sie da spielen …
HW Jaja jaja, doch,
wir brauchen wieder mehr Wimmelbücher. Wir brauchen das jetzt wieder. Ich
bin der Vorbote, glaub mir das. Ich bin Sensor für solche gesellschaftlichen
Tendenzen. Die Dekade des Schwofens ist vorbei, jetzt kommt die Zeit, wo die
Leute denken: ach, ich weiß nicht, ich habe jetzt viele Jahre Party gemacht.
Jetzt möchte ich mal wieder ein Buch lesen, jetzt möchte ich mal wieder
eine intelligente Unterhaltung führen
…
AT Aber das eine muss
doch das andere nicht ausschließen? Das ist doch Schwarzweißdenken.
HW Nein, das ist nicht
Schwarzweißdenken, das ist halt extremes Denken und so sehe ich meine
Aufgaben, ich beweg mich in Extremen, weil nur so kann man ja auch Dinge klar
machen, heraus stellen. Aber Schwarzweiß wär es, wenn ich behaupte,
dass es die Wahrheit ist oder wenn ich behaupte, das wäre der einzige Weg,
aber ich stelle nur Dinge in den Raum. Ich sag ja nur: Leute, denkt mal drüber
nach. Wie ist euer Verhältnis zum Schund, ja? Wie geht’s euerm Kopf, wie
geht’s euerm Gehirn, wie geht’s euerm Gefühl? Lebt ihr noch ein buntes
Leben oder lebt ihr noch ein dreidimensionales Leben oder seid ihr schon total
in der Flachheit verloren? Das ist alles, was ich sage, ja? Ich meine, diese
ganzen Ikonen heutzutage, was machen die denn? Also Kate Moss und Britney Spears
und Pete Doherty, die sind berühmt, weil sie sich mit Drogen zuballern,
weil sie Trash sind. Weil sie auf alles scheißen. Sie geben sich nur noch
Luxus. Sie haben keine Moral mehr, sie kümmern sich nicht mehr um ihre
Mitmenschen, sie sind rücksichtslos, sie sind egoistisch, sie haben keinerlei
Bewusstsein für irgendwelche globalen Probleme, sie sind Ego-Maschinen,
ja? Sie repräsentieren halt, in extremer Form, den modernen Menschen. Und
sind sie glücklich? Neeeee! Bei Gott nicht, na? Das Schlimme ist ja, sie
sind ja nicht die Helden von einem Landwirt aus Hessen oder von einem Lehrer
aus Bayern oder von einem österreichischen Sparkassenbeamten, das Schlimme
ist, sie sind kulturelle Helden, das ist unsere heutige Kultur. Es ist nicht
mehr Bob Dylan, es ist Paris Hilton, es nicht nichtmal mehr Prince (lacht),
es ist Victoria Beckham. Es hat diese extreme Form angenommen. Die Oberflächlichkeit
wird zelebriert. Das ist die letzte Phase vor der Geisteskrankheit. Dostojewski
hat mal geschrieben, in Die Brüder Karamasow: Aljoscha sagt: Woran erkennt
man, dass jemand kurz davor steht den Verstand zu verlieren? An seiner Schamlosigkeit.
Er hat keine Scham mehr. Und jetzt schau dir mal diese Brüder da an, die
Ikonen, da. Schau dir mal diese ganze Trashkultur an, schau dir mal das Fernsehprogramm
an, es ist die total zelebrierte Schamlosigkeit, danach kann nur noch die geistige
Umnachtung kommen. – Also: das Spermarennen läutet den Untergang unserer
Zivilsation ein.
AT Ich habe keine Fragen
mehr (lacht)
HW Aber es hat mir nicht
gereicht, nur dieses Spermarennen zu zeigen. Das reicht nicht, das kann man
jeden Tag im Fernsehen sehen. Ich mein, der Film hat ja mehrere Ebenen, also …
(steht unvermittelt
auf)
AT Neenee, ich wollte
noch nicht aufstehen, bist du fertig?
HW Neenee, ich hab jetzt
nichts mehr zu sagen, ich muss mir doch noch ein paar Worte aufbewahren für
da drin. (Zeigt auf den Kinosaal, wo grade die Preview von „Free Rainer“ läuft,
und verschwindet in den Untiefen des Göttinger Cinemaxx-Komplexes)
AT Okay, dann Danke!
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