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Ein
Star muss strahlen
Kein Schnitt, starre Kamera, und immer
das gleiche Licht: Andy Warhols Filme sind Versuche über das Wesen der
Zeit.
Der Schlaf des Poeten gebiert eine neue
Kunst. Im Juli 1963 filmt Andy Warhol sechs Stunden lang einen schlafenden Dichter
und nennt den Film Sleep. Kurz darauf fährt er gemeinsam
mit dem damals schon bemerkenswert gesichtsalten Schauspieler und Autor Taylor
Mead nach Los Angeles, wo Warhol in der Ferus Gallery ausstellt. Zu Ehren des
Reiseziels kauft er sich seine erste Kamera, denn »ich war in Hollywood,
und da braucht man eine Kamera«. In Hollywood entsteht mit Mead der erste
Film eines zweiten Typus, diesmal mit etwas Handlung, Mythen und Stars und einem
an postmodernes Theater gemahnenden Titel: Tarzan
and Jane regained, sort of.
Sogar Dennis Hopper macht mit.
Damit sind die beiden Themen des Filmemachers
Warhol bereits erschöpfend benannt: Film als rein registrierendes Medium
der Zeitlichkeit. Und: Stars als dessen alles entscheidender Gegenstand. Warhol
hatte die amerikanischen Kunstdebatten der Fünfziger erlebt. Die strengen
Kriterien des Modernisten Clement Greenberg, für den sich die Qualität
eines Kunstwerks danach bemisst, inwieweit es die technisch materiellen Besonderheiten
seines Mediums thematisiert, besagten zum Beispiel, dass Malerei nichts anderes
zu zeigen habe als das, was sie medial wirklich ist: auf Leinwand aufgetragene
Farbe.
Zwar gehörte Warhol als Pop-Künstler
eher zur Gegenbewegung. Seine bildkünstlerischen Auseinandersetzungen mit
technischer Reproduktion und Serialismus hatten vor allem deren Verhältnis
zu Inhalt und Gestalt massenhaft verbreiteter Bilder zum Gegenstand. Im Vordergrund
stand jedenfalls nicht die reine Medialität. Doch ironischerweise beschäftigte
sich Warhol als Filmemacher mit genau den Grundsatzfragen an das Medium und
die Materialität von Film, die Greenberg für die Malerei formuliert
hatte.
Film, erkannte Warhol, ist nichts als
ablaufende Zeit, Speicherung verstreichender Zeit. Diese Deutung kam seinem
schon anderweitig formulierten Ideal eines möglichst neutralen Registrierens
von Vorgängen nahe. Andere nannten es seinen Buddhismus oder Voyeurismus,
böse Zungen sprachen von »Nekrophilie«. Warhol greift nicht
ein. Er bewegt die Kamera nicht, er schneidet nicht, er ändert nichts am
einmal gesetzten Licht. Der Industriestandard von 33 Minuten Länge, die
eine handelsübliche 16-Millimeter-Filmrolle bietet, wird bei ihm zur fundamentalen
Zeiteinheit. Seine Filme sind entweder genau so lang. Oder doppelt. Oder dreifach.
Dann hat er mehrere Rollen verwendet. Doch jede Rolle wird bis zum Ende belichtet,
nichts darf sie unterbrechen.
Neben der Suche nach dem unhintergehbaren
Nullpunkt des Mediums, dem Begehren nach Neutralität und dem starren subjektlosen
Registrieren hat er ein zweites Interesse. Und das ist natürlich dessen
Gegenteil: der Star. Gegenstand eines Zeitmediums, ständig im Bündnis
mit Verfall und Tod, können für Warhol nur Sterbliche sein. Menschen,
die schön, irre, bedeutend und gewaltig genug sind, um genau dieser starren
Registratur etwas entgegenzusetzen. Doch es geht um mehr als eine bloße
Figur des Gegensatzes: Warhol glaubte, dass gerade das Ausbleiben von Regie
und Drehbuch erst die Starqualitäten der vielen ihn umgebenden Talente
und Exzentriker richtig hervorbringen würde. Der Begriff des Superstars
meinte eben gerade jemanden, der nicht für etwas berühmt ist und dessen
Qualitäten man nicht aus dem Korsett einer Dramaturgie, eines Plots und
einer zweifelhaften schauspielerischen Aufgabe herauslösen muss, sondern
eine strahlende menschliche Sonne, die nichts tut, als zu strahlen, als Star
in jedem Sinne. Strahlen konnten auch der lakonische Missmut eines Taylor Mead,
der mädchenhafte Somnambulismus einer Edie Sedgewick oder die Jungmännerposen
von Lou Reed.
Jack Smith, der große Regisseur
der Flaming Creatures, gab Warhol nicht nur den Anstoß
zum Filmemachen. Warhols zweiter (und bis heute nach einer Polizeiaktion verschwundener)
Film war eine Dokumentation über Smith bei der Arbeit. Durch Smith, der
Drag-Darsteller, Künstler und ganz normale Exzentriker zu Creatures ernannte,
die er in stundenlangen Exzessen kostümierte und platzierte, erkannte Warhol
die Explosivität der neuen unangepassten Menschen, die in dieser Zeit New
York zu bevölkern begannen. Auch den Begriff Superstar übernahm er
von Smith, doch er änderte dessen Konzept in einem entscheidenden Punkt:
Er sagte den Leuten nicht, was sie tun sollen, er ließ sie machen. Smith,
der ein paar Mal, unter anderem als Dracula, bei Warhol mitmachte, hält
das in einem von Warhols Filmen, in Camp, nicht aus und zwingt Warhol, die starre
Kameraposition aufzugeben und ihm zu folgen.
Neben Smith macht Warhol eine andere wichtige
Begegnung, die seine Prinzipien erschüttert. 1965, während seiner
produktivsten und besten Zeit, arbeitet er mit dem Dramatiker Ronald Tavel zusammen.
»Warhol wollte keine Plots, aber Vorfälle«, erinnert der sich.
Zuerst agiert Tavel hinter der Kamera als Bad Cop und treibt die Darsteller
in die Enge, später schreibt er brillante Scripts wie The
Life Of Juanita Castro,
Hedy – The Shoplifter, Vinyl, Horse und More
Milk Yvette. Die Filme
handeln von scheiternden Berühmtheiten und sexuellen Peinlichkeiten, führen
durch groteske Geschichten. Superstars wie Mary Woronov, Mario Montez, Ingrid
Superstar oder Nico werden in diesen Dramen noch besser als zuvor in Warhols
starren Versuchsanordnungen. Nach Tavels Ausscheiden arbeitet Warhol daher auch
immer wieder mit anderen Partnern zusammen, die für ihn als Eintreiber
und Arschlöcher agieren, einem von ihnen, Paul Morrissey, übergibt
er schließlich das Geschäft. Die weltbekannten Warhol-Filme, die
es auch nach Europa geschafft haben, stammen alle von ihm: Blue
Movie, Trash, Flesh et cetera. Warhol hatte erkannt, dass
er sich seinen Traum von der Selbstabschaffung des Autors nicht erfüllen
konnte, wenn er die künstlerischen Entscheidungen an eine Kamera delegierte,
er musste sie an einen anderen Autor delegieren.
Vorher aber, zwischen 1963 und 1967, hat
Warhol mindestens über hundert Filme gedreht, von denen man sicher weiß,
doch die Dunkelziffer ist gigantisch. Darunter sind auch viele installative
Ansätze. Filme, die zugleich auf Videomonitor und als Projektion laufen
oder auf zwei Monitoren. (Warhol hat sich schon 1965 sehr frühes Video-Equipment
als Tester unter den Nagel gerissen). Berühmt ist Chelsea
Girls mit seiner musikalischen
Partitur für Mehrfachprojektionen oder das sagenhafte Endlosprojekt Four Stars,
das nur ein einziges Mal im Jahre 1967 zu sehen war. Einer der wenigen, die
darüber berichtet haben, ist Jonas Mekas, der greise Chef des amerikanischen
Underground-Kinos, der mit Warhol eng befreundet war und auch als Erster über
seine Filme geschrieben hat. Für die Viennale hat er eine Retrospektive
zusammengestellt. Er kennt sich wirklich aus; an dem längsten Film der
Reihe, dem über achtstündigen Blick auf das Empire State Building
(Empire), hat er selbst mitgewirkt. In Wien wird
er bestimmt davon erzählen.
Diedrich Diederichsen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: DIE ZEIT vom 29.09.2005 (Nr.40)
Die
Retrospektive »Andy Warhol Filmmaker«, fand vom 1. bis zum 31. Oktober
2005 im Wiener Filmmuseum statt; www.viennale.at
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