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Der wahre Onanist der Leinwand
Aus Daffke bestellte ich mir das
Buch. Es hat so einen schönen Titel: "Kinogefühle. Emotionalität
und Film". Ich schlug es auf: 21 Autoren und keiner zeigt Gefühl.
Die Herausgeber (Matthias Brütsch u.a.) hatten vor drei Jahren für
Prof. Dr. Christine Noll Brinckmann ein filmwissenschaftliches Seminar in Zürich
veranstaltet. Die Beiträge haben akademisches Niveau. Die Kinogefühle
werden sauber seziert und analysiert. Bei dieser Arbeit ist, ichweißichweiß,
forschende Distanz geboten. Das Buch (neu bei Schüren) endet auf der 450.
Seite mit einem Absatz, der Frieda Grafe gewidmet ist. Eine Wohltat. Heide Schlüpmann
hat es in ihrem Beitrag geschafft, einen hocheleganten Bogen von Arthur Schopenhauer
zu meiner Lieblingsessayistin zu schlagen. Wenn ich den grade erschienenen 8.
Band der Schriften von Frieda Grafe lese ("Geraffte Zeit"), wird mir
warm ums Herz. Auch hat bisher noch niemand gesagt, daß ihre Arbeiten
unwissenschaftlich seien.
Aber Frieda Grafe reichte als
emotionale Antwort auf die zürcher Filmwissenschaftler nicht aus. Wer mir
hilft, ist Lars von Trier in "Trier über von Trier" im Gespräch
mit Stig Björkman (erschienen 2001 bei Zweitausendeins). Die Dozenten der
Filmwissenschaft: "imbezil". Filmanalyse an der Uni? "Bringt
mir nichts". Aber Isabelle Hupperts Debüt in "Die Spitzenklöpplerin"? "Onanievorlagen!". Und dann im Dogma-Manifest
3 (1990) in Großbuchstaben: "Hier ist mein Bekenntnis, schwarz auf
weiß: LARS VON TRIER, DER WAHRE ONANIST DER LEINWAND".
Gefühle äußern
und Gefühle provozieren: Lars von Trier ist mein Mann. Im September 2005
bestellte mich Herr Wiederspiel vom Filmfest Hamburg als Laudator des Douglas-Sirk-Preises.
Standortfaktor! Detlef Sierck war Hamburger!! Aus Eimsbüttel!!! Der Preis
ging in Hamburg-Eimsbüttel zum ersten mal an eine Filmproduktionsgesellschaft,
Triers Zentropa. Aus Kopenhagen war mein alter Freund Peter Aalbaek Jensen angereist.
Ich kenne ihn von "Europa" her. Ich bekam für den Vortrag zwar kein Geld ("nichts
da"), wurde aber in einer Staatskarosse vorgefahren. Für die Fotografen.
Wieso repräsentiere ich Hamburg? Ich erfuhr es im letzten Moment. Wiederspiel:
"und jetzt die Laudatio, gehalten vom Hamburger Oberstaatsanwalt außer
Dienst Doktor Dietrich Kuhlbrodt".
Ich sandte unverzüglich wider
Wiederspiel massive feindliche Strahlungen aus, während ich die Unternehmensphilosophie
von Zentropa rühmte, den "doppelten Robin-Hood-Effekt", wie Jensen
es formuliert. Die Firma nutzt die deutlichen Einnahmen von der Industrie –
doofe TV-Serien, Werbung und Porno -, um das Geld an junge, unbekannte Filmemacher
wie Thomas Vinterberg weiterzureichen ("Die stärksten Helden",
1996).
Porno. Wiederspiel wand sich auf
seinem Sitz. Ich blieb beim Thema. Zentropa-Geschäft: die ersten Pornos
für Frauen, "Pussy Power". Die wären jetzt festivalreif,
behauptete ich, und forderte den hamburger Festivalchef auf, wenn er denn schon
Pornozentropa auszeichne, endlich auch die Filme vorzuführen. Die Frauenpornos
hießen jetzt immerhin "Innocent Pictures"; sie seien ästhetisch
wegweisend für das Hardcore Genre. Und schließlich lobte ich Zentropa
für die schwulen Pornos, die es auch auf den Markt wirft. "Für
die Qualität von Pornos hat Zentropa die Latte hochgelegt", rief ich.
Großer Beifall. Jubelrufe im eimsbüttler Grindelkino. Ich strahlte.
Wiederspiel war bei der Übergabe des Preises so zittrig, daß ihm
die extrem designte Skulptur aus den Händen glitt. Jensen bückte sich
und sammelte die Scherben auf. Er lachte. Standort Hamburg ist lustig. Er gab
mir sein Handy. Lars von Trier wollte mich sprechen, und er sprach. Bei mir
stellten sich wohlige Kinogefühle ein.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen im: Schnitt 1/06
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