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Viennale07.Internationale

Die Internationale ist wieder angesagt – im jungen internationalen Kino

 

Ob in Filmen aus den Philippinen oder aus den USA, die Internationale ist heute das Symbol, unter dem für das Menschenrecht gekämpft wird, ganz aktuell. Jedenfalls nach dem, was auf der Viennale, dem Internationalen Filmfest in Wien, zu sehen und zu hören war. Es war ein charaktervolles und mutiges Festival, für das ich die Vokabeln engagiert und fortschrittlich entstauben und in neuem Glanz verwenden möchte. Die Viennale orientiert sich nicht, wie sonst üblich geworden, an Standort- und Filmwirtschaft. Der Lohn: die Kinos quollen vor jungen Leuten über. Es schien, als hätte sich auch der letzte Student in die Warteschlange eingereiht.

Zur Sache. Erst 21 war der aus Mindanao stammende Filmregisseur Sharad Anthony Sanchez, als er die gesellschaftlichen Umbrüche und mythologischen Verkehrungen seiner Heimat in einer Filmerzählung verwob („Huling Balyan Ng Buhi – The woven Stories of the Other“). Im tiefsten Dschungel holen sich die Guerillas Mut und Stärke von der Internationalen, und zwar keineswegs ergriffen und pathetisch, sondern lässig und alltäglich. Das alte Kampflied ist in der Gegenwart angekommen, und wem dabei ein Schauer über den Rücken läuft, das sind die Alten, denen die Historie vertraut ist, – solche wie ich, sag ich mal, im Kino. Aber was wir dort sehen, ist nicht Kino, sondern Gegenwart. Die Darsteller sind nicht Filmprofis, sondern Menschen, die auf Mindanao leben, arbeiten und, ja, kämpfen. Die jüngsten sind zwei Sechsjährige, die sich selbst den Weg durch den Dschungel suchen. Ungewiss ist noch, was für ein Ziel sie erreichen werden. [email protected]

 

Die Internationale ist sogar einziger Kommentar und fulminanter Schluss im US-amerikanischen Film „Profit Motive and the Whispering Wind“ (Profitmotiv und der wispernde Wind) von John Gianvito. Sonst ist es windigem Blätterrauschen überlassen, etwas zu den vielen Grabsteinen und Gedenktafeln zu murmeln, die der Film zeigt: Spuren des Völkermordes an den Indianern, der blutigen Niederschlagung von Bürgerrechtsbewegungen und Streiks der Gewerkschaften. Nur ein einziges mal verlässt der Film die Spurensammlung und setzt die jungen Bürgerrechtler ins Bild, die gegen den Irakkrieg demonstrieren. Umso größere Wirkung hat es, wenn wir sehen, wie die Polizei knüppelt – und wie die Internationale, die dann einsetzt, groß orchestriert, für ungebrochenen Mut und eine utopische Ahnung steht. Die Tradition der amerikanischen Linken, in den letzten Jahren marginalisiert und dem offiziellen Blick entrückt, kommt unter dem Zeichen des marxistischen Liedes wieder zum Vorschein. – Ich mochte meinen Ohren nicht trauen, aber den Rücken runter lief es mir schaurig. In Boston koppelt einer den aktuellen politischen Kampf  an die große Tradition. Wann hat das zuletzt einer in Deutschland gemacht? Klar, dass „Profitmotiv und der wispernde Wind“ in den USA nach Kräften verschwiegen und der Vertrieb behindert wird ([email protected]). In Wien wird dagegen der Film als „ausgewähltes Beispiel eines Neuen Kinos“ präsentiert (Reihe „Propositions“). Dem Festivalleiter, Hans Hurch, ein solidarischer Gruß!

 

Die Internationale in den jungen Filmen hatte den Effekt, dass das gewaltige Pathos der dreißiger Jahre wie in Dziga Vertovs „Tri presni o Lenine“ („Drei Lieder über Lenin“) als gar nicht so ganz-abgeschlossene Historie erschien. Auf der Viennale wurde der Film in einer hervorgehobenen Vorstellung im Österreichischen Filmmuseum gezeigt. Der Kampf für das Menschenrecht geht außerhalb der SU weiter, nicht-offiziell, aber widerspenstig und an unvermuteten Orten unterschiedlicher Provenienz, ob Mindanao, ob Massachusetts.

 

Dietrich Kuhlbrodt

 

Dieser Text war eigentlich für das "Neue Deutschland" gedacht, ist nicht dort erschienen, aber in der filmzentrale.

 

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