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Erlauben Sie? Heil Hitler!
Nicht nur der dänische Regisseur Lars von Trier hat sich jüngst
zum Nazi gemacht. Aber nur er als "Berufsprovokateur" verließ
dabei den Schutzraum der Kunst
Lars von Trier, der Jonathan Meese des Autorenfilms, "hat Cannes gerockt und wurde gedisst", so hat es mir Facebook-Freund Georg Schmitt gesimst. Von Trier: "Okay, ich bin ein Nazi". Die Worte, die von den Agenturen in den Print- und Audiomedien verbreitet wurden, sind idiotisch. Eine Idiotie von Lars von Trier und eine Idiotie der Agenturen – mit einem Unterschied: gewollt vom dänischen Filmregisseur, ungewollt von den Nachrichtenverbreitern. Okay, das ist meine Behauptung. Ich gebe zu bedenken, dass die allseits zitierten Nazi-, Hitler- und Israel-Sätze in Cannes auf einem Filmfestival gefallen sind, gezielt vor der Presse. Das Medium Film besteht bekanntlich nicht nur aus Worten, sondern auch aus Bildern. Deswegen dominierten beim Nazi-Pressetermin auch die Kameras. Das gab tolle Fotos von den TV-Teams, die sich vor Lars von Trier drängelten – na ja, das Übliche. Weiter. Sah man, was sie aufnahmen – das bewegte Bild -, so nahm man Triers Mimik war. Sein schiefes Lächeln, seine Ironie, die Performance vor den Journalisten. "Wie komme ich da wieder raus". Gelächter. Er war verstanden worden. Bloß, was er bildmäßig an Körpersprache bot, war seinerseits wortlos. Nichts davon ging in die Agenturmeldungen ein. Ironie versteht man nie.
Was ich hier umständlich auseinandersetze, soll den Leser meiner mimikfreien Worte motivieren, sich die Live-Performance-Aufzeichnung vom Presseauftritt in Cannes zu beschaffen und sich über die Print- und Audiomedien zu ärgern, die nur die Worte und damit die halbe, die falsche Wahrheit verbreiten. Die Folge? Die Festspielleitung des Film-Fests reagiert auf Agenturmeldungen und rügt den Verstoß "gegen die Ideale von Menschlichkeit und Großmut". Merken wir uns das. In Cannes ist Trier ständiger Gast, und er ist dieses Jahr kein anderer als zuvor mit seinen Präferenzen, seinen Phobien, seinem Spiel mit der Presse, seiner Idiotie. Wie bei Filmleuten und daher auch in Cannes gut bekannt, hat er mit seinem Film "Die Idioten" (1998) das kreative Potential des "Idiotenspiels" genutzt und sich der "neuen Leichtigkeit des Närrischseins" hingegeben. "Die Idioten" waren zum Wettbewerb in Cannes eingeladen. Der "Film von, für, über Idioten" wurde von der Presse besichtigt, die sich prompt als Idiot angesprochen fühlte und einen Verstoß gegen die Ideale der Menschlichkeit registrierte. "Eine Sammlung virtuoser Mätzchen, eine Maskerade, ein Trick, ein Betrug" (Die Zeit, damals).
Demokratie im weitesten Sinn
Wer von Trier zu Gesicht bekam, sah sein sardonisch-ironisches Lächeln und war verunsichert. Meinte er das ernst? Hatte er es nicht gerade zum "Dogma 95" erhoben: "Behindert wird man durch Normalität"? Das Echo auf den Film war stark. Achim Forst, Redakteur der 3sat-Filmredaktion des ZDF schrieb ein Buch (Das Kino des Lars von Trier, arte Edition 1998). Als Verwandte im Geiste meldeten sich Schlingensief und Jonathan Meese.
"Ich verstehe Hitler", sagte Trier 2011 in Cannes, das sagte aber auch Meese Ostern 2011 auf dem Donaufestival in Krems während seiner dreistündigen Lecture-Performance. Die Hand zum Hitlergruß erhoben marschierte er fünf Minuten lang von einer Wand zur anderen (oder gegen die eine und die andere) und forderte für Kunst eine Radikalität, die Hitler auf diesem Gebiet, so Meese, mangels spezifischer Informationen leider habe vermissen lassen. Wir bräuchten, hörte ich weiter, für die Kunst das vierte, fünfte und sechste Reich, um die, die Künstler werden möchten, von den Fesseln des Ausbildungs- und Kunstbetriebes zu befreien. Im weitesten Sinn sei es die Demokratie, die die Freiheit der Kunst behindere. – Die Zuschauer wohnten gebannt dem Performance-Event bei. Das durch keinerlei Einwurf gestört wurde. Darf Meese das? Der Meese-Hitler scheint okay zu sein. Der wollte doch nur spielen! Kunst! Nächstes Meese-Event am 17. Juni im Burgtheater, Wien, auf dem Moby-Dick-Abend.
Weiter. Schlingensief. In eben diesem Burgtheater. Auf der Bühne Hakenkreuze. Schlingensief streckte den rechten Arm vor und rief "Heil Hitler". Er verzog die Lippen zu einem ironischen Lächeln: "Ich darf das. Das ist Kunst!"
Und jetzt ein Zwischenergebnis meiner lehrreichen Ausführungen (Smiley, grins):
– Wer die Meldungen lediglich liest, dem wird die Kommentierung und Relativierung des "Ich bin ein Nazi" durch Mimik und Körpersprache vorsätzlich vorenthalten (zürn).
– Was Trier der Presse darbot, hatte den Schutzraum der Kunst verlassen, in welchem sich Meese und Schlingensief sicher fühlten. Trier hatte vor der Presse ohne Netz gearbeitet.
Warum?
Warum dieses "Okay, ich bin ein Nazi"? Warum dieses Reden von der tollen Naziarchitektur des Albert Speer? Zu qualifizieren ist es wohl als soziales Krisenexperiment mit den Zuschauern, formuliert von Lars von Trier Mitte der neunziger Jahre, dogmatisiert in seinem viel bekakelten Manifest von 1995, entstanden "aus einem Bedürfnis, mich einer Autorität und Regeln zu unterwerfen, was ich in meiner humanistischen und linkskulturellen Erziehung nicht erfahren habe". So von Trier gegenüber dem schon genannten Arte-Redakteur Achim Forst zu den "Idioten".
Ironischer Outcast
Presse und Festivalleitung in Cannes haben dann in Triers Krisenexperiment mitgespielt, aktiv und unfreiwillig, was schön für von Trier ist und unschön für die anderen. Für mich waren Triers Nazischocker kein Problem. Bin ich doch seit zwanzig Jahren damit vertraut. 1991 war ich am Dreh von Triers "Europa" dabei und damit bei den Nazi-Werwölfen, die im Film 1945 nach Kriegsende zur Hochform aufliefen, im besetzten Deutschland. Triers Argumentation ging damals – wie heute in Cannes – so: ich habe deutsche Vorfahren (Hartmann). Ich bin Deutscher. Ich habe Hitler in mir. Okay, ich bin Nazi.
Von Trier tickt so seit Jahrzehnten. Bekannt. Man nimmt’s zur Kenntnis. Selbst damals schon die taz. Gunter Göckenjan: "Von der Nazi-Ästhetik fasziniert" (taz, 27.?7.?1991).
Frage: Müssen wir Deutsche, die wir unsern Hitler in uns haben, wir Nazis also, uns das von einem Dänen sagen lassen? Verwahrt sich da kein Außenminister? Die Merkel, warum schweigt sie? Oder geben wir dem Dänen insgeheim recht? Verstehen wir ihn? Denn Hitler ist nach wie vor bei uns. Als Untoter. Aktiv.
Scheiße, da zuckte es doch schon wieder in meinem rechten Arm. Neieiein. Und doch: der Hitlergruß. Bloß. Weil vor vierzehn Tagen zwei junge Leute in der braunen SA-Uniform neben mir standen, stramm, und dasselbe taten. Vor einer Kamera. Jetzt bin ich drin im Bild und wieder dabei. Wieder Hitlerjunge wie in den frühen vierziger Jahren. Das Programm ist nicht totzukriegen. Untote leben ewig.
Es geht also weiter mit den gruseligen Nazis. Mit dieser Mischung von Grausen und Faszination. Vor vierzehn Tagen also grüßte die SA-Formation Hitler in einer Halle von Kampnagel, Hamburgs angesagtester Theater-, Tanz-, Musik-, Performance-Stätte, in der Bruce LaBruce drei Tage lang öffentlich seinen neuen Film "Ulrike’s Brain" drehte. Der Filmset war Teil der Mobilen Akademie von Hannah Hurtzig Die Untoten, Life Sciences & Pulp Fiction, Kongress und Inszenierung. SA-Mann Felix Knoth, wiewohl untot, reagierte freudig-erregt, und ich fühlte mich in der pulp fiction der SA-Travestie zu Haus und ganz weit weg von den zig Millionen Zuschauern, die allen Ernstes in Eichingers "Der Untergang" dem Führer huldigten, voller Empathie für den gezeichneten armen alten Mann in seinem Bunker. Verflucht seien die massenkompatiblen Nazischmonzetten! Und her mit melancholischen Krisenexperimentatoren und ironischen Outcasts, die es nicht über andere, sondern über sich sagen, laut: Okay, ich bin ein Nazi.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen am 26.05.2011 in: der freitag
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