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Lars
von Gott
Nicht
der gute Mensch von Dänemark, aber ein höchst interessanter Regisseur
Lars von Trier nur als Provokateur zu bezeichnen, wird der Ernsthaftigkeit
seiner Arbeit nicht gerecht. Das zeigt auch sein neuer Film "Nymph()maniac"
Aufsehen erregen: Das kann Lars von Trier. Der Regisseur ist geradezu ein Virtuose des Aufsehenerregens. Immer wieder kriegt er es hin, dass alle gebannt oder empört oder mit gebannter Empörung auf das, was er tut und filmt, reagieren. Mit Nazi-Quatsch auf Pressekonferenzen, mit Sex und Gewalt und empörten Nie-wieder-Schauspielerinnen, mit Manifesten und spektakulären Ankündigungen und Plänen. Und nun zu seinem neuen Film "Nymph()maniac" mit einer Werbekampagne, die seit Monaten das Interesse von Boulevard wie Kritik raffiniert anzufüttern versteht: ein Film mit echtem Sex, den berühmte Schauspieler wie Charlotte Gainsbourg, Shia LaBeouf haben. Vielleicht gar Pornografie?
Die Kritiken zu der in Dänemark schon zu Weihnachten angelaufenen Kurzfassung des ersten Teils deuten auf anderes hin. Nämlich eine weitere gar nicht spekulative, im Kern vielmehr sehr ernsthafte Auseinandersetzung mit Sexualität, Leid, Depression. Für die Langfassung dieses ersten Teils, die die Berlinale als Weltpremiere zeigt, wird das aller Wahrscheinlichkeit nach ebenso gelten.
Provokation als Methode
Lars von Trier ist ein Scharlatan, aber auf ganz andere Weise, als seine Gegner gern unterstellen. Er tut manches dafür, dass man ihn für einen bloßen Provokateur halten könnte. Und klar, er ist ein Provokateur. Er sucht den Skandal, oder vielleicht muss man gleich komplizierter formulieren: Etwas in ihm will provozieren. Etwas geht mit ihm durch, wieder und wieder. Es gilt jedoch, ein bisschen wie bei Christoph Schlingensief (nur dass an die Stelle der Gesellschaftskritik bei von Trier Existenzfragen treten): Die Provokation ist Methode. Dass von Trier provoziert, sich provozieren lässt und diesem Etwas in ihm, das provozieren will, Raum lässt, in all dem verschmelzen ihm Leben und Werk zum ständigen Selbstexperiment. Und die Scharlatanerie besteht eben darin, dass von Trier gerade in der radikalen Bereitschaft zum Selbstexperiment ist, was er zunächst gar nicht scheint: ein sehr ernsthafter, zu allem entschlossener, so empfindsamer wie kompromissloser Künstler.
Durch Bescheidenheit glänzt der 57-jährige Däne nicht. Geboren als Lars Trier, hat er sich eigenhändig geadelt. Am liebsten spielt Lars von Trier sogar Gott. Manchmal den Theatergott, der eine karge Bühne einrichtet, als wäre sie die Welt ("Dogville"). Oder einen Schicksalsgott, der seiner Heldin einen Knüppel nach dem anderen zwischen die Beine wirft ("Breaking the Waves"). Oder einen schelmischen anwesend-abwesenden Gott in einem seiner unterschätztesten Filme, der nicht nur im Titel die ganze von Triersche Kunstkonstellation allegorisch erzählt ("The Boss of it All").
Dieser Gott ist alles andere als ein gütiger Mann, eher ein böser, wenn nicht rachsüchtiger Demiurg, wie ihn die Gnostiker sahen ("Antichrist"). Zuletzt war unterm finstern Planeten Saturn konsequenterweise radikal Weltuntergang ("Melancholia").
Wenn einer Gott spielt, steht eines andererseits fest: Er ist es ja nicht. Eher wirft er sich in die Kleider der Eltern und sieht dabei sogar ein wenig lächerlich aus. Und Lars von Trier ist zwar manchmal wirr, aber ganz sicher nicht blöde. Er weiß, dass er nicht Gott ist, er weiß, dass er den Demiurgen nur spielt, er weiß, dass ihm die großen Gesten auch mal verrutschen – wenngleich manchmal durchaus ins Große.
Inszenierung der Hochstapelei
Lars von Trier ist ein Hochstapler, aber einer, der die ganze Hochstapelei immer schon mitinszeniert. Er bewegt sich in Zonen der Ununterscheidbarkeit zwischen blutigem Ernst und albernem Spiel: So hat er das Kino mit seinem Dogma-Manifest irritiert, genarrt und doch auch verändert. Und so sind seine Filme verlässlich sehr unreine Mischungen aus ganz straightem Pathos und vielfachen Ironien. Mancher, der wünscht, dass alles seine schöne ästhetische Ordnung hat – hier Tiefsinn, da Flachsinn, aber nicht das eine unentwirrbar im andern -, kommt damit nicht so gut klar.
Lars von Trier ist Scharlatan, Provokateur, Subjekt und Objekt seiner Selbstexperimente, böser Gott und ernsthafter Künstler. Eines ist er vermutlich tatsächlich nicht: ein einfacher Mensch. Er kämpft bis ins Pathologische vehement gegen die antiautoritäre Erziehung, die er eher erlitt als genoss. Die Mutter figuriert als Inkarnation des Bösen: Sie hat ihm lange den biologischen Vater verschwiegen – und dann war der auch noch, anders als der soziale, kein Jude, sondern ein Deutscher. Von Kindheit an suchen von Trier Angstzustände heim, von seiner schweren Depression war viel zu lesen. Von der Flugangst zu schweigen, die dafür sorgt, dass er nie in die USA reist und zu europäischen Festivals bestenfalls mit seinem Wohnmobil kommt.
Und er lässt, was ihm widerfährt, seinen Figuren auch in seinen Werken widerfahren. Auf der Opferseite landen dabei fast immer Frauen. Man darf ihm glauben, dass er sich als Leidenden in sie hineinprojiziert. Da ist zweifellos ein masochistischer Zug. Nun ist er aber zugleich der Gott, der sich in Gestalt dieser Frauen oft Schlimmes antut. Theoretisch ist er damit auf der Sado- und Masoseite zugleich.
Der gute Mensch von Dänemark
Im richtigen Leben freilich agiert er als Drehbuchautor und als Regisseur auf dem Set doch als launische Autorität, schweigend, trotzend, tobend, keinen Widerspruch duldend. Seine Darstellerinnen – Nicole Kidman, Björk und andere – hat er damit reihenweise vergrault, teils unter großem Skandal. Charlotte Gainsbourg andererseits hält es nun schon im dritten Film mit ihm aus, und man kann nicht sagen, dass er sie schont. Der gute Mensch von Dänemark ist Lars von Trier sicher nicht. Einer der interessantesten Regisseure der Gegenwart aber schon.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: der freitag
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