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Laurent
Jullier: Star Wars – Anatomie einer Saga
(Buchkritik)
Ein Universum dehnt sich aus. Je mehr Filme, Comics oder Computerspiele
unter dem „Star Wars“-Label erscheinen, desto diffuser wird die Angelegenheit.
Allein soziologisch: Laurent Jullier, Sorbonne-Professor und Filmkritiker, betrachtet
George Lucas’ Sternenkriege inklusive aller medialer Verästelungen als
„transkulturelles Objekt“, das „jenen Punkt überschritten (hat), an dem
ein Kulturprodukt auf einen Lebensstil verweist oder eine bestimmte Klasse markiert.“
Um so erstaunlicher, dass dem Autoren der vorliegenden „Anatomie
einer Saga“ der große Wurf gelingt, das komplexe Gesamtphänomen mit
wissenschaftlicher Akribie einzukreisen und seine Analysen zugleich anschaulich
und unterhaltsam zu formulieren.
Das erste Buchdrittel konzentriert sich auf die beiden „Star Wars“-Trilogien,
den Kern der Saga. Schon hier kommt Jullier dank präziser Analyse der Erzählstrukturen
und einer Untersuchung audiovisueller Stilelemente zu dem Zwischenergebnis,
dass die „Star Wars“-Filme keineswegs so effektlastig sind, wie es das Gros
der (im Buch vorrangig zitierten französischen) Filmkritiker wiederholt
moniert hat. Jullier stellt fest, dass Lucas zwar das postmoderne Kino maßgeblich
beeinflusste, in der Wahl seiner Mittel aber eher den klassischen Stil bevorzugt
– und dass die Special Effects sich durchweg der Erzählung unterordnen.
Da könnte einem die ketzerische Idee kommen, Kubricks „2001“ mit seiner zurückgeschraubten Narration und dem
ins Abstrakte mündenden Finale wäre das größere Effekt-Spektakel
(wenn auch auf höchstem philosophischen Niveau).
Den „Star Wars“-Schwertduellen und dem an „Ben Hur“ orientierten „Pod Race“ in Episode 1 sind ausgreifende
Stilanalysen gewidmet. Das geht im Grunde schon in die „externe Analyse“ des
zweiten Teils über, in welchem Jullier die weiteren film- und kulturhistorischen
Zusammenhänge untersucht. Neben differenzierten Abgleichungen der Saga mit „Flash Gordon“,
sowie Ritter- und Samurai-Epen gelingt die Kontextualisierung glänzend
im Kapitel über „Weltanschauungen und Ideologien“. Die viel beschworene
Nähe des „Star Wars“-Mythos zur religiösen Strömung des Manichäismus
behandelt Jullier mit begründeter Skepsis, eher habe der durch die New-Age-Bewegung
der 1960er- und 70er-Jahre vermittelte Gnostizismus die Saga geprägt. Mehr
Gewicht legt der Autor aber auf die – zunächst überraschende – Feststellung,
dass sich in „Star Wars“ eine Gegenbewegung zur Wissenschafts- und Technikgläubigkeit
des 20. Jahrhunderts manifestiert hat. Zwar wird das Bild einer Galaxis gezeichnet,
in der Laserwaffen und Hyperantrieb selbstverständlich sind. Doch während
die reale, irdische Technologie immer undurchschaubarer wird, präsentiert
die Saga ein vollkommen hör- und sichtbares Universum, in dem Raumschiffe
durch den „Äther“ knattern und „Antimaterie-Schutzschilder“ wie Seifenblasen
aussehen. Kurz: der Mythos stellt sich der Entzauberung der Welt entgegen. Das,
so deutet Laurent Jullier hier an, ist die eigentliche spirituelle Botschaft
von „Star Wars“
Den Merchandising-Produkten, Fanzines und Internetaktivitäten
widmet sich Jullier im abschließenden Kapitel. Darin stellt er fest, dass
die meisten Fans produktiv und kritisch mit der Saga umgehen. Der Autor widerspricht
damit vehementen Kritikern der Massenkultur wie Adorno, derartige Produkte könnten
„einschläfernd“ wirken und die kritiklose Hinnahme bestehender Ordnungen
befördern. Anschnallen und das Denken nicht einstellen! – so könnte
Laurent Julliers Empfehlung für eine Reise in die „Star Wars“-Galaxie lauten.
Jens Hinrichsen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: Filmdienst 13/2007
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