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Steven Soderbergh
Auf der Flucht
Mit „Side Effects“ kommt ein letzter Film von Steven Soderbergh ins Kino. Bilanz eines erschöpfenden Werks.
Steven Soderbergh ist zweifellos ein Filmverrückter. Als 13-Jähriger war er mit der Super-8-Kamera unterwegs; er lernte Filme wie "Der weiße Hai" auswendig, Einstellung für Einstellung, Schnitt für Schnitt. Daneben erwarb er sich in Animationskursen grundlegende Fertigkeiten und begann, nach eher glücklosen Erfahrungen als Cutter beim Fernsehen, mit dem Verfassen eigener Drehbücher. Sein Entrée in die Filmwelt bildeten Konzertfilme für die Bombast-Rocker "Yes: 9012Live: The Solos" brachte ihm 1986 eine Nominierung bei den Grammy-Awards ein.
Drei Jahre später war Soderberghs Spielfilm "Sex, Lügen und Video" eine kleine Sensation beim Festival in Cannes. Da zeigte sich, vielleicht, der Beginn eines neuen US-amerikanischen Kinos zwischen Independent und Mainstream, intelligent, aber unterhaltsam, kritisch, aber nicht radikal, ein wenig postmodern, aber nicht zu sehr. Und ziemlich ehrlich, was das Leben der Generation anbelangte, die nach den Baby-Boomern kam. Soderbergh kam mit einer Goldenen Palme zurück, ein neues Wunderkind für die Traumfabrik war geboren.
Jonglieren mit Charakteren
"Sex, Lügen und Video" zeigte eine Gruppe von Menschen in den
Netzen ihrer Begierden und ihrer Hemmnisse. Dabei spielt der Film gekonnt mit
dem Voyeurismus in der Handlung wie dem zwischen Leinwand und Zuschauer – eine
Momentaufnahme der sexuellen Ökonomie und der Ratlosigkeit darüber
am Ende der achtziger Jahre. Der Film machte eine unhierarchische, sich eher
über Raum und Zeichen als über Aktion und Reaktion entwickelnde Erzählweise
wieder populär, die vordem Robert Altmans größte Filme geprägt
hatte und die Paul Thomas Anderson in "Magnolia"
(1999) zu einer Meisterschaft entwickelte, die Soderbergh nie erreichen sollte.
Dessen Stärke liegt woanders.
Es ist die Leichtigkeit, mit der Soderbergh Dinge zu verknüpfen versteht, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören, das Jonglieren mit verschiedenen Charakteren und Handlungspartikeln, die, einmal in die Luft geworfen, ein paar unerwartete Drehungen vollführen, bevor sie vom Buch an unvorhergesehener Stelle wieder aufgefangen werden. Steven Soderbergh hatte von Beginn seiner Arbeit an zwei Gegner: die Traumfabrik, die sein Talent zu absorbieren trachtete, und sich selber. Er war stets davor auf der Flucht, einen Hollywood-Film oder Steven-Soderbergh-Film zu machen. Filmemachen auf der Flucht kann kreativ sein, anstrengend ist es immer.
Seit dem Erfolg von "Sex, Lügen und Video" arbeitete Soderbergh rastlos in einem Business, das er von Herzen liebt und zugleich verabscheut. Für das Kino, zwischendurch auch für das Fernsehen, als Drehbuchautor, Regisseur und Produzent. Und nicht genug damit: Als Kameramann bei den eigenen und manchen anderen Filmen, unter dem Pseudonym Peter Andrews, und beim Schnitt als Mary Ann Bernard. Im Jahr 2000 gründete er zusammen mit George Clooney die Section Eight Productions. Ein Versuch, die eigene Unabhängigkeit auch ökonomisch zu fassen. Die freundschaftliche Zusammenarbeit mit Clooney endete 2006; man blieb durch den Erfolg der "Ocean’s"-Filme miteinander verbunden.
Eine geradlinige Erfolgsgeschichte ist die Karriere des nächsten Wunderkindes Soderbergh nicht geworden. Auf "Sex, Lügen und Video" folgten Flops. Offensichtlich wollte Soderbergh sich auf keinen Fall wiederholen oder zum Spezialisten sarkastischer Mehrpersonenstücke werden. Das Leben von Franz Kafka in einen Thriller zu verwandeln und die Titelrolle Jeremy Irons zu übertragen ("Kafka", 1991), war aber vielleicht nur auf dem Papier eine gute Idee. Und "König der Murmelspieler" (1993) zeigte durch ein paar schöne, nostalgische Tableaus und ein sonderbares Happy End vor allem eine Schwäche: Von den Wunderkinder-Vorgängern Steven Spielberg und George Lucas schien Soderbergh die Angst geerbt zu haben, es mit Experiment und unangenehmer Wahrheit zu übertreiben.
Soderberghs Filme wollen immer auch gefallen. Man spürt in ihnen den Kampf zwischen Autor und System, mal gewinnt der eine, mal das andere, und das nicht nur von Film zu Film, sondern oft innerhalb von einem. Denn die Methode der subversiven Koexistenz, die Soderbergh entwickeln sollte, ist vom Zuspruch des Publikums abhängig. Man testet gemeinsam aus, wie weit das Kino sich von seinem unterhaltungsindustriellen Zentrum entfernen kann, ohne als Arthouse-Programm marginalisiert zu werden.
Reisen in Psychen
Richtig in Fahrt kam Soderbergh mit "Out of Sight"
(1998). Der Stoff des Krimiautors Elmore Leonard gab ihm Gelegenheit, komplexere
narrative Kompositionen kinogerecht zu formen, und George Clooney in der Rolle
des smarten Verlierer-Einbrechers war eine Bank. Der Film zeigte Soderberghs
Begabung, mit vielen Haupt- und Nebenfiguren umzugehen, die allesamt von fulminantem
Leben erfüllt sind.
Soderbergh hat auch in seinen Genrefilmen die Kunst entwickelt, Charaktere und Beziehungen zu entformeln. Bei ihm gibt es nicht die Guten und die Bösen, vielmehr geht es um eine neurotische Struktur der Gesellschaft, um Leute, die es schaffen, zur richtigen Zeit am falschen Ort zu sein, dieselben Fehler immer wieder zu machen, sich zu binden, wo man sich lösen müsste, und sich vor der Bindung zu drücken, wo sie die Lösung wäre.
Nach "Out of Sight" konnte man zwei Arten von gelungenen Soderbergh-Filmen unterscheiden. Auf der einen Seite die Filme, die eine einzelne Person im zornigen und verzweifelten Kampf gegen übermächtig erscheinende Systeme zeigen. Also "The Limey" (1999), der mehr ist als eine Gangster-Rachegeschichte, "Erin Brockovich" (2000), die Geschichte vom Kampf einer Frau (Julia Roberts, vollkommen gelöst vom Rollenklischee), und, fast schon als Farce, "Der Informant!" (2009), in dem Matt Damon als Autor einer Verschwörung erscheint, die viel größer ist als er selbst. Und auf der anderen Seite jene Filme, die Strukturen und Beziehungen beschreiben, weltumspannend wie in "Traffic" (2000), der die Macht des Drogenhandels und die Absurdität seiner Bekämpfung illustriert, oder jene Filme, die eine späte Fortsetzung von "Sex, Lügen und Video" darstellen, zum Beispiel "Full Frontal" (2006).
Der Trick von Soderberghs Art des Filmemachens besteht darin, die Traumfabrik mit den eigenen Mitteln zu schlagen. Soderbergh bezieht sich auf Genres, um deren Regeln zu brechen oder ironisch zu überhöhen, er engagiert die Stars, um sie im Ensemble wieder zu richtigen Schauspielern zu machen, und er setzt in Filmen wie "Solaris" (2002) die Produktionsmittel von Blockbustern ein, um ein intimes Spiel zwischen Subjekt und Gesellschaft zu entfalten. So unterschiedlich Soderberghs Filme sein mögen, sie alle haben ein Ziel, es sind Reisen in Psychen am Rande der Auflösung. Soderberghs Ernesto Guevara in dem Zweiteiler "Che" (2008) ist weniger die historisch-ideologische Gestalt als der Mann, dessen Weltvorstellung sich auflöst. Darum fällt es Soderbergh nicht schwer, seine Sympathie zu zeigen. Umgekehrt hat Soderbergh auch kontroverse Themen mit einer freundlichen Maske versehen. Selbst "Traffic", gewiss einer seiner besten Filme, blieb von dem Vorwurf nicht verschont, die Hässlichkeit von Droge und Verbrechen hinter einem Schleier der Kino-Konventionen halb zu verbergen.
Steven Soderbergh also hat das Kino, seine Zuschauer und seine Kritiker (und vor allem sich selbst) immer an den Rand der Erschöpfung geführt. Er trat zugleich als Schmuggler und Verräter auf, balancierte auf einem Seil zwischen Kunst und Kommerz, und immer wieder folgten auf eigensinnige Filme mit schlechten Einspielergebnissen die Versuche, der Traumfabrik zu geben, was der Traumfabrik ist. Vollständig gelungen ist das wohl nur in den Gaunerkomödien der "Ocean’s"-Filme, wo die Drehbuch- und Inszenierungseleganz und das so entspannte Spiel der Stars eine cineastische Seifenblase produziert. Noch deren Platzen zeugt von Raffinesse und Talent.
Mit Fantasie und Ambition wollte Soderbergh der Kinomaschine ein Schnippchen schlagen. Jetzt könnte er entweder nur noch Soderbergh- oder nur noch Hollywood-Filme drehen. Er hat sich entschlossen, sich dieser Falle durch Rückzug zu entziehen. Vorerst.
Georg Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen in: der Freitag
Über Steven Soderbergh gibt es in der filmzentrale auch diesen Text von Andreas Busche
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