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„Ich habe Otto Preminger einmal gefragt, ob es einem
Charakterdarsteller möglich sei, ein Star zu werden. Preminger verneinte.
Ich möchte ihn widerlegen.“
Als Robert Shaw am 28. August 1978 durch eine massive
Herzattacke mit nur 51 Jahren verstirbt, ist er (beinahe) ein großer Hollywood-Star.
Doch dieser späte Ruhm gründet sich auf einer jahrzehntelangen Karriere
am Theater, beim Film und, was die wenigsten wissen, als Autor.
Der junge Shaw wächst 1927 als Sohn eines Arztes und einer Krankenschwester in Cornwall und den Orkney Islands in Nordschottland auf. Er ist das älteste von fünf Kindern. Schon früh muss er einen schweren Schicksalsschlag hinnehmen: Dr. Thomas Shaw ist schwerer Alkoholiker und begeht Selbstmord, als Robert 12 Jahre alt ist. „Am Tag, an dem mein Vater sich umbrachte, sagte er meiner Mutter: ‚Ich werde mich umbringen.’ Meine Mutter sagte: ‚Tu es nicht vor den Kindern.’ Sie ist bis heute der Meinung, dass er sich nicht umbringen wollte – dass er zwei Flaschen mit der Aufschrift ‘Scotch’ hatte, eine gefüllt mit Gift, und dass er einen Schluck aus der falschen Flasche nahm“ erinnert sich Shaw später. Das Ereignis sollte prägend für den Jungen sein. Auch Jahrzehnte später träumt er, sein Vater wäre noch am Leben.
Bereits in der Schule entdeckt er zwei seiner großen
Vorlieben, den Sport und die Schauspielerei. Beides ist für ihn vergleichbar motiviert: Durch Konkurrenz-Denken. Dabei
ist es nicht so, dass er grundsätzlich anderen keinen Sieg gönnt,
aber Anerkennung und Wettstreit sind ihm überaus wichtig. Das Konkurrenz-Denken
soll ein wesentlicher Bestandteil seines Lebens bleiben, davon können einige
seiner Kollegen später ein Lied singen.
Als glückliche Fügung beschreibt Shaw den Umstand,
dass er einen Lehrer hat, der ihn an die klassische Literatur heranführt
und der seine Schüler regelmäßig zu Theaterinszenierungen mitnimmt.
1944 sieht der junge Robert sein erstes Stück: Hamlet mit John Gielgud, der einen starken Eindruck auf ihn
macht. Nun hat er noch mehr Lust, in den Schultheaterinszenierungen mitzuwirken
– sein Lehrer rät ihm jedoch davon ab, das Hobby zum Beruf zu machen: Shaw
hätte das falsche Temperament dafür. Gerade eine solche Bemerkung
setzt jedoch den Rebellen in ihm frei: Statt sich für eine Lateinprüfung
vorzubereiten, die ihm den Zugang nach Cambridge ermöglichen würde,
schreibt er sich kurzerhand für eine Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule
‚Royal Academy of Dramatic Arts’ (RADA) ein – und wird angenommen. Das Spielen
auf der Bühne ist für Shaw ein ähnlich emotionales Erlebnis wie
beim Fußball ein Tor zu schießen: „Das einzige, was mich an der
Schauspielerei verunsicherte, war, dass man nie beweisen konnte, was man eigentlich
geleistet hatte, während es bei einem erzielten Treffer keine Zweifel gab.“
Die Situation bei der RADA ist für Shaw jedoch keineswegs
befriedigend. Er ist ein Außenseiter, wohl auch, weil er sich nicht anpassen
will und für das Gros seiner Kommilitonen wenig übrig hat. Über
die allermeisten sagt er, sie seien unbelesen, kennen sich nur mit Theater aus,
seien affektiert und physisch heruntergekommen. Natürlich bekommen nicht
die aufsässigeren Schauspieler, sondern die zugänglicheren die größeren
Rollen. Bei ihm und seinen wenigen Freunden wachsen Langeweile und Frustration.
1950, am Abend nach einer Aufführung von Viel Lärm um Nichts (Much Ado about
Nothing), in der er den Comrade spielt, erscheint
ein Mann hinter der Bühne, mit den Worten: „Mein Name ist Alec Guinness.
Ich möchte Ihnen zu Ihrer Performance gratulieren“. Guinness offeriert
Shaw die Rolle des Rosencrantz in seiner Hamlet-Inszenierung am West End. Das Stück wird ein katastrophaler
Flop, aber Shaw schätzt die Erfahrung, mit Guinness zu arbeiten, weil dieser
den jungen Schauspieler als Gleichwertigen behandelt. Danach schließt
er sich dem ‘Old Vic’-Ensemble an, wo er auch Jennifer Bourke kennenlernt,
die er 1952 ehelicht und mit der er vier Töchter hat. Und mit Donald Pleasance macht er während dieser Zeit Bekanntschaft: die Freundschaft
wird bis zu Roberts Tod bestehen. Nachdem sein Engagement beim Ensemble beendet
ist, folgen drei harte Jahre, in denen er an der Armutsgrenze lebt. Auch seine
ersten kleinen Filmauftritte in Die Dambusters (The Dam Busters, 1954) und An
vorderster Front (A Hill in Korea, 1956) bringen
ihn finanziell und künstlerisch nicht weiter. Jedoch verfasst Shaw zu dieser
Zeit sein erstes Theaterstück, Off
the Mainland.
Eine weitere Leidenschaft von ihm, die er in Interviews später immer wieder
als seine wichtigste herausstellt, wird geboren: Die Schriftstellerei.
Finanziell geht es 1957 plötzlich aufwärts:
Mit einem Angebot für die Hauptrolle des Captain Dan
Tempest in der Piratenmär The Buccaneers für das britische Fernsehen (in Deutschland nicht
gelaufen). „Bis dahin habe ich nie mehr als sechzehnhundert Pfund im Jahr verdient.
Für die Serie wurden mir zehntausend Pfund für acht Monate Arbeit
offeriert. Natürlich habe ich akzeptiert.“ Doch der schnöde Mammon
hat seinen Preis. Am Theater wird Shaw prompt nicht mehr ernst genommen, man
spricht nur noch mit ‘Dan Tempest’. Obwohl ihm das Draufgängertum und die
Fechtszenen Spaß machen, fängt er bald an, den Part zu hassen. „Als
Schauspieler war ich ein Witz geworden“ sinniert er später. Ein zweiter
Errol Flynn, den er bewundert, würde er auch nicht werden – dafür
sind die Drehbücher einfach zu schlecht.
Auf der anderen Seite ist es ein Weg aus der Anonymität,
und der erste Rolls-Royce lässt sich ebenfalls prima bezahlen von der neuen
Gage. Teure Autos sind eine Schwäche des Briten; Interesse an teurer Kleidung
hat er hingegen überhaupt nicht. Auch kann er es sich leisten, Off the Mainland auf die Bühne zu bringen: Am gleichen Abend startet
allerdings auch Blick zurück im Zorn (Look back in
Anger) von John Osborne, das die englische
Theaterlandschaft nachhaltig verändern soll. Off the Mainland floppt erbärmlich. Einer seiner Freunde, der Regisseur Lindsay Anderson
(If…), sagt Shaw ehrlicherweise, dass er das Stück
auch für ziemlich schlecht hält, dass es aber einige große literarische
Momente habe, die jedoch eher an einen Roman erinnern würden. Und Shaw
ist nun mal nicht einer, der aufgeben würde. ‘Verlieren’ gehört nicht
unbedingt zu Shaws erweitertem Wortschatz. Er hasst es, zu verlieren.
Robert zieht sich mit seiner Familie zurück und
beginnt seinen ersten Roman zu verfassen. The Hiding Place (1959), in dem zwei amerikanische Soldaten während
des Zweiten Weltkriegs von einem verrückten Deutschen bis lange nach Kriegsende
in einem Keller gefangen gehalten werden, wird ein Erfolg bei Kritik und Publikum.
Von da an nimmt er mit schier unerschöpflicher Energie
seine Zwillings-Karriere als Schauspieler und Schriftsteller in Angriff, denn
„das Eine ist exzellente Flucht vorm Anderen“ sagt er. Shaw engagiert sich erneut
beim Theater und bekommt größere Rollen wie in The Long, the
Short and the Tall (an der Seite
von Peter O’Toole). Schließlich spielt er Anfang der 60er Jahre in zwei
Stücken, die beide eine Art Schlüsselfunktion unterschiedlicher Natur
für Shaw darstellen. In Der Wechselbalg
(The
Changeling) verkörpert er den Intriganten De Flores, der von
seiner Geliebten zum Mord an deren Ehemann angestachelt wird. Diese Frau wird
von Mary Ure gespielt, die zu jener Zeit ein Theaterstar ist. Berühmt wurde
sie in England insbesondere durch Blick
zurück im Zorn, sowohl auf der Bühne
als auch in der Verfilmung (mit Richard Burton). Zwischen ihr und Shaw entflammt
eine Leidenschaft vor wie hinter den Kulissen. Das Problem ist nur, dass beide
verheiratet sind (Mary Ure übrigens mit John Osborne). Der Skandal ist
perfekt, als sowohl seine Frau Jennifer als auch Mary ein Kind von ihm erwarten.
1963 heiraten die beiden schließlich. Kurz zuvor, 1961, erscheint Shaws
zweiter Roman, The Sun Doctor, der die allegorische Geschichte eines Arztes erzählt,
der einen afrikanischen Stamm entdeckt, dessen Angehörige nicht schwitzen
können. The Sun Doctor
wird zu seinem erfolgreichsten Werk, es wird mit dem Hawthornden
Preis ausgezeichnet und verkauft sich gut. Auch Shaws darstellerisches Debüt
am Broadway in Harold Pinters Der Hausmeister
(The
Caretaker), wo er Peter Woodthorpe in der Rolle
des Aston ersetzt, wird ein Hit. In Pinters mittlerweile klassischem Stück
des absurd-naturalistischen Theaters, in dem Robert neben Donald Pleasence und Alan Bates agiert, spielt er einen durch frühere Eingriffe
an seinem Gehirn traumatisierten jungen Mann. Und hier zeigt Shaw eine sehr
verletzliche, ruhige und zurückgenommene Seite, wie man sie später
selten von ihm zu Gesicht bekommt; ein Part, der völlig gegenläufig
zu seiner extrovertierten Persönlichkeit ist und der ihn auch nach eigener
Aussage eben wegen dieser Zurückgenommenheit sehr viel Kraft gekostet hat.
In Clive Donners gleichnamiger Verfilmung von 1963 mit derselben Besetzung kann
man sich diese exzellente Leistung immer wieder ansehen, ohne dass sie etwas
von ihrer Intensität einbüßt.
Der Durchbruch zum international bekannten Charakterdarsteller
kommt noch im selben Jahr mit dem zweiten James Bond-Film Liebesgrüße aus Moskau (From Russia with Love). Sein Portrait des eiskalten blondhaarigen Killers
Red Grant, wird auch heute noch zu den besten Gegenparts des Agenten mit der
Doppelnull gezählt. Shaw behauptet später seinen Freunden gegenüber,
er habe Sean Connery während der Zweikampf-Szene im Zug besiegt – das Skript
sah freilich einen anderen Ausgang des tödlichen Duells vor. Ironischerweise
will Shaw die Rolle zunächst gar nicht annehmen, sie geht ihm „gegen die
Ehre“, und erst die Überzeugungsarbeit von Mary, die anscheinend den weitreichenden
kommerziellen Aspekt des Stoffes erahnt, ändert schließlich seine
Meinung. Für seine Filmkarriere ist es eine weise Entscheidung, denn von
hier an steigt der Umfang der Rollen und der Gagen. Beim nächsten Film
gibt es zwar nicht allzu viel Geld zu verdienen, aber Irvin Kershners Das Glück des Ginger Coffey (The Luck of Ginger Coffey, 1964) wird insbesondere wegen seiner Darstellung des titelgebenden
Verlierers (an der Seite seiner Frau Mary) von der Presse hochgelobt. An der
Kasse interessiert sich jedoch niemand für den anspruchsvollen kanadischen
Film. Das soll sich nach Meinung von Shaw mit dem Zweite-Weltkriegs-Epos Die letzte Schlacht
(Battle of the
Bulge, 1965) ändern.
Dieses Mal klingelt die Kasse deutlich mehr, aber das Skript ist äußerst
dürftig – besonders seiner historischen Inkorrektheiten wegen wird der
Film um die deutsche Ardennenoffensive kritisiert. Doch Shaw kann einen weiteren
persönlichen Sieg für sich verbuchen: Als Oberst Hessler, einem fanatischen
deutschen Panzeroffizier, stiehlt er dem eigentlichen Hauptdarsteller Henry
Fonda die Show. Es ist verblüffend, wie Shaw den Raum für sich einnimmt,
wie der Kamerablick von seiner Präsenz magnetisiert wird; seine stahlblauen
Augen kommen selten so gut zur Geltung wie hier. Alleine wegen seiner differenzierten
Performance ist Die letzte Schlacht trotz einiger Mängel sehenswert.
Und sein dritter Roman, The Flag (1965), wird von der Kritik wiederum als eine bemerkenswert
originelle Arbeit gepriesen. Es läuft also alles andere als schlecht. Außer,
dass die Forderungen des englischen Fiskus an seine schwerverdienten Gagen seiner
Meinung nach deutlich zu hoch sind. Später wird er für einige Zeit
im spanischen Steuerexil mit der Familie eine Villa von Orson Welles bewohnen
(in der bei einem Brand, dessen Ursache möglicherweise Shaws Trunkenheit
gewesen ist, einige Filmartefakte zerstört werden – was Welles ihm nie
verziehen hat).
Seine verdienstvollen Bemühungen im Film erfahren
1966 ihre Krönung: Der nur zehnminütige Auftritt als junger Heinrich
der VIII. in Fred Zinnemanns Ein Mann zu jeder Jahreszeit (A Man for
all Seasons, 1966) wird
mit einer Oscar-Nominierung honoriert. Und hier darf Shaw sein teilweise ungezügeltes
Temperament voll ausspielen: In einem Moment fröhlich, charmant und zuvorkommend,
im nächsten bereits arrogant, jähzornig und zynisch – so präsentiert
Shaw den englischen König, der sieben Frauen ehelichte und der die Hauptfigur
von Zinnemanns Film, Lordkanzler Thomas Morus (Oscar-prämiert: Paul Scofield),
hinrichten ließ, weil er ihm die moralische Einwilligung (Act of Supremacy) an seinen Scheidungen verweigerte. Vanessa Redgrave,
die hier den (winzigen) Part der Anna Boleyn übernimmt, ist im Übrigen
von Shaws auffällig ehrgeiziger Persönlichkeit sehr angetan, wie sie
später in ihrer Autobiographie schreibt.
Nach dieser formidablen Vorstellung folgt jedoch ein
kleiner Dämpfer: Sein Portrait von General Armstrong Custer in Robert Siodmaks Ein Tag zum Kämpfen (Custer of the West, 1966) erfährt
bei der Kritik nicht unbedingt einhelligen Zuspruch. Insbesondere sein kontinentaler
Akzent für die amerikanische Legende wird kritisiert. Custer ist in der
Filmgeschichte sowohl als Held wie auch als Versager
dargestellt worden. Ein Tag zum Kämpfen unternimmt den Versuch, die Ambivalenz der Figur auszuloten,
doch das Drehbuch ist letztlich zu unentschlossen. Die merkwürdige Wechselwirkung
der Legende Custers und seines Hauptdarstellers bringt Penelope Mortimer
im ‘Observer’ treffend auf den Punkt: „Custer
of the West gibt
Robert Shaw das cineramische Format, das der braucht; er ist in der Lage, einen ganzen
Quadratkilometer Leinwand mit einem Grinsen oder einem Fauchen zu füllen,
und dabei illuminiert er die Szene, die er spielt, mit einer seltenen Intelligenz.
Der Film ist bewundernswert inszeniert und fotografiert, aber ohne Shaw wäre
er nur eine Bagatelle. Er ist als Schauspieler zwangsläufig heroisch. Custer
war nicht heroisch, jedenfalls nicht in moralischer Hinsicht. Die Autoren des
Films wussten nicht recht, was sie mit diesem Problem anfangen sollten.“
Letztendlich kranken aber alle drei Produktionen, bei
denen Autor/Produzent Philip Yordan mitwirkt und mit
dem Shaw einige Zeit befreundet ist, an schwachen Drehbüchern und wirken
schnell heruntergekurbelt. Neben Die letzte
Schlacht und Ein Tag zum Kämpfen
ist auch Irving Lerners Der Untergang
des Sonnenreiches (The Royal Hunt of the Sun) von 1968, in dem Shaw den spanischen Eroberer Fráncisco Pizarro verkörpert, trotz der starken Theatervorlage
von Peter Shaffer recht uninspiriert und steif in Szene gesetzt worden. Letztlich
dürften nur die Schecks, mit denen Yordan seinen Star lockte,
überzeugend gewesen sein.
Die Rollen, die Shaw zum großen Teil in den 60er
Jahren annimmt, sind ein Hinweis auf sein Bestreben, nach ganz oben zu wollen,
ein Star zu werden. Doch noch ist dieser Durchbruch nicht da. „Ich bin der höchstbezahlte,
älteste unbekannte Schauspieler der Welt“ sagt er zähneknirschend
dem ‚Life’-Magazin 1967. Dabei hat er eigentlich wenig Grund, sich zu beklagen:
Kurz zuvor hat sein Theaterstück Der Mann im Glaskasten, das er von seinem eigenen Roman adaptiert hat, in London
Premiere. Das Stück wird ein so großer Erfolg, dass es bald darauf
am Broadway läuft. Eigentümlicherweise ist es das kontroverseste von
Shaws Werken: Der reiche New Yorker Jude Arthur Goldman wird verdächtigt,
ehemaliger Nazi gewesen zu sein. Schließlich lässt sich Goldman bereitwillig
als der gesuchte NS-Verbrecher verhaften. Während des Prozesses in Israel,
den er in einem kugelsicheren Glaskasten verfolgt, wird er mit ehemaligen KZ-Häftlingen
konfrontiert. Der Ausgang des Stückes hält jedoch eine große
Überraschung parat. – Das intellektuelle Stück über eine extrem
extrovertierte Person, die in sadomasochistischer Weise versucht, die Identität
zu wechseln, hat bis heute nichts von seiner Brisanz eingebüßt. Bei
der Londoner Erstaufführung tragen Harold Pinter (Regie) und Donald Pleasence (Hauptrolle) zum Erfolg des Stückes bei. Während der Produktion
des Stückes fordert Shaw seinen Freund Pinter, der auch kein schlechter
Sportler ist, zu einem Squash-Duell heraus. Die Aufgaben gestaltet Shaw immer
gleich: er schlägt den Ball weich aber zielgenau und akkurat an der Wand
entlang in eine Ecke, so dass es für Pinter unmöglich ist, den Ball
zu erreichen. Das Ergebnis lautet neun zu null. Es entsteht also kein wirkliches
Spiel. „Was zur Hölle ist der Sinn dieses Scheißspiels?“ ruft Pinter
aufgebracht. Shaw erwidert: „Ich bringe dir bei, wie man aufschlägt.“
Als Shaw des Öfteren in Talkshows des amerikanischen
Fernsehens gastiert, polarisiert er hin und wieder deutlich. Statt Interpretationen
zu seinem kontroversen Stück zu geben (gegen anti-semitische Vorwürfe
hat er sich jedoch stets vehement gewehrt), kritisiert er lieber die Politik
des Papstes oder proklamiert beim Thema Homosexualität, dass er keinerlei
Probleme damit hätte, wenn seine eigenen Kinder schwul würden. Nicht
unbedingt gesellschaftlich en vogue im Jahr 1967. Überhaupt ist Shaw eher
ein Liberaler, der sich trotz seines Wohlstandes immer der englischen Arbeiterklasse
verbunden sieht und sich so gut wie nie auf Partys der ‚High Society’ sehen
lässt.
Bei der Filmarbeit wird es für Shaw wieder Zeit
für etwas mehr Qualität und weniger Quantität: The Birthday Party von 1968 (obwohl das Bühnenstück ein Klassiker
geworden ist, erscheint die Verfilmung unverständlicherweise in Deutschland
nicht) ist der zweite Pinter-Film, in dem Shaw abermals kongenial besetzt ist.
In der absurd-dramatischen ‚comedy of menace’ spielt er Stanley Webber, den heruntergekommenen Dauermieter
einer schäbigen englischen Pension. Zwei mysteriöse Herren tauchen
auf, die während Stanleys ‚Geburtstagsfeier’ ein Katz und Maus-Spiel mit
ihm betreiben und ihn schließlich seiner Identität berauben. Das
schaurig-komische Kammerspiel ist exzellent vom jungen William Friedkin, kurz
vor seinem Durchbruch mit Brennpunkt Brooklyn (The French Connection, 1971) und Der Exorzist
(The
Excorcist, 1973), in
Szene gesetzt worden. Möglicherweise ist dies die subtilste Arbeit des
Regisseurs, den Shaw bei Basketball-Zweikämpfen zu besiegen pflegt. Das
Ensemble agiert ohne Ausnahme großartig und Robert Shaw gibt eine Performance,
die zu den besten seiner Karriere zählen dürfte. Leider läuft
der Film, trotz sehr guter Rezensionen, nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Nachdem er mit Guy Hamiltons Staraufgebots-Kriegsfilm
Luftschlacht um England (Battle of Britain,
1969), in dem sich ein Gros der renommierten
englischen Darsteller versammelt, wieder etwas mehr Geld eingenommen hat, entscheidet
er sich abermals für einen Film, der für die Kinokasse wenig verspricht:
Im Visier des Falken (Figures in a Landscape, 1970)
dreht er vornehmlich, um einmal mit Joseph Losey zusammenzuarbeiten,
dessen Werk er schätzt. Losey, gebürtiger Amerikaner, der auf Grund der Kommunistenhatz
unter McCarthy nach England emigrierte, willigt in das Projekt ein unter der
Bedingung, dass Shaw den Roman von Barry England in ein brauchbares Skript verwandelt.
Herausgekommen ist ein verstörend-abstrakter Film über zwei aneinander
gekettete Flüchtlinge (Shaw und Malcolm McDowell), die von einem Helikopter
verfolgt werden. Was ihnen vorgeworfen wird und wer die Jäger sind (sie
bleiben wortlos und maskiert) erfährt der Zuschauer nicht. Die Vokabel
‘kafkaesk’ ist ausnahmsweise einmal nicht überstrapaziert in diesem Zusammenhang.
Shaws Skript, das er täglich überarbeitet, harmoniert zum großen
Teil ausgesprochen gut mit Loseys Regie. Es ist an einigen Stellen vielleicht etwas lang
und konfus. Malcolm McDowell hat leider das Pech, Shaw von seiner bösartigen
Seite kennenzulernen. Auch Losey, der Shaw eigentlich sehr mag, bleibt die Feindlichkeit
seines Hauptdarstellers gegenüber dem jüngeren Kollegen nicht verborgen:
„Das Verhältnis zwischen ihm und Malcolm stand von Beginn an unter keinem
guten Stern. Und Robert kann extrem schwierig werden; zum Glück war er
immer auf meiner Seite.“ In einem Interview von 2004 erinnert sich McDowell
an die Dreharbeiten: „Das war anstrengend, nicht nur vom physischen Aspekt des
Rennens her; da waren ich und Bob Shaw…und wenn man für vier Monate an
Robert Shaw gekettet ist…er ist ein großartiger Mann gewesen, Robert
war ein wundervoller Mann, aber für Monate …das war hart. […] Und ich
erinnere mich, dass ich richtig gut mit Robert befreundet war, wir kamen super
miteinander aus, bis der Produzent ihn in seiner Hotelsuite in Granada anrief. Ich war auch da und hörte das Gespräch
mit an, das ungefähr so verlief ‚Oh ja? Oh…ja? Sie haben das gedrehte
Material von heute gesichtet, eh? Was meinen Sie damit over–the-top? Was soll das heißen?
Ach scheiß auf Sie, was wissen Sie schon! Eh? Ach ja? Wer sagt, dass wir
es noch mal drehen müssen? Haben Sie mit Joe gesprochen? Hä? Wie war
Malcolm? Ach, war er das, ja?’ Ich habe diesen Idioten nach 25 Jahren wiedergesehen.
Seine Name war John Kohn. Er ist nicht mehr unter uns, fürchte
ich, aber ich sagte damals zu ihm: Erinnern Sie sich an das Telefonat? Ich saß
da – und von dem Augenblick an war es vorbei. Er war sehr konkurrenzbetont…und
er hatte eine Mifune-Performance im Kopf – sehr überdimensional, manisch,
verrückt. Also bin ich buchstäblich einen Schritt zurückgetreten
und habe beobachtet. Und das war’s. Das war’s. Ich habe nichts anderes versucht.
Ich habe ihm nur zugeschaut und zugehört und eine Menge übles Zeug
über mich ergehen lassen müssen, aber dennoch…“
Wie erwartet, läuft Loseys Film
nicht erfolgreich und auch die Kritik weiß nicht, wie sie den Film einordnen
soll, er ist zu sperrig. Auch Shaws letzter Roman A
Card from Morrocco (1969) über
eine merkwürdige Freundschaft zweier Männer, die so konträre
Charaktereigenschaften aufweisen, dass man von seinem autobiographischsten Werk
reden kann, bekommt einige negative Rezensionen, was ihn überaus verdrießlich
macht. Schließlich will er Spuren als Schriftsteller von Bedeutung hinterlassen.
Auf der Bühne versucht sich der Allrounder Shaw
nun auch als Sänger in einem Musical: Gantry,
in dem er die Hauptrolle übernimmt und gar nicht mal schlechte Kritiken
für seine Sangeskunst erntet (es ist ja keinesfalls so als würde Bruce
Willis versuchen, eine Single aufzunehmen, sondern hier ist noch wirkliches
Können verlangt), wird jedoch zum katastrophalen Flop und bereits nach
einer Woche Spielzeit wieder eingestellt.
Auch das nächste Filmprojekt sieht nicht nach einem
Kassenknüller aus: Kein Requiem für San Bastardo
/ Eine
Stadt nimmt Rache (A Town Called Bastard) von
1971 ist eine an den Spaghetti-Western angelehnte englisch-spanische Co-Produktion,
in der Shaw einen Revolutionär spielt, der später Priester wird. Außer
dass er Telly Savalas beim Armdrücken schlagen kann, gibt es
nicht viel, was Shaw (und auch den Co-Stars wie Martin Landau und Stella Stevens)
gefällt. Dabei ist der sandige Western gar nicht mal so schlecht. Sicherlich
kein Meisterstück, aber ein so krudes wie unterhaltsames kleines Filmchen,
das nur durch den verkorksten Schnitt etwas leidet. Aber Shaw gibt wirklich
Alles, er spielt als hätte er einen Shakespeare-Stoff zu bewältigen;
brütend, lauernd, zwiespältig und dennoch würdevoll. Und irgendwie
macht es Robert Shaw ja auch zu einem so ungewöhnlichen wie sympathischen
Akteur, dass er sich neben intellektuellem Stoff auch für einen Film wie
diesen ‘hergibt’ (es ist freilich nicht der einzige dieser Kategorie) – erfrischender
als die zwar durchgehend anspruchsvolle aber insgesamt doch langweiligere Filmographie
eines Dirk Bogarde. Der Film von Robert Parrish gehört jedenfalls zu denen,
auf die Shaw nicht sonderlich stolz ist. Für seinen kleinen Auftritt in
Richard Attenboroughs Der junge Löwe (Young Winston,
1972) erntet er jedoch wieder, zu Recht,
Lorbeeren. Wenn der Film über Winston Churchills Jugendjahre – wohl auch
thematisch bedingt – eher sein Publikum in England findet, so wird seine Darstellung
von Winstons Vater Lord Randolph, der an den Folgen der Syphilis langsam dahinsiecht,
als eine seiner ausdrucksstärksten Portraits gerühmt. Attenborough
selbst sagt in einem Interview auf der DVD, dass er selbst den Part hätte
spielen sollen und es nun bedauert, sich nicht getraut zu haben, Regie und Schauspiel
gleichzeitig zu übernehmen. Er räumt darauf jedoch ein, dass er nicht
glaube, dass jemand die Rolle hätte besser spielen können als Shaw.
Roberts anschließendes Debüt in einem amerikanischen
Film, Das Spiegelbild der Angst (A Reflection of
Fear, 1972) von William Fraker (Kameramann
u.a. bei Rosemary’s Baby), wird
kein großer Wurf, künstlerisch wie kommerziell. Der Film, in dem
er erneut neben Ehefrau Mary agiert, hat sich ziemlich viel bei Hitchcocks Psycho abgeschaut
und wird zu allem Überfluss auch noch Opfer der Zensurschere. Es sieht
beinahe so aus, als würde Shaws Karriere stagnieren, denn sein neuestes
Theaterstück, Cato Street, welches von Laurence Olivier mit Vanessa Redgrave in
der Hauptrolle in England inszeniert wird, fällt bei der Kritik durch.
Gerade die Kritiken, die Shaw als Schriftsteller erhält, schmerzen ihn,
weil daran sein Herz hängt und er sich intellektuell einem John Osborne
keineswegs unterlegen fühlt – im Gegenteil. Leider wird Cato Street das letzte literarische
Werk des Multitalents Shaw bleiben. Und obwohl ihm die Schauspielerei nicht
soviel bedeutet, wird ihn mit Sicherheit empfindlich gestört haben, dass
er noch nicht den Status von Zeitgenossen und – selbstverständlich – Konkurrenten
wie Sean Connery, Peter O’Toole, Richard Burton oder Michael Caine erreicht
hat. Bislang hat Shaw „nur“ gute Kritiken vorzuweisen. Freilich, die Gagen sind
höher als die seiner Kollegen, aber der Grad eines Stars ist ihm noch nicht
zuteil geworden. Das ändert sich auch nicht mit Botschaft für Lady Franklin
(The Hireling,
1973) von Alan Bridges. Doch der Film
ist möglicherweise nicht unbedeutend für weitere Angebote, die dem
Briten anschließend ins Haus flattern: Er gewinnt 1973 die Goldene Palme
in Cannes und die beiden Hauptdarsteller des Films, er und Sarah Miles, werden
gleichermaßen gelobt. Der Film über die unglückselige Beziehung
einer Dame aus wohlhabendem Milieu und ihren Chauffeur, die letztendlich an
den Schranken der Gesellschaft scheitert, gehört zu der Art von Qualitätsarbeit,
die Shaw wirklich schätzt. Wieder ist der britische Film nur ein Erfolg
bei der Kritik, nicht an der Kinokasse.
Doch mit dem nächsten Film macht Robert Shaw einen
gewaltigen Schritt in Richtung Hollywood-Ruhm: Alleine das Drehbuch von Der Clou (The Sting, 1973) ist das beste, was
der Brite seit langem in die Finger bekommt. Zuvor ruft Paul Newman, der mit
Robert Redford die Hauptrollen spielt, persönlich im Hause Shaw an, um
ihn für den Part zu interessieren. Shaw glaubt an einen Scherz seines Freundes
Donald Pleasence – und legt auf. Beim zweiten Versuch hat Newman schließlich
mehr Glück. Die Gaunerkomödie von George Roy Hill wird zum riesigen
Kassenhit und ist heute bereits ein Klassiker. Shaw gibt dem aalglatten Gangsterboss
Doyle Lonnegan, der dem Erfolgs-Gespann Newman/Redford auf den Leim
geht, eine genauso schmierige wie komische Note. Perfekt nuanciert, denn ein
reiner Bösewicht ohne jeglichen Anflug von Humor hätte auch nicht
ins Bild der Komödie gepasst. Durch diesen Spagat und die Namensnennung
als Dritter über dem Titel (darauf legt Shaw stets sehr viel Wert), wird
er plötzlich ein Begriff beim amerikanischen Publikum. Seine körperliche
Behinderung im Film, er zieht ständig das Bein nach, ist im Übrigen
nicht gespielt: Kurz vor Drehbeginn verletzt sich Shaw bei einem Rugby Spiel,
bei dem man sich vorstellen kann, wie er eingestiegen sein muss. Statt die Dreharbeiten
zu verschieben, schlägt er Hill vor, das steife Bein für den Charakter
zu verwenden: „Das ist die intellektuellste Vorstellung, die ich je gegeben
habe“ sagt er feixend.
Mit einem Schlag ist Shaw „heiß“, wie man so schön
sagt. Er hat einen riesigen Karrieresprung gemacht, ohne sich dabei unter Wert
verkaufen zu müssen. Ein solch großer Erfolg wie Der Clou zieht selbstverständlich auch mehr Angebote aus
Hollywood nach sich.
Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123 von 1974 hat einen blöden Titel (zumindest auf
deutsch, das Original heißt The
Taking of Pelham 123), ist aber schnörkellose perfekte Thrillerunterhaltung.
Shaw, der in diesem Film so eisig ist wie seit Liebesgrüße
aus Moskau nicht mehr, mimt den Anführer
einer Söldnertruppe (unter ihnen Martin Balsam und Hector Elizondo),
die sich mit Farben-Namen ansprechen, alle gleich gekleidet sind (richtig, Tarantino
hat sich hier für Reservoir Dogs bedient)
und eine New Yorker U-Bahn in Beschlag nehmen. Walter Matthau versucht die Geiseln
zu befreien. Das ungewöhnliche Duell Shaw-Matthau funktioniert erstaunlich
gut. Zu dieser Zeit nimmt aber auch Shaws Trinkerei immer mehr zu. Schon in
den 60er Jahren ist sein Hang zum Alkoholismus deutlich ausgeprägt – jetzt
trinkt er bereits, wie Matthau erschreckt feststellt, seinen Scotch zum Frühstück.
Robert Shaw lebt sein Leben als rauschhaften, wilden Exzess. Zwar hält
er sich von Drogen fern, aber er pusht sich fortwährend mit Sport, Alkohol
und seiner Arbeit. Am liebsten mit allem parallel. Lediglich in der Schriftstellerei
(und im Kreis seiner Familie), so scheint es, kommt er zur Ruhe, offenbart seine
sensible Seite.
Als Shaw mit Hector Elizondo (der
später über Shaw sagt, dieser sei ein innerlich unglücklicher
Mann gewesen) auf dem Broadway in Strindbergs Totentanz (Doedsdansen) spielt – im Übrigen das letzte Mal, dass Shaw
auf der Bühne steht – trifft ein Skript bei ihm ein, das seine filmische
Karriere auf einen Schlag verändern soll. Die Geschichte interessiert Shaw
nicht im Geringsten, von dem Regisseur hat er noch nie zuvor gehört. Und
wieder ist es Mary Ure, die ihren Mann wie im Falle James Bond davon überzeugen
kann, dass er den Part besser übernehmen sollte. „Sie hatte damals recht-
und deswegen hab ich auch dieses Mal ja gesagt.“ Der Film heißt Der weiße Hai (Jaws, 1975) und der Regisseur
Steven Spielberg. Shaw wird von den Produzenten Zanuck und Brown, mit denen
er bereits sehr gut beim Clou zusammenarbeitet, vorgeschlagen, nachdem Lee Marvin
und Sterling Hayden die Rolle aus unterschiedlichen Gründen abgelehnt haben.
Ein Glücksfall – nicht nur für Shaw, sondern auch für den Film,
denn ohne ihn wäre Jaws nicht Jaws gewesen. Wobei
man sagen muss, dass die Besetzung der anderen beiden Hauptpersonen mit Roy
Scheider und Richard Dreyfuss ebenso kongenial funktioniert. Die drei sind allesamt
keine Stars – der soll schließlich der riesige menschenfressende Hai sein;
eine Beteiligung von Charlton Heston lehnt Spielberg beispielsweise vehement
ab. Nur dass Shaw wie ein Filmstar bezahlt werden muss: Er erhält so viel
Gage wie noch kein englischer Schauspieler in einem amerikanischen Film vor
ihm. Möglicherweise wird Shaw auch ausgewählt, weil er für den
raubeinigen Haijäger eine larger
than life-Qualität
mitbringt, die der Part unbedingt benötigt. Außerdem wird er zum
Schluss des Films als Fischfutter verhackstückt, und für erinnerungswürdige
Todes-Szenen scheint er prädestiniert: In Liebesgrüße
aus Moskau mit der Stahlschnur erwürgt,
in Die letzte Schlacht im Panzer in die Luft gesprengt, in Im Visier des Falken von
Maschinengewehrsalven durchlöchert oder in Stoppt
die Todesfahrt der U-Bahn 123 eigens
durch ein Starkstromkabel gegrillt. Über die Handlung muss nichts mehr
gesagt werden, Jaws (der sehr viel schönere Titel heißt übersetzt
„Der Rachen“) hat Filmgeschichte geschrieben: Er wird bei seiner Veröffentlichung
1975 zum erfolgreichsten Film aller Zeiten, der sogar Vom Winde verweht den Rang abläuft (er
bleibt dies bis zu George Lucas’ Krieg der Sterne
[Star Wars] 1977).
Ebenso wird das erste Mal in der Filmgeschichte eine flächendeckende Marketing-Kampagne
aufgefahren: Der Urvater des ‚Blockbuster’ ist geboren. Und auch Robert Shaw
wird mit seiner Darstellung des manischen Quint den meisten Filmguckern bis heute am
ehesten in Erinnerung bleiben. Insbesondere seine Beschreibung der ‚Indianapolis-Szene’
ist „ein echtes Hörspiel in einem ansonsten höchst visuellen Film,
[…] eine „schauspielerische und sprachliche Meisterleistung“ (James Hoberman in dem Artikel Nashville contra
Jaws), die bis heute nichts von ihrer Eindringlichkeit verloren
hat. Die Szene muss Spielberg an zwei Tagen drehen, weil Shaw am ursprünglichen
Drehtag so voll ist (er wird von der Crew an seinen Tisch getragen), dass er
anfänglich zwar überaus grandios agiert, dann jedoch abschweift und
von seiner Familie erzählt. „Wie war ich?“ fragt er den jungen Regisseur.
„Großartig, Robert“ entgegnet Spielberg. „Wirklich?“ – „Ja, geh ins Bett.“
Am frühen Morgen entschuldigt sich Shaw bei Spielberg und fragt, ob er
noch eine Chance bekäme. „Selbstverständlich“ lautete die Antwort
und Shaw gibt die Rede, die er auf der Basis einer Idee von John Milius selber verfasst, ohne den geringsten Fehler zum Besten. Das Ergebnis
kann man sich wieder und wieder ansehen. Überhaupt muss man sich fragen:
Wer ist eigentlich gefährlicher, der Hai oder Quint? Ein ‚Opfer’ von Quint
vor und hinter der Kamera ist Richard Dreyfuss: Als Shaw während eines
Drehtages darüber klagt, er würde alles dafür geben, um sein
Alkoholproblem los zu werden, reagiert Dreyfuss stehenden Fußes. Mit den
Worten „Kein Problem!“ schüttet er Shaws hochprozentigen Drink einfach
aus dem Bullauge. Das war ein Fehler. Der übermütige Jungspund hatte
anscheinend keinen blassen Schimmer, wer da vor ihm saß. Dreyfuss wird
von da an nur noch gehänselt oder auch mal mit einem Feuerwehrschlauch
über das Deck der ‚Orca’ gefegt. Heute erinnert er sich an die magische und
teilweise fürchterliche Erfahrung mit Shaw: „Robert war einer der energiegeladensten
Menschen die mir je begegnet sind, das war etwas, was nur so aus ihm herausstrahlte.
Er war ein bemerkenswert talentierter Schauspieler und Schriftsteller. Unglücklicherweise
war er auch einer der konkurrenzbetontesten Menschen, die mir je begegnet sind
– unnötig konkurrenzbetont. Und das war, möglicherweise, seine Schwäche.“ Ob Shaw seinen jüngeren Partner nun aus reiner Boshaftigkeit,
Konkurrenzgebaren oder einfach nur, um die richtige Spannung zwischen den Film-Charakteren
herzustellen, malträtiert hat, kann man nicht mehr mit Bestimmtheit sagen.
Letztendlich spielt es auch keine Rolle, denn das Ergebnis auf der Leinwand
ist das, was zählt. Shaw und Spielberg (der wenig später zum ‚Wunderkind’
mutiert) kommen übrigens sehr gut miteinander aus; und beide sind zunächst
vom Buch nicht besonders angetan. Den Bestseller von Peter Benchley bezeichnet
Spielberg sehr höflich als „Warteraumlektüre“. Shaw spricht etwas
deutlicher gegenüber dem ‚Time’-Magazin von einem „Stück Scheiße“.
Immer das Kind beim Namen nennen- eine Devise von Shaw. Doch über Nacht
hat er das erreicht, was er in etlichen früheren Filmen trotz seiner Namensnennung
über dem Titel nicht geschafft hat: Ein Star zu werden. Er ist mit einem
Schlag bei den Produzenten der Traumfabrik begehrter als seine Rivalen Connery
oder Caine.
Bevor Der Weiße Hai in die Kinos kommt und noch niemand ahnen kann, welch
phänomenalen Erfolg der Film haben wird, realisiert man zwei zunächst
viel versprechende Projekte, in die Shaw auf unterschiedliche Weise involviert
ist: Zunächst wird sein erfolgreiches Stück Der Mann im Glaskasten für die Leinwand adaptiert. Die Produzenten schicken
Shaw das Skript von Edward Anhalt zu und möchten wissen, was der Autor
darüber denkt. Der ist nicht nur reserviert, sondern total entsetzt. Aufgebracht
sendet er seine Beanstandungen an den Absender zurück. Die zweite Skriptfassung
nennt er ebenso mies, wenn nicht noch schlechter. Er empfindet das Drehbuch
als einen Betrug an seinem Werk. David Cronenberg hat in einem Interview mal
gesagt, wenn man als Filmemacher einem Buch gegenüber ehrlich sein will,
muss man es betrügen. Sieht man sich die Romanadaptionen Cronenbergs an,
so kann man jedoch sehen, dass er es überaus intelligent versteht, die
Essenz eines Buches einzufangen. Dies ist mit The Man in the
Glass Booth
(1975, nicht auf deutsch veröffentlicht) jedoch weitestgehend
missglückt. Man hat die provokativen Stellen geglättet und auf das
intellektuelle Spiel der Hauptfigur zum großen Teil verzichtet – und das
schmerzt sehr, wenn man die Vorlage kennt. Tut man dies nicht, so kann man eventuell
die Filmversion goutieren, doch muss man auch dann meiner Meinung nach Abstriche
machen: Die Regie von Arthur Hiller ist einfallslos und steif, man sieht dem
Szenenbild sein geringes Budget deutlich an, und Maximilian Schell, dem man
merkwürdigerweise den Vorzug vor Donald Pleasence gibt,
spielt als ob er auf einer Theaterbühne steht – und überzieht maßlos,
ein totales Overacting ohne Subtilität. Shaw, der, was schwer nachzuvollziehen
ist, nicht um eine Drehbuchadaption gebeten wird, ist so erzürnt, dass
er seinen Namen von den Credits entfernen lässt. Er will mit diesem Film nichts
zu tun haben. Zu Recht, muss man sagen. Einige seiner Freunde finden die Adaption
dennoch nicht so schlecht und raten Shaw sich den fertigen Film einmal anzusehen.
Bis zu seinem Tode hat er dies dennoch nie getan, sagen seine Biographen. Arthur
Hiller behauptet neuerdings, Shaw habe den fertigen Film gesehen und sei so
gerührt gewesen, dass er den Produzenten anrief, um ihn zu bitten, seinen
Namen wieder einzufügen. Diese Aussage sollte jedoch stark bezweifelt werden.
Das andere Filmprojekt ist wieder einmal ambitionierte
‚Arthouse’-Ware, so scheint es zumindest: Eine Adaption von Der Richter und sein Henker (1975) nach Friedrich Dürrenmatt, den Shaw sehr verehrt (auf
der Bühne spielt er zuvor in Peter Brooks Inszenierung von Die Physiker
am Broadway). Tatsächlich hatte er bereits selber angefangen, ein Drehbuch
nach just diesem wohl berühmtesten Roman des Schweizers anzufertigen. Als
er hört, dass der Meister selbst an dem Film darstellerisch mitwirken würde,
sagt er seine Beteiligung zu – und das, obwohl der Part klein und das Geld nicht
der Rede wert ist. Für die Rolle von Richard Gastmann, einem reichen Großindustriellen,
der einst mit seinem Studienkollegen Hans Bärlach (verkörpert
von Regisseur Martin Ritt) eine Wette darüber abschließt, er könne
vor dessen Augen einen Mord begehen, den man ihm nie nachweisen wird, rasiert
sich Shaw die Haare und färbt die Tonsur grau. Der Regisseur des Films,
Maximilian Schell, mag diese Idee. Leider scheint er sonst wenig an Shaw zu
mögen. Schell erwischt Shaw direkt auf dem falschen Fuß, als er die
Filmversion von The Man in the Glass Booth verteidigt.
Darüber hinaus sind die beiden Ego-Schwergewichte mit einer nicht geringen
intellektuellen Arroganz ausgestattet. Ein typischer Dialog am Set: „Wie wirst
Du die nächste Einstellung drehen, Max?“ -„Kümmer Dich nicht drum,
es ist nicht Dein Metier.“ -„In ein paar Monaten, wenn die Leute im Kino sitzen
und mich sehen und nicht Dich, wird es mein Metier sein.“ Obwohl er Jon Voight beim Tischtennis schlägt und mit Martin Ritt lange Diskussionen
führen kann, beginnt er bald, das Projekt und insbesondere seinen Regisseur
zu hassen. Als Schell den Film in Amerika vorstellt, fragt man ihn, was er nach
dieser Zusammenarbeit über Shaw denke. Die Antwort: „Die schwierigste Person,
mit der ich je gearbeitet habe. Er schien mir niemals zuzuhören.“ Doch
er ergänzt: „Jetzt, wo ich den fertigen Film gesehen habe, scheint er dennoch
die beste Performance zu geben. Daher…ich weiß es nicht.“ Shaw spricht
später von Schell, mit einem breiten Grinsen im Gesicht, als sein „am wenigsten
favorisierter Regisseur.“ Der Film wird zwar in Venedig ausgezeichnet, erntet
aber nicht nur Lob. Er ist in der Tat eher trashig geworden,
was nicht zuletzt an Schells bemerkenswert untalentierter Regie liegt (der Film
hat einfach keinen Rhythmus und keine gelungene Dramaturgie) und, in der deutschen
Synchronfassung, an dem schwyzer Dialekt, den man Jon Voight ins
Maul gelegt hat – nicht auszuhalten.
Der nächste Film in Shaws Filmographie ist leider
noch miserabler, vielleicht einer der drei schlechtesten, die der Brite überhaupt
gemacht hat. Der Diamanten-Clou (Diamonds, 1975) von Menahem Golan (ja, eben
jener der in den 80er Jahren mit Yoram Globus zu einem mega-erfolgreichen
Produzenten-Team aufstieg und uns allerlei Chuck Norris- und Charles Bronson-Vehikel bescherte) ist ein reißbrettartiges Caper-Movie,
in dem auch Richard Shaft Roundtree mit von der Partie
ist. Roundtree besiegt Shaw bei einem Sauf-Contest, worauf Robert schnarrt:
„Du bist jünger als ich, Junge.“ Shaw darf auch eine Doppelrolle spielen,
die jedoch dermaßen schlecht ausgearbeitet ist, dass sie ein differenziertes
Spiel zweier Charaktere unmöglich macht. Man muss aber auch einräumen,
dass Shaw hier eher routiniert denn überragend agiert (anders als noch
bei Eine Stadt nimmt Rache etwa). Zu diesem Zeitpunkt ist Shaw bereits ein neuer
Star in Hollywood – Hai sei Dank.
Doch der Moment seines größten Triumphs wird
für ihn gleichzeitig zur größten Tragödie. Seine Frau Mary
Ure stirbt an einer unglücklichen Mischung aus Alkohol und Schlaftabletten,
erstickt an ihrem Erbrochenen. Am Abend zuvor hat sie seit langer Zeit wieder
eine Theaterpremiere gehabt (Der Exorzismus), die jedoch kein Erfolg wird. Hauptsächlich kümmert
sich Mary in den letzten Jahren um die Familie, denn auch sie hat, wie bereits
Jennifer Bourke zuvor, vier Kinder von Shaw (die Kinder aus der ersten
Ehe pendeln zwischen den geschiedenen Partnern hin und her). Eine nicht eben
kleine Aufgabe, bei der ihre Karriere leider ins Straucheln kommt und schließlich
brach liegt. Das Blatt hat sich schnell gewendet: War sie am Anfang ihrer Ehe
mit Shaw noch der Star, so ist es jetzt ihr Mann – und das in einem weit größeren
Maß als Mary es je war. Möglicherweise hat Shaw seinen Teil dazu
beigetragen, denn sein Zwang, der Beste sein zu müssen, ist bekannt. Nun
gibt es mittlerweile zwei Biographien über Robert Shaw: Erschienen relativ
kurz nacheinander, 1993 und 1994, weisen sie viele Gemeinsamkeiten in der Zeichnung
des Charakterbildes auf, unterscheiden sich jedoch in einigen Punkten deutlich
voneinander. John French war eine zeitlang Shaws Agent, der das temperamentvolle
wie launische Wesen seines Klienten mochte. Und obwohl das Buch nicht schlecht
geschrieben ist, kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, French will hier
und da auch abrechnen (er wurde von Shaw später entlassen). Jedenfalls
behauptet er in seiner Biographie, mit dem reißerischen Titel The Price of Success,
dass Mary Ure sich umbringen wollte, weil ihre Ehe schon längst unglücklich
war und sie das eigene Karriere-Ende nicht verkraftete. In der Biographie von
Karen Carmean und Georg Gaston, More
than a Life, wird
jedoch die These aufgestellt, dass Ure’s Tod ein tragischer
Unfall war. Von Unglück und Suizidgedanken ist nie die Rede. Nun kann man
argumentieren, dass die beiden Autoren das Material nur auf Grund von Recherche
und Interviews zusammengestellt haben, während French Shaw ja persönlich
kannte. More than
a Life entstand aber unter Mitwirkung
von einigen Mitgliedern der Shaw-Familie. Eine „einzige“ Wahrheit kann und mag
ich daher nicht aufstellen wollen. So oder so: Es bleibt eine Tragödie
für Shaw und ein Verlust für die Kinobesucher, denen Frau Ure wohl
noch am besten aus Agenten sterben einsam, in dem sie neben Richard Burton und Clint Eastwood
spielt, in Erinnerung ist.
Shaw dreht unermüdlich weiter, denn die zeitweise
achtköpfige Familie will auch ohne Mutter unterhalten werden. Trotz des
neu erworbenen Star-Ruhms unterschreibt Shaw jedoch für einen Historienfilm
in dem er nur eine Nebenrolle, wenn auch eine entscheidende, spielt: Robin und Marian (Robin and Marian, 1976) von Richard Lester ist möglicherweise mit
dem Errol Flynn-Klassiker der beste Film über den Vagabunden Robin Hood,
der je gedreht wurde. Es ist kein gängiges Heldenepos, sondern eine Entmystifizierung
des alternden Robin (Sean Connery), der nach etlichen Jahren von den Kreuzzügen
nach Sherwood zurückkehrt. Sein König Richard Löwenherz (Richard
Harris) ist geisteskrank und seine ehemalige Geliebte Marian (Audrey Hepburn)
zur Nonne geworden. Der alternde Robin trifft seine ebenso betagten Weggefährten
wieder und kämpft ein weiteres Mal gegen seinen Erzfeind, den Sheriff von
Nottingham. Diesen spielt Shaw jedoch nicht als finsteren Schurken, sondern
als sympathischen Mann, der mit Robin viel mehr gemeinsam hat, als mit seinen
unfähigen Untergebenen. Dennoch tritt er, in einem mittlerweile sinnentleerten
Ritual, gegen die Legende an – und muss freilich unterliegen. Robin jedoch,
von großen alten Zeiten, die nun wiederkehren würden faselnd, wird
von seiner Marian vergiftet: Irgendwann muss auch mal Schluss sein. Der Film,
seinerzeit ein Flop, ist ein verkanntes Meisterwerk. Eine adäquate Bearbeitung
des Stoffs (der echte Robin Hood wurde von einer Äbtissin vergiftet) mit
vorzüglichen Dialogen (ein fabelhaftes Drehbuch von James Goldman) und
mit viel Esprit von Richard Lester in Szene gesetzt. Viele Kritiker haben es
dem Film seinerzeit angekreidet, er würde sich nicht zwischen Humor und
Melancholie entscheiden können – und genau das ist seine Stärke. Er
ist nicht so rührselig wie eine Schmonzette aber auch nicht so albern wie
die Musketier-Filme von Lester. Die Leistung des gesamten Ensembles, in dem
sich keiner hervordrängt, ist famos. In der berühmten Duell-Szene
zwischen Connery und Shaw merkt man den Akteuren eine große Behäbigkeit
und Anstrengung an. Das ist nicht verwunderlich, denn Lester legt großen
Wert auf Authentizität in diesem Film und lässt Schwerter und Rüstungen
anfertigen, die dem Gewicht der damaligen entsprechen. Besonders das Kettenhemd
für Shaw muss die Hölle gewesen sein. Lester berichtet: „Er zog es
an- und direkt wieder aus. ‚Du bist verrückt. Das Ding werde ich niemals
tragen.’ Ich erwiderte: ‚Okay, du brauchst es nicht zu tragen. Ich trage es.’
Ich probierte es an und führte den ganzen Tag darin Regie. Ich wollte Robert
so lange demütigen, bis er nicht mehr umhin konnte, es selbst anzuziehen.
Es war schrecklich: Ich hatte am ganzen Körper Einschnitte und blutete
wie ein Schwein. Doch es war der einzige Weg, Robert rumzukriegen.“
Nach dieser großartigen Leistung geht es künstlerisch
jedoch wieder abwärts. Der scharlachrote Pirat (Swashbuckler,
1976) ist zwar grundsätzlich ein
turbulentes Freibeuter-Abenteuer alten Stils, aber das Drehbuch ist ein einziges
Desaster. Es hilft auch nicht, dass Shaw wieder sein Äußeres wandelt
und mit offenem Hemd durch die Gegend stolziert, das Fechten sichtlich genießt
(so wie das leicht verdiente Geld); auch sein sprachlicher Akzent, den er auch
liebend gern in all seinen Filmen ändert, rettet die müde Mär
genauso wenig wie die Tatsache, dass er „nie einen gewöhnlichen leading man im John
Wayne Sinne“, wie Shaw sich ausdrückt, geben will und in die Fußstapfen
Errol Flynns tritt. Außerdem merkt man ihm in einigen Szenen deutlich
an (man achte auf die teilweise sehr wässrigen Augen), dass er absolut
besoffen ist. Es gehen Gerüchte um, dass er und seine Filmgeliebte Genevieve
Bujold, eine Affaire haben. Keiner der
beiden äußert sich zu diesem Thema, kommen jedoch in Interviews verdächtig
ins Schwärmen über einander.
Zu diesem Zeitpunkt hat Shaw aber bereits wieder eine
feste Partnerin: Seine ehemalige Sekretärin, Virginia Jansen, die er wenig
später ehelichen wird und von der er sagt, sie sei seine beste Frau. Er
adoptiert ihren Sohn und bekommt noch einen weiteren 1977 dazu. Damit ist die
Familie der Shaws mittlerweile zehnköpfig. Und die Familie ist Robert überaus
wichtig, in der Rolle des Vaters ist er äußerst hingebungsvoll. Wohnhaft
ist die Familie seit einigen Jahren in Irland, wo sie sich schnell zu Hause
fühlt und auch von den Bewohnern wird Shaw bald als Einheimischer bezeichnet
– kein Wunder, denn in der Freizeit ist der Filmstar ein regelmäßiger
und gern gesehener Gast in den örtlichen Pubs, die wichtiger Bestandteil
des irischen Lebens sind. Ideal für Robert Shaw also. Und selbstzerstörerisch,
mag man ergänzen, bei solch einem harten Trinker.
Nach dem Piraten-Murks macht Shaw seinen letzten gelungenen
Film, Schwarzer Sonntag (Black Sunday, 1977), der von dem unterschätzten John Frankenheimer inszeniert und von Robert Evans (Chinatown, 1974) produziert
wird. Hier spielt Shaw den israelischen Mossad-Agenten David Kabakov,
der ein von Terroristen (Marthe Keller und Bruce Dern) geplantes
Attentat auf den Superbowl verhindern soll. Frankenheimer
verzichtet trotz kolportagehafter Elemente auf eine Schwarzweißmalerei
der Charaktere. Shaws Israeli ist zwar der Protagonist, aber er ist zugleich
ein Misanthrop mit 30 Jahren Morden auf dem Buckel, kein lupenreiner Sympathieträger
also. Er hat einige feine Momente in dem durchgängig spannenden Thriller
(genauso wie Keller und Dern), der leider das Finale aufgrund schlechter Spezialeffekte
etwas vergeigt. Besonders schön die Szene, wenn Shaw durch die Zuschauerreihen
rennt, über die Balustrade springt und schließlich nach einem Spurt
die Fernsehberichterstatter (einer von ihnen ist Frankenheimer
selbst) erreicht. Die Szene wird tatsächlich während des Superbowl-Finales
1976 gedreht und Shaw hat nur einen Versuch, das Ding in den Kasten zu bekommen.
Denn die Zuschauer hätten ihn sehr wohl erkannt, wäre es
offensichtlich gewesen, dass er es war, der da durch die Reihen hechtet. Die
Filmkameras werden also als Fernsehkameras getarnt und man dreht ohne Wissen
der Zuschauer, was dem Ganzen durchaus eine größere Realitätsnähe
verleiht. Zwar läuft Schwarzer Sonntag solide an der Kinokasse und erntet einige positive Rezensionen,
aber der erhoffte Mega-Blockbuster ist es nicht.
Das sollte dann Die Tiefe (The Deep, 1977) werden, der wieder nach einem Roman von Peter Benchley
gedreht wird. Leider hat der Film auch ein ziemlich tiefes Niveau, was das Drehbuch
angeht. Da spielt es keine Rolle, dass er seinerzeit tatsächlich ziemlich
erfolgreich ist (möglicherweise wegen Jacqueline Bissets durchgenässtem
T-Shirt) und heute ein Dauergast der Fernsehwiederholungen ist. Shaw versteht
sich ausgesprochen gut mit dem damaligen Newcomer Nick Nolte – Shaw bemerkt
in einem Interview, dass der jüngere Kollege dasselbe Problem habe wie
er. Was das Trinken angeht, ist Nolte anscheinend auch damals schon kein Kind
von Traurigkeit. Über den Film sollte man nicht viele Worte verlieren,
Shaw selbst bezeichnet ihn, wie alle Big-Budget Filme, die er nach Der weiße Hai
dreht (mit der Ausnahme von Schwarzer
Sonntag) als ein „Stück Scheiße“.
In einem Interview reflektiert er grinsend: „Merkwürdig, wie meine Karriere
verlaufen ist. Für gewöhnlich sagte man, ich sei ein großartiger
Schauspieler aber meine Filme machten kein Geld. Ich war keine Hollywood-Persönlichkeit,
aber die Presse liebte mich. Jetzt bekomme ich scheußliche Kritiken, aber
ich werde von der Industrie geliebt. In dieser Stadt messen sie Erfolg an den
Einspielergebnissen, nicht am Talent.“ Und er bekennt, dass er sich schuldig
fühle, weil er seine eigentliche Leidenschaft, die Schriftstellerei, durch
seine Karriere als Filmstar schon viel zu lange vernachlässigt habe. Das
erfährt auch sein Freund Harold Pinter, der ihn 1977 in Irland besucht.
Es sollte das letzte Mal sein, dass die beiden sich sehen würden. Shaw
war bei Pinters Ankunft allerdings so betrunken, dass „er kaum wusste, welchen
Tag wir hatten. […] Endlich wurde er mal nüchtern und erzählte,
was eigentlich los war – er wollte als Schriftsteller in Erinnerung bleiben…“
1978, mit Der wilde Haufen von Navarone
(Force
10 from Navarone), hat er
schließlich die Talsohle seiner Karriere erreicht. Der Film ist eine Art
Fortsetzung zu Die Kanonen von Navarone (The Guns of Navarone, 1960), erreicht
aber nie auch nur annähernd dessen Format. Die namhafte Besetzung neben
dem an erster Stelle über dem Titel rangierenden Star Robert Shaw versucht
vergeblich, gegen das Desaster anzuspielen: Harrison Ford, Franco Nero, Barbara
Bach, Edward Fox, Carl Weathers und Richard Kiel können nicht retten, was nie hätte
entstehen dürfen. Sicherlich wurde in Hollywood ab den 80er Jahren noch
viel größerer Schrott produziert, in dessen Vergleich sich Guy Hamiltons
Kriegs-Abenteuer noch als durchaus annehmbar bezeichnen lässt, aber dieser
Maßstab reicht zur Bewertungsgrundlage nicht aus, nicht für jemanden
wie Shaw. Diese Periode von uninspirierten Filmen lässt sich gut vergleichen
mit den 60er Jahre-Produktionen von Philip Yordan. Doch
wo Der Untergang des Sonnenreiches noch ambitionierte Ansätze verfolgt, regiert hier
Reißbrett und Langeweile. Was die Stellung dieser letzten Filme in Shaws
Schaffen anbelangt, so bringt sie Buchers Enzyklopädie des Films sehr schön
auf den Punkt: Sie „befriedigten eher seine Kompetenz und seinen Ehrgeiz, als
dass sie ihn noch zu besonderen Leistungen herausforderten.“
Der letzte Film seiner Karriere ist nur geringfügig
besser: Lawinenexpress (Avalanche Express,
1978) ist ein Kalter-Kriegs-Thriller,
in dem Shaw den sowjetischen General Marenkov verkörpert,
der in den Westen überläuft. Lee Marvin, Mike Connors und Linda Evans
helfen ihm dabei. Eigentlich ein Bombengespann, die beiden professionellen Säufer
Marvin und Shaw, aber nicht genug, um aus dem schematischen Film einen richtig
guten Reißer zu machen, denn Story und Drehbuch machen den Katastrophenfilm
zur Filmkatastrophe. Shaw nimmt sich vor, allem Ärger bei dieser Produktion
fernzubleiben und auch der ungeliebte Maximilian Schell, der hier seinen Widerpart
spielt, durchkreuzt seine Pläne nicht. Der Film ist noch nicht zu Ende
gedreht, da stirbt der Regisseur Mark Robson, der bereits lange zuvor krank
war. Als Ersatz holt man Monte Hellman, der Independent-Filme wie Shooting (1968)
oder Asphaltrennen (Two Lane Blacktop, 1971) gemacht hat: Eine sehr bizarre Wahl für einen
solchen Streifen. Doch ist es anscheinend Hellman zu verdanken, dass der fertige
Film wenigstens ein paar interessante Aspekte vorzuweisen hat (beispielsweise
in der Gestaltung des Schnitts). Aber das nächste Unglück steht ebenfalls
noch während der laufenden Dreharbeiten bevor:
Shaw ist an einem Nachmittag während einer Drehpause,
er muss noch einige Szenen komplettieren, in seinem Heimatort Tourmakeady mit seiner Frau Virginia im Auto unterwegs. Plötzlich schreit
er vor Schmerz auf, hält sich die Brust. Virginia weiß, dass dies
keine Lappalie sein kann und hält an. Shaw steigt aus, torkelt und fällt.
Der Krankenwagen kommt nach fünfzehn Minuten – Shaw ist bereits tot, als
das Hospital erreicht wird. Am 1. September 1978 werden seine sterblichen Überreste
im engsten Familienkreis verbrannt, seine Asche wird verstreut. Seine Stimme
in Lawinenexpress wird (übelst) von einem anderen Sprecher nachsynchronisiert.
Was ist geblieben von Robert Shaw? Zu wenig, muss man
leider sagen. Jedenfalls in Deutschland. Aber anscheinend auch dort, wo er einst
zum Star wurde, in den USA. Der Regisseur und Musiker Rob Zombie hat anlässlich
seines Films The Devil’s Rejects
(2005) in einem Interview verlauten lassen, dass er Shaw für den vielleicht
besten Schauspieler aller Zeiten halte, aber dass sein Name nicht oft fallen
würde (der Charakter des von William Forsythe verkörperten Sheriffs
in Zombies Film ist übrigens eine Hommage an die Figuren, die Shaw früher
spielte). Ob Shaw noch eine Rolle spielen würde nach all den Jahren, fragte
sich der Filmkritiker David Thomson in seinem Artikel Ryan & Shaw. Doch ist
diese Frage überhaupt relevant? Zählt nur, wer es zum Mega-Star gebracht
hat oder zum all-time-enfant terrible? Gilt das in Deutschland beispielsweise
nur für einen Kinski, nicht aber für so wunderbare Gestalten wie Anton
Diffring, Reinhard Kolldehoff oder Günter
Meisner?
Shaw war das, was er zumeist auch im Film war: Eine immens
imposante Persönlichkeit, er war exzessiv in seinem gesamten Lebensstil
(Schauspiel, Sport, Kinder, Alkohol), immer etwas larger than
life (ich glaube, durch ihn könnte
der heute sehr geläufige Terminus erst entstanden sein), schon fast zu
überformatig für die kleine Leinwand. Er war ein Intellektueller,
unbequem und querdenkend. Ein Mann mit vielen Talenten, schier unerschöpflicher
Energie und einem wilden Temperament. Shaw war einer, der viel Widersprüchliches in seinem Charakter vereinte und dabei positive Züge und Abgründe zugleich
für den Zuschauer sicht- und fühlbar machen konnte. Seine bedachten
Bewegungen, die oft denen einer großen Raubkatze ähnelten, kaschierten
seine eher bullige Physis (was ihn beispielsweise von einem Oliver Reed unterscheidet).
Dieser stechende, bedrohliche und oft manische Blick seiner kalten blauen Augen,
der durch ein zynisches Grinsen auch noch etwas unaussprechlich abschätzend-brutales
bekam, so dass man unweigerlich denkt, man möchte diesen Herrn nicht unnötig
reizen. Shaw konnte sein Gegenüber mühelos mit einem
Blick bis ins Mark durchdringen, während er selbst geheimnisvoll und unnahbar
blieb. Und dann blitzte doch ab und an die wärmere Seite
von seiner Persönlichkeit auf, der Ausdruck wurde schelmisch-verschmitzt
oder sogar sensibel. Es gelang ihm mühelos, auch flachen Rollen allein
durch seine enorme Präsenz größere Dimensionen zu verleihen.
David Thomson bemerkt ebenso zu Recht, dass dieser Mensch schon zu tief verletzt
worden ist, als dass man es noch mit ihm aufnehmen könnte. Shaw war pures
Charisma, angefüllt mit einer gehörigen Portion Adrenalin.
Dann sind da diese höchst originellen Bücher,
die man einmal lesen sollte (und die unbedingt wieder aufgelegt werden müssen).
Die Deutschen, so sagt Shaw in einem Interview auf der DVD von Die letzte Schlacht, hätten sich geweigert, seine Bücher zu publizieren.
Leider ist über die näheren Einzelheiten zu diesem Thema nichts bekannt.
Es wäre an der Zeit, dieses Versäumnis von deutscher Seite endlich
nachzuholen. Denn hier wird wieder eine andere Seite von Shaw offenbar, wie
er sie anscheinend nur in fiktional-schriftlicher Form verwirklichen konnte:
zurückgenommen, einfühlsam. Seinen letzten Roman hat er nur begonnen,
aber nie abschließen können: The Ice Floe über einen Aufstand der Alten in einer von der Jugend beherrschten
Welt.
Und man sehe sich die Filme wieder an, selbstverständlich
im Original, denn seine Stimme, der er jedes Mal einen neuen Dialekt verleiht,
hat diese unverwechselbare Klangfarbe zwischen hartem Zynismus und leiser Melancholie
(1969 hat er im Übrigen die Prefaces von George
Bernard Shaw [nicht verwandt] als Hörbuch eingesprochen). Hier merkt man
einmal mehr, wie oft Nuancen in der Synchronisation verloren gehen. Wenn man
sich seinen traumatisierten Aston ansieht, seinen so schillernden wie exorbitanten
Heinrich den VIII., seinen mitreißenden Stanley Webber, seinen todgeweihten
Lord Churchill, seinen eiskalten Mr. Blue, seinen intelligent-sympathischen
Sheriff von Nottingham und natürlich seine umwerfende Kreuzung aus Ahab
und Hemingway, Quint, dann wird man sich daran erinnern, welch ein großartiges
Talent dieser Mann besaß. Oft genug ist es, gerade in den letzten Hollywood-Jahren,
vergeudet worden. Aber einige seiner Filme sind fabelhaft oder zumindest unterschätzt.
In seinem Buch American Film Now bezeichnet James Monaco den Briten als einen ‚Novae’, einen
Schauspieler neuer Art, der sich einer bestimmten Kategorisierung entzieht.
Das ist korrekt. Zwar war Shaw grundsätzlich eher ein muskelbepackter Macho
à la Bronson, Eastwood oder Marvin, aber er hat sich bei seiner Rollenauswahl
keinesfalls festlegen lassen. Sein früher Tod war und ist ein schrecklicher
Verlust, insbesondere für die Filmwelt. Warum hat Shaw so viel getrunken?
Der späte Ruhm hatte keine Ursache daran, dafür war er schon zu lange Alkoholiker. Hat er wirklich immer seine ins Hintertreffen geratene
Schriftstellerei bedauert, die einer Filmkarriere Platz machen musste? Er hat
bei seinen letzten beiden Filmen immer wieder betont, dass er noch einen „million dollar movie“, die damalige Gagen-Marke, die es zu holen galt, drehen
wollte, um sich dann zur Ruhe zu setzen und sich nur noch dem Schreiben zu widmen.
Wer weiß. Es lässt sich auch nur darüber spekulieren, welchen
Status Robert Shaw wohl heutzutage gehabt hätte, würde er noch leben.
Dass jemand mit derart gefährlichen Augen, solch ein Anti-Held, es überhaupt
zum großen Star brachte, mag manchen verwundern. Doch bei dem Ehrgeiz,
den der Mann an den Tag legte, bin ich mir sicher, dass er sich nicht weiterhin
mit unausgegorenen ‚Period Pictures’ zufrieden gegeben hätte.
Es wird möglicherweise noch eine ganze Weile dauern,
bis ihm die posthume Anerkennung als Künstler zuteil werden wird, die er
verdient gehabt hätte. Er konnte einige Trophäen während seines
Lebens sammeln – diese steht noch aus. – Otto Preminger hat er jedenfalls widerlegt,
soviel steht fest.
„Die Sache ist,“ sagt Harold
Pinter, „trotz all der Zweifel und Trunkenheit, hatte er auch den fröhlichsten
Geist. Ich kann es jetzt sehen, das Funkeln in seinen Augen. Ich vermisse ihn
noch immer…“
Am 9. August 2007 wäre Robert Shaw 80 Jahre alt
geworden.
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