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Goodbye Blue Jean

Der steinige Weg der Schauspielerin Jean Seberg

 

Little Jean Seberg seemed so full of life,

but in those eyes such troubled dreams.

(The Divine Comedy)

 

Nebelschwaden streifen die Frau im Fluss. Sie hat ihr weißes Kleid hochgerafft und betrachtet ihr eigenes Bild. Dann neigt sie sich zum Wasserspiegel herab und lässt die Doppelgängerin mit den Lippen zerfließen. „Meine Küsse töten sie“, sagt Lilith lächelnd, dann watet sie weiter, verschwindet im Nebel. Robert Rossens Portrait der schizophrenen „Lilith“ (1964) gilt als bester amerikanischer Film von Jean Seberg, die am 13. November 2008 70 Jahre alt geworden wäre. Sie starb im August 1979 unter mysteriösen Umständen. Retrospektiv musste die Rolle der im Sanatorium lebenden Geisteskranken prophetisch wirken.  Überhaupt legt sich die Biographie der im letzten Lebensdrittel seelisch und körperlich zerrütteten Seberg wie Mehltau über die Filmbilder. Selbst als kerngesunde Pragmatikerin in „Außer Atem“ wirkt sie zerbrechlicher als Marilyn Monroe, deren robuste Leinwandgestalt seltsam immun gegen die verborgene Tragödie der Manisch-Depressiven geblieben ist. Oberflächlich gesehen, gleicht Jean Sebergs Leben einer Aschenputtelgeschichte mit bösem Nachspiel. In Wahrheit war die Filmkarriere holprig von Anfang an, auch wenn Sebergs Kinogestalten von Prinzen wie Jean-Paul Belmondo, Warren Beatty oder Sean Connery umgarnt wurden. Als Hollywood sie abgeschrieben hatte, ging die Prinzessin ins Pariser Exil und kämpfte in Low-Budget-Produktionen weiter. Sie wollte auf dem mühevoll erklommenen Thron des Filmstars bleiben. In seiner Seberg-Biographie „Played Out“ (1981) beschreibt David Richards eine hochkomplexe, doppelt gefährdete Frau: innerlich bedroht durch Narzissmus, von außen durch politische Verfolgung in den Kollaps getrieben.

 

Als 17-Jährige wurde Seberg von Otto Preminger aus einer Menge von 18.000 Kandidatinnen für die Rolle der Heiligen Johanna ausgewählt. Den Misserfolg der George-Bernard-Shaw-Verfilmung „Saint Joan“ (1957) nahm der Regisseur später auf seine Kappe. Der Einsatz eines „jungen, unerfahrenen Mädchens“ sei der Kardinalfehler gewesen, bekannte Preminger. Johannas Schwert war ein zweischneidiges. Einerseits bot sich die einmalige Chance, aus der puritanischen Enge des Städtchens Marshalltown, Iowa, herauszukommen. Andererseits verhinderte der Katapultstart den Aufbau einer soliden schauspielerischen Basis. „Jean war eine intelligente und instinktive Darstellerin,“ bemerkte eine Kollegin später, „aber ihr mangelte es an Handwerk.“

Premingers zweite Rolle für sein „Geschöpf“ war die genusssüchtige Cécile in „Bonjour Tristesse“ (1958) nach dem Roman von Françoise Sagan. Sebergs künftiges Image als Amerikanerin im Ausland zeichnete sich schon ab, obwohl David Niven und seine Filmtochter hier französischen Geldadel spielten. In einer Mischung aus Durchtriebenheit und Naivität verschuldet Cécile den Selbstmord der Verlobten ihres Vaters. Ihre Reue spiegelt sich in der Tristesse der schwarzweißen Rahmenhandlung in Paris, während die eigentliche Story an der Riviera technicolorverliebt auf die Katastrophe zuschlittert. Am Ende sitzt Cécile vorm Spiegel, graumäusig vor Kummer, und reibt sich mit Abschminke die Asche öder Abendgesellschaften aus dem Gesicht.

 

Für Seberg ging die Party erst richtig los mit Jean-Luc Godards „Außer Atem“ (1960). Den Part, mit dem sie Filmgeschichte schrieb, verdankte sie ihrer zufälligen Anwesenheit in Paris. Sie hatte dort gerade den französischen Rechtsanwalt François Moreuil geheiratet. Von Preminger fallengelassen und an die Firma Columbia ausgeliehen, wurde die Schauspielerin an Godard weitergereicht. Dessen filmischer Ikonoklasmus schlug bekanntlich ein wie eine Bombe, wobei dem Liebespaar ein zentrales Verdienst am Erfolg des Films zukommt. Schon Sebergs erster burschikoser Auftritt als Zeitungs-„Junge“ an den Champs-Élysées ist hinreißend. Als Amerikanerin in Paris wird sie von Jean-Paul Belmondo, dem Autodieb und Polizistenmörder, begehrt. In der vielleicht längsten Bettszene der Filmgeschichte qualmen sie das Hotelzimmer voll und tummeln sich unter der Bettdecke. Wie atemlos-gehetzt scheinen die Gedanken oft über Sebergs wunderschönes Gesicht zu huschen, lichte und verschattete Augenblicke: Soll ich mit diesem Mann flüchten oder ihn verraten? Patricia wählt den Verrat, der von einer Polizeikugel tödlich getroffene Michel entlässt seine Geliebte mit einem „Du bist zum Kotzen“ in den faden Alltag.

 

Jean Seberg selbst hält es mit ihrem Anwaltsgemahl nicht lange aus, lernt während des „Außer Atem“-Drehs den 24 Jahre älteren französischen Autor Romain Gary kennen und bringt dann ihren gemeinsamen Sohn Diego zur Welt. Die uneheliche Geburt wird verheimlicht, um Sebergs Karriere nicht zu beschädigen, aber wohl auch, um das Ansehen ihrer Familie aus dem „Bible Belt“ nicht zu beflecken. Diegos Geburtsdatum wird vordatiert, um Ungereimtheiten mit der Heirat der Eltern am 16. Oktober 1962 zu vertuschen. Biograph David Richards beschreibt Sebergs Engagement als Mutter als wechselhaft, ohne sie aufs Klischee der Rabenmutter festzulegen.

 

Der Triumph mit „Außer Atem“ – der seinen kurzfrisierten weiblichen Star auch zur Mode-Ikone aufsteigen ließ – hat sich für Jean Seberg nicht wiederholt. Es gehört zu den Ungerechtigkeiten der Filmgeschichte, dass der langhaarigen „Lilith“ in Robert Rossens mythisch unterströmtem Filmdrama kaum Erfolg beschieden war. Als schizophrene Heiminsassin mit unheilvoller sexueller Ausstrahlung auf Männer, Frauen und Kinder gelang Seberg ihr vielschichtigstes, erotischstes, verstörendstes Rollenportrait. Nur auf der Ebene männlicher Projektion teilt Lilith die „Bosheit“ ihrer dämonischen Namensschwester aus dem Talmud. Das Unheil im Film entstammt den Grenzverletzungen des Pflegers und Vertrauten Vincent, der seine Liebe zu Lilith nicht unterdrücken kann und sie damit zerstört. Die männliche Hauptrolle spielt – etwas hölzern – Warren Beatty, der das Team mit seinen Star-Allüren an den Rand der Verzweiflung brachte. Vor den Dreharbeiten lernten die Schauspieler auch wirkliche Patienten eines Sanatoriums kennen. „Ich habe dort einen großen Respekt für geistesgestörte Menschen entwickelt“, sagte Jean Seberg später, „Sie kommen mir vor wie Kristalle, die Risse bekommen, zu fragil, als dass man sie berühren kann.“

 

Nach dem grob unterschätzten Film „Lilith“ dümpelte die Hollywoodkarriere so dahin, obwohl Seberg in Filmen wie „Simson ist nicht zu schlagen“ (Irvin Kershner, 1966), „Westwärts zieht der Wind“ (Joshua Logan, 1969) oder „Andersons Rache“ (Daniel Petrie, 1974) gute Leistungen zeigte. Seelenlose Megaproduktionen wie Mervyn Leroys „Der Schuss“ (1965) oder „Airport“ (George Seaton, 1970) waren ihre Teilnahme nicht wert. Auch ihre europäischen Filme nach Godard gehen kaum als Meisterwerke durch, darunter zwei Arbeiten von Claude Chabrol: „Die Demarkationslinie“ (1966) und „Die Straße nach Korinth“ (1967). Unter der Regie ihres Ehemannes Romain Gary spielte sie in dem prätentiösen Drama „Vögel sterben in Peru“ (1968) eine Nymphomanin.

 

Möglicherweise reflektierte das Drehbuch, das ebenfalls von Gary stammte, auch die vielen Affären, die Seberg mit anderen Männern hatte. Ihre spektakulärste Beziehung unterhielt sie zu einem Mitglied der Black Panther. Ihre Verflechtung in die Aktionen der radikalen Bürgerrechtsbewegung rief die amerikanische Bundespolizei auf den Plan, namentlich Edgar J. Hoover. Der FBI-Chef ließ Falschmeldungen in Umlauf bringen, die zum zweiten Mal von Romain Gary schwangere Schauspielerin erwarte ein Baby von einem Afroamerikaner. Seberg reagierte entsetzt, nahm zuviele Schlaftabletten und erlitt im August 1970 eine Frühgeburt. Nach zwei Tagen starb das Baby. Das langsame Sterben der Jean Seberg beginnt: Alkohol, Medikamente und Depressionen, die sich mit Phasen manischen Aktionismus´ abwechseln. Briefe unterzeichnet sie jetzt manchmal mit „Blue Jean“. Sebergs dritte Ehe – mit dem französischen Nachwuchsregisseur Dennis Berry – verlangsamt die Abwärtsspirale. Berrys einzige Regiearbeit mit seiner Frau, „Le Grand Délire“ (1974) wird allerdings ein Flop.

 

Ihre letzte Filmrolle spielt sie an der Seite von Bruno Ganz und Anne Bennent – in Hans W. Geissendörfers „Wildente“ (1976) nach Henrik Ibsen. Sebergs persönliches Drama verschärft sich mit der Trennung von Dennis Berry, mit diversen Klinikaufenthalten, Geldproblemen und der Umwidmung ihres Pariser Apartments in eine Junkie-Unterkunft. Ihr letzter Kinobesuch gilt ausgerechnet Constantin Costa-Gavras’ „Die Liebe einer Frau“ (1979) nach dem Roman ihres Ex-Mannes Romain Gary, in dem sie ursprünglich für die Hauptrolle vorgesehen war. Nun lächelt ihr Romy Schneider von der Leinwand entgegen. Am nächsten Morgen ist Jean Seberg verschwunden und wird nach zehn Tagen wenige Straßen von ihrer Wohnung entfernt tot aufgefunden, eingerollt vor dem Rücksitz ihres Renault. Todesursache: Ein Cocktail aus Alkohol und Tabletten.

 

Wie im Fall Monroe ist die Selbstmordtheorie so plausibel wie unbewiesen. Romain Gary (der sich 1980 umbrachte) sprach dem FBI immerhin moralische Verantwortung zu. Andere glauben noch heute, der französische Service secret habe die Schauspielerin liquidiert, weil sie Kontakte zum algerischen Widerstand hegte. Rätsel bleiben: Wie konnte Seberg absichtlich so viel Schnaps trinken, dass ihr Blut acht Prozent (!) Alkohol pro Liter aufwies? Wie konnte die stark Kurzsichtige ohne ihre Brille Auto fahren? So oder so hing ihr Leben wohl nur noch am seidenen Faden. Freunde der Schauspielerin haben mit Bestürzung über ihren fatalen Hang zur Selbstkontrolle berichtet, ein Aufrechterhalten der Fassade um jeden Preis. Vielleicht verlor sie so den Kontakt zu sich selbst. Jean Seberg wurde wohl auch ein Opfer des Kinos. Sie hat am Ende versucht, mit den verführerischen Spiegelbildern ihrer selbst doch noch eins zu werden – ein wenig wie Narziss, der in sein Abbild eintaucht und ertrinkt.

 

Jens Hinrichsen

 

Dieser Text ist zuerst erschienen im: film-Dienst

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