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Die
Macht der Gefühle
Zum Tod des Regisseurs Werner Schroeter
Obwohl man seit einiger Zeit wusste, dass Werner Schroeter
an Krebs erkrankt war – und man sah es ihm auch an – war sein Tod im Alter von
65 Jahren am 12. April doch ein Schock. Er hat bis zuletzt gearbeitet, hat seiner
Krankheit immer wieder ein Werk abgerungen, hat an der Volksbühne Berlin
noch zweimal inszeniert, »Antigone/Elektra« von Hölderlin und
Hofmannsthal und im März »Quai West« von Bernard-Marie Koltès.
Werner Schroeter war die große Alternative im deutschen Film – mit Eika Katappa, Wilson Springs, Palermo oder Wolfsburg, Malina oder Diese Nacht –, er verband das Kino mit dem Theater und der Oper.
Wilhelm Roth erinnert sich an Filme und Begegnungen
mit dem Regisseur, auf Festivals und anderswo.
Im Dezember 1968 schickte mich die »Süddeutsche
Zeitung« in »das andere kino« in München, wo ein völlig
unbekannter junger Mann, der sich damals noch V. Schroeter nannte, erstmals
öffentlich seinen Film Neurasia zeigte, einen Stummfilm in Schwarzweiß, unterlegt
mit Bruchstücken von Wiener Walzern und amerikanischer Schlagermusik, 41
Minuten lang. Drei Frauen und ein Mann auf einer kleinen Bühne: »Liebkosungen,
aber auch Züchtigungen, rituelle Gesten, Tanz und Opferung.« Die
Darsteller agierten pompös und ernsthaft – und darum auch komisch. Diese
Fragmente eines ekstatischen Melodrams brachten einen völlig neuen Ton
in den Jungen Deutschen Film. Das war mir, als ich darüber schrieb, noch
nicht bewusst; erst in der Erinnerung wurde Neurasia zu einer Keimzelle von Schroeters Werk. Schroeter fühlte
sich aber in den paar Zeilen von 1968 richtig verstanden, 40 Jahre später
erzählte er mir zu meiner Überraschung, das sei der erste Text gewesen,
der über einen seiner Filme erschienen ist.
40 Jahre später, im September 2008, erhielt Werner
Schroeter bei den Filmfestspielen in Venedig einen Spezial-Löwen für
sein Lebenswerk, eine kluge und anrührende Geste der von Wim Wenders geleiteten
Jury. Sein Wettbewerbsbeitrag Nuit de chien (Diese Nacht), der letzte seiner 35 Filme, kam in Venedig nicht besonders
gut an, seine Qualitäten erschließen sich kaum im Festivalstress.
Ich sah das finster-pessimistische Bürgerkriegsmelodram in der epd-Film-Reihe
»Was tut sich – im deutschen Film?« im Frankfurter Deutschen Filmmuseum:
ein Meisterwerk und eine Diskussion mit dem Publikum, wie ich sie so konzentriert,
freundlich und auskunftsfreudig von Schroeter, der auch arrogant wirken konnte,
früher nicht erlebt hatte. Der Film, eine Odyssee durch eine durch Krieg,
Verrat und Folter verwüstete Stadt, und ein Werner Schroeter, der diesen
surreal nächtlichen Alptraum nach Onettis Roman »Für diese Nacht«
sehr politisch interpretierte – das war ein bewegender Abend. Die Diskussion
ist im epd- Film-Sonderheft von 2010 nachzulesen. .
Geboren am 7. April 1945 in Georgenthal in Thüringen,
aufgewachsen in Bielefeld und Heidelberg, hat Schroeter schon früh angefangen,
kurze Filme in 8 mm zu drehen. Aufsehen erregte er erstmals bei der Hamburger
Filmschau im Frühjahr 1969 mit Neurasia und Argila, und schon im Herbst 69 war er in Mannheim mit Eika Katappa, seinem ersten langen Film, fast ein Star; er gewann
den Josef -von-Sternberg-Preis.1972 begann er auch im Schauspiel und bald auch
in der Oper zu inszenieren. Über 70 Produktionen sind in gut 40 Jahren
entstanden. Interessiert haben ihn immer wieder große Frauengestalten,
Lessings »Emilia Galotti«, Victor Hugos »Lukrezia Borgia«,
Kleists »Käthchen von Heilbronn« oder zuletzt »Antigone«
und »Elektra«, die er gegen die Theaterkonvention in Szene setzte.
Schroeters künstlerische Handschrift wurde schon
in diesen ersten Jahren deutlich. Er erzählte nicht linear, sondern nahm
sich alle Freiheiten im Umgang mit Bildern, Texten und Tönen. Er spielte
mit Kunstfiguren und deren Obsessionen, Sehnsüchten und Todesnöten.
Und alle Filme zeugten von seiner leidenschaftlichen Hingabe an die Musik. Von
Anfang an unterschied Schroeter nicht zwischen Hochkultur und Kitsch, und das
blieb so über die vier Jahrzehnte. Schlager standen neben der italienischen
Oper; es ging immer um die Gefühlsintensität, nicht um die klassische
Schönheit, und diese Ausdruckskraft hatte für ihn Caterina Valente
genauso wie Maria Callas. Als er 2004 in Darmstadt Nabokovs Theaterstück
»Walzers Erfindung« inszenierte, hat er auf meine Frage seine Ästhetik
so beschrieben. Er habe »keine moralischen oder wertenden Kriterien. Kitsch
gehört zu einem Kunstwerk ausdrücklich dazu, nur Strenge ist oft zu
steril. Das ist auch ein sehr deutsches Phänomen, die Unterscheidung zwischen
Hochkultur und Kleinkultur. Als wir Ende der sechziger Jahre angefangen haben
– Werner Herzog, Rosa von Praunheim oder ich –, das war die Zeit, in der der
Begriff Camp geprägt wurde. Das bedeutete ein Verständnis für
die weitreichenden Ausdrucksmöglichkeiten der sogenannten Trivialkultur.«
In Eika Katappa hat er seine künstlerischen Visionen zum ersten
Mal im großen Stil verwirklicht. Eigentlich wäre das ein Werk für
die Mailänder Scala. Vielleicht wird man Schroeter einmal vor allem mit
dieser Filmoper identifizieren. Das Drehbuch, besser: Libretto, schlägt
einen Bogen vom düsteren Deutschland und seinen Nibelungen über Italien
bis nach Capri, eine Reise der Sehnsucht und eine Hymne auf Maria Callas, kongenial
dargestellt von Magdalena Montezuma, Schroeters Muse und Lieblingsdarstellerin
bis zu ihrem frühen Tod 1984. Die Callas musste er schon 1977 betrauern.
In einem sehr persönlichen Nachruf im »Spiegel« zeigte er sich
bewegt, wie sehr sie »Leben, Liebe, Freude, Hass, Eifersucht und Todesangst
in ihrer Totalität und ohne psychologische Analyse musikalisch und gestisch
ausgelebt hat.« Seine Callas war Magdalena Montezuma, mit der er in den
siebziger Jahren seine wohl schrägsten, wahnsinnigsten Filme machte. Sie
fasziniert als glatzköpfige Salome und in »Der Tod der Maria Malibran«
als Operndiva des 19. Jahrhunderts. In den meisten Filmen spielte sie mehrere
Rollen, Frauen und Männer, so in Willow Springs. Schroeter liebte dieses
Changieren zwischen den Geschlechtern. Sehr flapsig sagte er in Darmstadt: »Es
ist ja fürchterlich, jeden Tag als derselbe Idiot aufzuwachen.«
Von Neapolitanische Geschwister (1978) an wurden seine Filme welthaltiger, blieben aber
dennoch Schroeter pur. Diese Chronik des Lebens in Neapel seit dem Zweiten Weltkrieg
zeigte exemplarisch den Zuwachs an Realitätsfülle und Reife; private
Tragödien und die gesellschaftliche Entwicklung sind ineinander verzahnt.
Auch Palermo oder Wolfsburg, für den Schroeter 1980 den Goldenen Bären
der Berlinale gewann, folgte diesem ästhetisch-politischen Prinzip. Nicola,
ein Arbeitsemigrant, kommt aus dem südlich-warmen Sizilien ins nördlich-kalte
Deutschland, er tötet im Affekt zwei Jugendliche, die Gerichtsverhandlung
wird zur Groteske, zwei Kulturen stehen sich unvereinbar gegenüber. Diese Nacht ist dann der letzte Höhepunkt in Schroeters eigenwilliger,
sehr individueller Auseinandersetzung mit der Gesellschaft. Zunehmend hat Schroeter
auch fremde literarische Vorlagen für seine Filme gewählt. Schon bei
Neapolitanische Geschwister und Palermo oder Wolfsburg hatte er mit Wolf Wondratschek und Giuseppe Fava Koautoren.
1981 drehte er Liebeskonzil nach Oskar Panizzas kirchenkritischem und lange verbotenem
Stück von 1895, und 1990 Malina nach Ingeborg Bachmanns Roman, mit Isabelle Huppert,
Drehbuch Elfriede Jelinek: wieder eine Liebe, die zum Tode führt.
Werner Schroeter wird auch in Erinnerung bleiben durch
seine Selbstinszenierung als Künstler und Dandy. Den jungen Schroeter mit
langem, blondem Haar sieht man in Fassbinders Warnung vor einer heiligen Nutte, wo er gleich in der ersten Einstellung eine Geschichte
über Goofy erzählt. In späteren Jahren trug er, ob er nun inszenierte
oder beim Italiener saß, fast immer einen breitkrempigen schwarzen Hut
– eine Kunstfigur, wie die Protagonisten seiner Filme.
Wilhelm
Roth
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd Film
Ein
weiterer Text über Werner Schroeter findet sich hier
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