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Die
Schönheit des Scheiterns
In seiner Autobiografie erzählt
Regisseur Volker Schlöndorff von sich und dem unglücklichen Bewusstsein
des deutschen Films
Volker Schlöndorff ist ein sympathischer
Mensch und ein ehrbarer Filmemacher; ohne ihn kann man sich die Geschichte des
neuen deutschen Films gar nicht vorstellen. Er hat diesem Kino, das nun schon
lange nicht mehr das jüngste ist, immer wieder eine moralische Position
abverlangt. Gestützt auf humanistisches Bildungsgut, gewiss, und auf solides
Handwerk zumeist.
Er hat sich immer wieder der deutschen
Wirklichkeit gestellt, der Vergangenheit und der Gegenwart, auch zu Zeiten,
als das nicht opportun und sogar ein Risiko war. Aber seine Filme brennen nicht.
Was immer sie zeigen, sie tun es schon im Stadium der Distanzierung, der Abkühlung,
der Ablagerung. Einen tüchtigen Handwerker hat man ihn genannt, einen Literaturverfilmer,
den Bildungsbürger unter den deutschen Regisseuren.
Das ist zu viel und zu wenig gesagt. So
umfangreich und von Zufällen bestimmt die Filmografie des Volker Schlöndorff
mittlerweile auch ist, so beschreibt er in seinem Buch doch zwei Programme,
auf die er als Regisseur immer wieder zurückgekommen ist. Das eine ist
die Zeitfrage seiner Generation schlechthin: Filmemachen, so sagt Schlöndorff,
sei für ihn immer der Versuch gewesen, Antworten auf die Frage zu finden,
wie das möglich war, dass sich das deutsche Bürgertum so vorbehaltlos
dem Faschismus überantwortete. Antworten fand Schlöndorff in Filmen
zwischen dem Jungen Törless und dem Unhold, zwischen der Blechtrommel und dem Fangschuss in literarischen Vorlagen, dorther holt
er seine Bilder: »Literatur als Auskunft über deutsche Geschichte«.
Und auch das zweite Filmprogramm des Volker
Schlöndorff macht ihn zu einem typischen Vertreter seiner Generation. Der
Urplot seiner Filme: »Jemand rebelliert und scheitert dabei. Seine Stärke
und Schönheit liegt in der Aufhellung: Das ist der Moment, in dem er lebt,
was wichtiger ist als das Ergebnis. Das Scheitern ist uns Deutschen seit den
Bauernkriegen und fehlgeschlagenen bürgerlichen Revolutionen Erfahrung.« Was seine Helden umtreibt in der Geschichte ihres
schönen Scheiterns: »Verweigerung und Protest«.
Im Oskar der Blechtrommel ist das glücklich und traumhaft
vereint, in den meisten anderen Filmen von Volker Schlöndorff bricht es
auseinander. Sie handeln von narzisstischen Bürgern, die gar nicht in einer
suggestiven, gewalttätigen und korrupten Welt scheitern. Sondern an ihr.
Die Erben von Taugenichts und Michael Kohlhaas. Schlöndorffs Helden bleiben
immer bis zu einem gewissen Grad von der Welt ausgeschlossen.
Oft scheinen sie wie körperliche
Anhängsel der literarischen Sätze, die sie sagen müssen, damit
sie überhaupt eine Berührung mit ihrer Umwelt haben. Das passt, wenn
es um Zöglinge, Künstler und Journalisten, vielleicht auch, wenn es
um Söhne und Liebhaber geht, da redet man auch im wirklichen Leben vor
sich selber her. Was den Rest der Welt, auch den politischen, anbelangt, ist
es durchaus gefährlich, den Worten zu viel Macht zu geben. Im Leben, in
der Literatur, und im Kino sowieso.
Man kann das einen »Fehler«
nennen, der in der Methode liegt, oder in der Art, wie Volker Schlöndorff
die Literatur in sein Leben und in seine Arbeit »eingeschrieben«
hat: »Ich suchte in Büchern nicht mehr nur das Unbekannte, sondern
Bestätigung für das, was ich diffus selbst verspürte. Sie interessierten
mich, je mehr ich mich in ihnen wiederfand.«
Dieser bürgerliche Mensch, dem die Welt, die Literatur, das Bild, das Kino,
hauptsächlich insofern interessant ist, als er sich dort »findet«,
muss das alles auch immer wieder verfehlen, er muss ins Scheitern verliebt sein,
muss sogar das Wesen des Kinos verpassen, nämlich das Unbekannte.
Vielleicht ist dieses unglückliche
Bewusstsein des Schlöndorff-Helden aber auch kein »Fehler«,
sondern etwas ganz anderes: ein »Symptom«. Die Beschreibung von
Symptomen ist hilfreich für jede Art von Behandlung. Eine Autobiografie
mag dazu das richtige Medium sein. Und vielleicht ist ja in diesem Buch zu haben,
was in so vielen Schlöndorff-Filmen fehlt: die heftige Berührung von
Ich und Welt.
Der fünfaktige Lebensplot des Volker
Schlöndorff enthält so viel Exemplarisches wie Eigenartiges: das Aufwachsen
in einer engen Provinz Deutschlands zwischen Trümmern und Restauration.
Mutterlos in einer Welt, die man nachträglich als »vaterlose Gesellschaft«
definierte. Die Flucht aus dem Muff dieser Jahre, die eigentümlicherweise
in ein katholisches Internat in Frankreich führte, und die Begegnung mit
dem Kino der Nouvelle Vague. Der Aufstieg in der entstehenden neuen deutschen
Filmkultur, und das erste Scheitern ausgerechnet mit einer Michael
Kohlhaas-Verfilmung, bis
zum internationalen Triumph mit der Blechtrommel, Fluch und Segen zugleich. Belastung
durch Unwiederholbares. Die Involvierung in die politischen Kämpfe der
siebziger Jahre (wohltuend direkt, jenseits der Mythenbildungen geschildert),
aber auch hier: mehr Beobachtung als Teilhabe. Ein amerikanisches Zwischenspiel,
nicht allzu glücklich, schließlich die Rückkehr nach Deutschland
zur Position eines respektierten Anregers und Organisators, eines verlässlich
relevanten Filmemachers.
Und: zurück zum Scheitern. Die vorliegende
Autobiografie entstand, weil Schlöndorff zum ersten Mal in seiner Arbeit
von der Produktion entlassen wurde. Ob es künstlerische Differenzen waren
oder die Strafe für eine publizistische Unbotmäßigkeit oder
eben Symptom eines Machtwechsels in der deutschen Filmkultur – wer weiß?
Jedenfalls hat Volker Schlöndorff keine »Abrechnung« geschrieben.
Wer immer ihn erzürnt hat, im Leben
(immerhin hat da ein Vater persönlich interveniert, um das Filmvorhaben
seines Sohnes zu unterbinden: Wenn das kein schlüssiges Bild ist!) wie
bei der Arbeit (da gab es ja genügend konfligierende Gruppen und Cliquen,
Verräter und Zerstörer genug) – in seinem Buch ist ihm oder ihr Versöhnung
geschrieben. Vielleicht ist das Weisheit, Temperament oder Diplomatie; dass
Filmgeschichte indes auch aus Zorn, Kampf und Heimtücke ersteht, erfährt
man hier nicht. Volker Schlöndorff ist vielleicht nicht zufrieden, aber
offensichtlich im Reinen mit sich.
Sein Lebens- und Arbeitsbericht hat alle
Meriten und alle Macken eines Schlöndorff-Films. Die Meriten: Ohne Eitelkeit
und Selbststilisierung wird da erzählt, so selbstkritisch, dass man den
Autor manchmal gegen sich selbst in Schutz nehmen möchte. Mit großer
Lust am Episodischen entfaltet er eine bei aller Weltläufigkeit erstaunlich
überschaubare Welt der Filmemacher, Künstler und sonstigen Zeitgenossen
von ebenso erstaunlich überschaubarer Seelentiefe, mit einer Neugier, die
sich das Leben harmonisch inszeniert. Offensichtlich gibt es hier nichts Unerklärliches,
weder lauernde Abgründe noch tückische Spiegelungen. Dafür sehr
viel Menschliches.
Man sieht jemandem zu, wie er sich mit
Kunst gegen die Zumutungen der Welt wappnet, wie Malerei, Musik und Literatur
nutzbar gemacht werden für die Biografie. Sanftheit noch im Ungeheuerlichen,
ein Markenzeichen des Regisseurs und des Lebensberichters. Eine trefflich illustrierte
Geschichte. Und die Macken? Da ist jene immer etwas unbeholfene Offenbarung
des Intimen, wie wir sie aus den Filmen kennen. Ich bin nicht sicher, ob ich
wirklich so genau über Volker Schlöndorffs sexuelle und emotionale
Schwierigkeiten informiert werden möchte, zumal diese ja auch im Text (des
Lebens und der Filme) im Privaten eingeschlossen bleiben. Salzstangenpsychologen
da draußen mögen raunen von versteckten Ängsten und Obsessionen
und sich an ein weiteres Entschlüsseln eines Filmwerks machen, das doch
ansonsten erscheint wie ein, Verzeihung, offenes Buch.
Aber viel interessanter ist etwas anderes.
Warum und wie war das Kino, schwer vorstellbar heutigentags, für eine Generation
die ersehnte Schnittstelle zwischen dem Leben und der Geschichte, zu der es
aus dem doppelten Grund keinen direkten Zugang gab: wegen des politischen und
wegen des familiären Schweigegebots? Verhieß es, das unglückliche
Bewusstsein zu überwinden, innen und außen zu verknüpfen? Oder
setzte es nur fort, was in den deutschen Biografien lag: dass der Versuch, Politik
und Leben miteinander zu verbinden, sich einzig und allein in der Mythologie
des schönen Scheiterns erfüllte?
Volker Schlöndorff sieht auch, was
das anbelangt, um sich herum ein Feuer, das ihm fremd bleibt. Das Radikale,
so unterschiedlich es sein mag bei Fassbinder, Kluge oder Herzog, das immer
so oder so einen Zug der Selbstzerstörung hat, fehlt diesem Bürgerfilmer,
auch wenn er es in seiner Biografie durchaus fasziniert registriert. Konstant
verweigert er Filme in der ersten Person. Aber genau das befähigt ihn wohl
auch zum tapferen Weitermachen dort, wo andere längst aufgeben.
Leben und Werk bekommen auch hier keine
innigere Verbindung, als füreinander assoziatives Material zu sein. Manchmal
scheint es, als wäre dieser Regisseur auch in seinem eigenen Leben nur
zu Gast gewesen, oder er habe die eigene Person mit den Augen einer Kamera gesehen.
Was wir in der Biografie dazu erfahren, ist eher episodisch: Oskar Matzerath,
der an die Tür trommelt, als seine Mutter an Fischvergiftung stirbt, in
der Blechtrommel – eine Erinnerung an den Tod der eigenen
Mutter; die Geschichte der Armen
Leute von Kombach – Erzählungen
der Leute aus den armen Taunusdörfern, in denen der junge Volker Schlöndorff
mehr oder weniger zu Hause war; Lehrer, die nach dem Krieg immer noch vom germanischen
Walhalla träumen – Vor-Bilder zu dem Unhold; die Bresson-Lektion durch einen französischen
Père im Internat, die zur Leitlinie für die Kameraarbeit wird; eine
Reise nach Algerien, deren Eindrücke noch in den Beirut-Szenen in der Fälschung
widerhallen, oder eine verflixte Liebschaft im wirklichen Leben, die sich in
Jeremy Irons bitteren Flüchen in Eine
Liebe von Swann ein Ventil
schafft. Ist das alles?
Die letzte Szene dieses Buches beschreibt
einen Sturz vom Pferd, sinnreich durch auffliegende Wildgänse ausgelöst.
»So bin ich im märkischen Sand gelandet, unsanft zwar, aber eben
auf sandigem Boden, was ein ziemlich zutreffendes Bild meiner Lage ist.« Oder der deutschen Filmkultur. Oder des bürgerlichen
Bewusstseins. Nicht sanft, aber auch nicht allzu hart gelandet. Kein Grund zur
Verzweiflung.
Georg Seeßlen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: DIE ZEIT vom 06.11.2008
Volker Schlöndorff: Licht, Schatten und Bewegung. Mein Leben und meine Filme. Hanser, München 2008, 472 S., zahlreiche Abbildungen, Autobiographie
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