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"Du
wirst schnell weich auf der Filmschule."
Ein äußerst sympathischer Oskar Roehler im Gespräch über seinen neuen Film „Jud Süß – Film ohne Gewissen“, seine Anfänge als Regisseur,
die eigenen Karrierefehler und schäbige Westberliner Punkkneipen.
FM5: Die Produktion Ihres Debütfilms „Gentleman“,
den Sie mit Mitte 30 gedreht haben, liest sich von außen wie eine „Jetzt
oder nie“-Reaktion. Sie haben Ihr eigenes Erbe in die Produktion gesteckt, kurz
vor Beginn fiel der Hauptdarsteller aus und auch sonst waren die Produktionsbedingungen
katastrophal. Was war der entscheidende Moment, diesen mörderischen Kraftakt
dennoch aufzubringen? Woher kam das enorme Selbstbewusstsein, dass am Ende alles
funktionieren würde?
Oskar Roehler: Das war vielleicht
die Meisterleistung meiner Karriere. Ich glaube, wenn man auf eine Filmhochschule
geht und einem die Sachen so ein bisschen hinterher geworfen werden – das habe
ich oft beobachtet als Lehrer -, dass du dann schnell weich wirst und das Ganze
irgendwann für selbstverständlich hältst. Du bist nicht mehr
so richtig heiß. Ich bin eigentlich immer eher von meinen Impulsen getrieben
worden als von meinen Zweifeln. Das kann Vor- und Nachteile haben.
Bei mir haben sich die Bilder für den Film regelrecht
aufgedrängt. Ich habe im Grunde schon sehr viel vom Film vor mir gesehen
und gedacht, ich müsste den jetzt unbedingt machen, und das müsste
auch mit den geringsten Mitteln hinzukriegen sein. Da ging natürlich dann
ein enormer Schlauch los.
Ein großes Talent meiner Jugend war jedoch mein
enormes Organisationstalent. Ich habe eigentlich immer für mich selbst
aufkommen müssen. Und wenn du einen Low-Budget-Film machst, musst du der
energetische Mittelpunkt des Films sein. Du
bist Tag und Nacht damit befasst, dass die Maschine läuft. Ich habe dann
während des Drehs aus halbpersönlichen Gründen Mitarbeiter verloren,
die dann wieder durch neue ersetzt werden müssen und so weiter. Du musst
das Chaos am Laufen halten.
Das geht zwar manchmal auf Kosten der künstlerischen
Qualität, aber andererseits fallen einem enorm viele Dinge durch die Improvisation
ein. Man kann auch die Zügel ein wenig schleifen und den Wahnsinn toben
lassen. Das ist irgendwie schon ganz toll.
Und so einen Sprung ins kalte Wasser muss jeder wagen,
wenn er in irgendeiner Form Karriere machen will. Wenn man ganz privilegiert
ist, braucht man das vielleicht nicht, aber in meiner Situation war es jedenfalls
notwendig.
Nach etlichen Preisen und Zuschauererfolgen, könnte
man annehmen, dass Sie auch „weich“ geworden sind. Würden Sie sich einen
solchen Kraftakt wie damals heute noch mal zutrauen?
Nee, ich würde vor allem nicht mehr einsehen, das
zu machen. Es hat immer damit zu tun, dass man sich was beweisen will. Da bin
ich sehr davon überzeugt. Der erste Antrieb ist, sich zu beweisen, dass
man so eine Sache hinkriegt, während mittlerweile ganz andere Überlegungen
bei mir eine Rolle spielen.
Vor allem bin ich auch nicht auf Film festgelegt. Ich
habe eine ganze Menge an interessanten Betätigungsfeldern. Es geht nicht
darum, sich ständig zu wiederholen und einen Film nach dem anderen zu machen.
Du kannst durch ein Buch, was du schreibst, beispielsweise viel mehr von deiner
Sicht auf die Dinge lancieren oder den Leuten viel mehr geben.
Ich habe gerade jetzt ein Buch geschrieben. Das war mir
ein Anliegen, was ähnlich wichtig wurde wie damals Filme machen, wobei
ich da eher Angst hatte, ob ich es wirklich schaffe, das zu beenden. Es ging
nicht mehr um ein juvenalisches „sich beweisen wollen“, sondern ich hatte eher
den Anspruch, eine umfassende Geschichte zu erzählen. Plötzlich kam
die Angst, ob ich es schaffe und ich hab lange hin und her überlegt, ob
ich das tatsächlich riskieren soll. Denn wenn du so eine Sache nicht schaffst,
kommst du auch echt in Schwierigkeiten, mental zumindest. Dann kommst du in
ganz depressive Zustände rein, die du beim Schreiben sowieso ab einer gewissen
Zeit hast. Du kämpfst mit ganz vielen Geistern und Dämonen, mit denen
du dich auseinandersetzen musst.
Ich hab das letztendlich gemacht, die ganze Strecke zurückgelegt
und dabei auch wahnsinnige Erkenntnisse daraus gewonnen. Ich habe plötzlich
festgestellt, dass ich durch die Sprache zum Teil oft mehr vermitteln kann.
Oder dass ich durch die Sprache zu Sachen zurück komme, Beschreibungen
der Pubertät oder ähnlichen Dingen, die auch wieder viel drastischer,
gewalttätiger und von viel bizarrerem Humor gezeichnet sind, als es beispielsweise
meine letzten Filme waren. Man muss halt auch immer gucken, dass man einen Weg
findet, seine Kräfte zu erneuern.
Schreiben ist viel unmittelbarer. Beim langwierigen
Prozess des Filmemachens geht möglicherweise viel von der Ursprungseingebung
auf dem Weg verloren.
Das ist schon richtig. Aber das ist auch so ein heikles
Thema. Man kann zu sehr versuchen, Perfektionist zu sein und dann klappt es
nicht. Das kann dir sehr leicht passieren.
Das ist mir bei „Lulu und Jimi“ ein bisschen passiert, wo ich ganz klare, 100prozentige
Ideen hatte, wie etwas auszusehen hatte und wie kreativ meine Mitarbeiter sein
müssten, wie sehr sie mir gerecht hätten werden sollen, dann letztendlich
aber nicht wurden.
Das hat dann einen solchen Frust hervor gerufen – sowohl
bei mir als auch bei allen anderen Beteiligten, der zur Folge hatte, dass die
Lust an der Sache auch für die Schauspieler zum Teil verloren ging, weil
ich zu manisch war und zu besessen, aber meine Ideen nicht mehr adäquat
vermitteln konnte. Ständig dachte ich mir, ich hätte es hier mit begabten
Menschen zu tun. Aber wo ist denn jetzt die Begabung?
Und die haben dann zu Recht gesagt: „Wo soll denn die
Begabung her kommen, wenn du so Scheiße drauf bist und die ganze Zeit
so ne Fresse ziehst?“.
Dabei meinten Sie doch einst, Euphorie vermitteln
sei Ihre große Stärke.
Beim letzten Film „Jud Süß“
war das fantastisch. Der hat sich so gut angelassen. Es gab ein wunderbares
Klima zwischen den Schauspielern und den Mitarbeitern. Der Filmdreh stand
unter einem wahnsinnig guten Stern. Da hat sich ohne diesen wahnsinnigem Vorbereitungswahnsinn
ständig was ergeben und die Leute haben alle Freiräume genutzt. Das
war ein wunderbarer Dreh.
Wirkt sich die Atmosphäre am Set zwangsweise
auf den Film aus?
Es ist schon komisch. Was machst du beispielsweise, wenn
du eine Liebesgeschichte mit erotischen Szenen erzählst, aber eine Schauspielerin
hast, die, wenn sie dich sieht, sich gleich die Bettdecke bis zu den Nasenlöchern
hoch zieht? (Anmerkung: Oskar Roehler
spricht von seinem Film „Lulu und Jimi“)
Das hat auch viel mit Chemie und Persönlichem zu tun. Hätte sie sich
bei anderen Regisseuren genau so verhalten? Das weiß ich nicht, aber bei
mir hat sie es jedenfalls gemacht. Dann hast du ganz große Schwierigkeiten,
aus der Szene die Erotik heraus zu kitzeln.
Ich hab im Vorfeld auch sicher einige Fehler gemacht
und das Schlimme beim Film ist, dass du diese Fehler erst hinterher siehst.
Das hat sehr viel damit zu tun, wie weit du dich dem Publikum öffnest oder
wie gut du dein Publikum kennst, ob du weißt, wer sich deinen Film angucken
soll.
Ein ganz großer Fehler war, dass ich einen schwarzen
Schauspieler für eine Rolle besetzt habe, die ich eigentlich mit Til Schweiger
hätte besetzten können. Das wollte der Produzent aber nicht. Das war
nicht meine Schuld. Ich war ein bisschen halbherzig, weil ich nicht hundertprozentig
wusste, ob die Entscheidung richtig war. Hinterher stehst du dann plötzlich
vor den Scherben, weil du keine Zuschauer hast, wie es bei „Lulu und Jimi“ passiert
ist. Dann analysierst du natürlich noch mal viel genauer, was möglicherweise
schief gelaufen ist. Du kommst auch wirklich zu klaren Erkenntnissen.
Für den Til wäre das jedenfalls eine Paraderolle
gewesen, so einen Typen am Autoscooter zu spielen,
in den sich die Mädels verlieben, der sich dann eine aussucht und mit der
durch Dick und Dünn geht. Im Endeffekt war das ein Riesen-, Riesen-, gigantischer
Fehler.
Und dann gibt es eben Produktionen wie „Jud Süß“, wo ich nicht ein einziges Mal Bedenken hatte, was
die Besetzung angeht und alles so smooth ablief, wie man sich das als Regisseur
einfach wünscht.
Man darf nicht vergessen, dass du als Regisseur letztendlich
nicht dazu da bist, der Schauspiellehrer deiner Schauspieler zu sein, der irgendwelche
Mängel plötzlich in funkensprühende Performances verwandelt.
Sondern du bist auch jemand, der große Szenen gut arrangieren muss, der
das Visuelle regeln muss, das Timing und, und, und. Das heißt, deine Schauspieler
sollten eigentlich funktionieren, wenn sie ans Set kommen. Das war bei „Jud Süß“ auf jeden Fall gegeben. Letztendlich kannst du das
auch nicht beeinflussen.
„Jud Süß“
handelt von der Verführung der Massen durch den gleichnamigen Nazi-Propagandafilm.
Ist das Medium Film von sich aus manipulativ und böse, wie Kenneth Anger
es mal umschrieben hat?
Bei Kenneth Anger war ja alles böse. Der hat die
Welt vom Bösen her definiert, was durchaus auch eine gewisse Sexiness hatte.
Klarerweise ist Film Autosuggestion und Suggestion. Das
hat sich so herausgebildet. Jeder Gag in Amerika wird zum Beispiel in der nächsten
Komödie, die du siehst, perfektioniert und du musst immer auf dem obersten
Level sein. Das ist quasi so wie in der Renaissance, wo das Bild, das aus der
Werkstatt kommt, noch mal besser ist, als das zuvor. Gerade weil es da um den
Erfolg geht, was vom Anspruch sicherlich auch von den Filmen im dritten Reich
gewollt war.
Ich würde
jedoch nicht von
Manipulation reden. Das ist ein Wort,
was so verpönt und geächtet ist. Ich würde eher so von einer
Autosuggestion reden. Der Zuschauer erzieht die Industrie und das bedingt sich
dann wechselseitig. Die Leute, die ins Kino gehen, haben eigentlich wahnsinnige
Ansprüche. Die kennen das ja alles. Mittlerweile ist es so, dass in Amerika
bei jedem größeren Film erstmal die Zuschauer gefragt
werden, wie die Figur aufzubauen ist etc. Das ist eher eine kollektive Sache.
Haben sich Ihre Schauspieler jemals manipuliert gefühlt
bzw. zu Dingen getrieben, die Sie eigentlich nicht von sich zeigen wollten?
Die richtig guten Schauspieler sind wahnsinnig vorsichtig
und oft auch Leute, die mit einem starken Selbstbewusstsein auftreten wie beispielsweise
der Moretti oder der Bleibtreu. Das sind Leute, die vor der Kamera extrem geschult
wurden und mit ihrer Wirkung wahnsinnig gut umzugehen wissen. Da ist man froh,
wenn man einen gleichberechtigten Partner hat.
Wenn du zu viel von dir preisgibst, ist das eigentlich
immer in gewissem Sinne ein Anfängerfehler, glaube ich. Denn zu viel preisgeben
heißt ja, Schwächen zu offenbaren. Und das sollte man doch eher vermeiden.
Von daher wäre das eine Art von Ausbeutung, die ich nicht gut fände.
Die Fälle, wo solche Diskussionen auftauchen, sind
dann eher gezählt und beziehen sich oft auf sexuelle Geschichten. Wenn
du einen Film über Sex machst, dann kann es halt zum Teil handgreiflicher
und schwieriger werden. Also beispielsweise, wenn man sich diesen Ang-Lee-Film
anschaut. (Anmerkung: Oskar Roehler
spricht vermutlich vom Film „Gefahr und Begierde“)
Ich hatte das früher auch schon, als ich noch auf
ein bisschen mehr Realismus wert gelegt habe, gerade
beim Sex. Ich dachte halt, das müsste schmutzig sein, die Schauspielerin
müsste sich auch wirklich ausziehen und das müsste ein bisschen lebensechter
wirken. Das sind alles Sachen, die ich heute gar nicht mehr favorisiere. Ich
finde das heute entsetzlich langweilig so etwas zu sehen. Ich möchte da
lieber den verborgenen Reiz raus kitzeln.
Man ändert selber seine Haltung zu den Dingen, was
auch manchmal schade ist, weil es in manchen Fällen ganz gut ist, von diesem
Überästhetizismus ein bisschen zurückzugehen, den man mittlerweile
praktiziert.
Wie Sie Tobias Moretti und Moritz Bleibtreu inszeniert haben, ist sehr unterschiedlich. Während
Moretti in der Rolle des Ferdinand Marian (der Wiener Schauspieler spielte damals
die Hauptrolle in „Jud Süß“) klassisch dramatisch spielt, schrammt
Bleibtreu als Joseph Goebbels manchmal nah an der Parodie vorbei.
Wieso musste die Figur des Goebbels so clownesk sein?
Also, ich empfinde diese Diskrepanz überhaupt nicht
als störend, sondern das ist im Grunde genommen ein Konzept gewesen. Wobei
man auch sagen muss, dass der Stil vieler Schauspieler doch eher der minimalistische
ist.
Da gibt’s manchmal aber auch welche, die gerne auf die
Kacke hauen, zum Beispiel Waldemar Kobus oder Gudrun Landgriebe,
die so hyperstilisierte Figuren bringen. Da bin ich immer sehr verführbar,
weil ich das extrem liebe, wenn jemand seine Kunst so wahnsinnig ausbaut und
nicht immer möglichst konzentriert versucht, in jeder Hinsicht minimalistisch
glaubwürdig zu sein.
Und der Goebbels war ja genau wie der Berlusconi so ein
Parvenü. So eine Art halb clowneske Figur, die sich unglaublich gut in
Szene setzen konnte, die Charme versprüht hat, die in mancher Hinsicht
überhaupt nicht so seriös war, wie sie dann immer wieder nach außen
hin wirken musste. Und die Rolle ist bestimmt durch Auftritte, sprich der Moritz
Bleibtreu hatte nie die Chance, etwas anderes darzustellen oder
ich hatte nie die Chance, etwas anderes bei ihm zu inszenieren als diese Auftritte.
Es gibt keine einzige Szene bei Goebbels, die nicht ein Auftritt wäre.
Und in diesen Auftritten zelebriert sich diese Art Mensch, wie Goebbels das
eben war, genauso. Insofern war das absolut richtig für mich.
Zynisch könnte man sagen, dass Sie in Ihrer Karriere
auch schon einmal verführt worden und der Verlockung nach Ruhm erlegen
sind. War Ihnen bei der Bernd-Eichinger-Produktion „Elementarteilchen“, die in der Kritik durchfiel, im Nachhinein komplett
bewusst, worauf Sie sich da eingelassen haben?
Das ist ein zweischneidiges Schwert. Das war sicherlich
mit Abstand die schwierigste Herausforderung in meiner Karriere, aus diesem
Roman was zu machen.
Vom Stoff her?
Ja, vom Stoff her war das unglaublich schwer zu bewältigen.
Jeder, der das Buch gelesen hat, hat erst mal gesagt, dass es völlig unmöglich
ist, einen Film daraus zu machen. Es sei denn, du machst einen extrem ausufernden
Experimentalfilm, der dann wahnsinnig genial sein kann, aber da wirklich raus
zu destillieren, was das am Ende als Film sein könnte, ist eine irrsinnig
schwierige Aufgabe.
Das habe ich nicht alleine lösen können, da
musste ich die Hilfe von Bernd Eichinger in Anspruch nehmen. Und der hat mir
auch geholfen. Der hat den Film in gewisser Hinsicht ein bisschen dahin gebracht,
wohin er ihn ungefähr haben wollte, wobei ich glaube, dass wir beide mit
dem Endresultat jetzt nicht unbedingt hundertprozentig zufrieden sind. Aber
das lag auch an meiner Unerfahrenheit mit Romanadaptionen. Wenn ich den Film
heute noch mal machen würde, würde ich den sicherlich anders machen.
Es gab ein paar Grundauseinandersetzungen zwischen uns,
wobei Bernd Eichinger sich bei einer durchgesetzt hat, was ich im Nachhinein
immer noch schade finde. Ich wollte den Houellebecq
zum Teil sprechen lassen und mit Voice-Over arbeiten, denn die Sachen sind so
gut, die er da zu sagen hat, das wertet den Film auf. Der Eichinger hat aber
immer gesagt, „Das ist mir zu unkommerziell. Voice-Over funktionieren im Kino
meistens nicht. Das lassen wir jetzt mal lieber. Versuch es erst mal ohne!“
Irgendwann habe ich es dann halt ohne versucht, was im Endeffekt schade ist,
weil Sprache einen Film wahnsinnig unterstützen kann. Davon bin ich heute
auch noch überzeugt.
Andererseits war der Film dann doch immerhin mit fast
neun Millionen Zuschauern mit Abstand mein erfolgreichster Film. Von daher hat
mir das Projekt sicher nicht schlecht getan.
In den 80ern haben Sie in Punkkneipen in Westberlin
mit Wodka abgehangen – Blixa Bargeld
stand hinterm Tresen und Leute wie Kenneth Anger im Publikum. So faszinierend
das nach außen hin wirkt, haben Sie diese Zeit jedoch immer als sehr einsam
und destruktiv beschrieben. Blicken Sie niemals mit Wehmut auf diesen Lebensabschnitt
zurück?
Nee, das ist zwar sicherlich eine wahnsinnig faszinierende
Zeit gewesen, aber es war nicht meine Zeit. Jeder hat ja so seine große
Zeit. Für mich waren die Achtziger schon schwer zu durchschauen, weil ich
mich auch selber finden musste und in so einer Art Selbstfindungsprozess auf
der Schwelle zwischen den Siebzigern zu den Achtzigern war.
Ich denke, die ganzen Erfahrungen, die man gemacht hat,
kann man zwar gerne machen und es ist auch okay, die zu machen, aber man muss
sie nicht machen. Man kann Vieles umgehen, weil es damals auch in eine falsche
Richtung ging, wo man erst mal wieder lange zurück gehen musste, bis man
wieder an dem Punkt ankam, wo man dann die richtige Richtung weiter gehen konnte.
Dadurch habe ich Zeit verloren, die mir sicherlich jetzt, wenn ich an den Roman
denke, in gewisser Weise auch wieder genützt hat.
Es war aber ne ganz dunkle Subkultur
damals in Berlin. Das war eine Stadt der 60- bis 80jährigen Kriegswitwen
und eine Insel im Osten. Westberlin war wie ein schwarzes Loch. Du bist irgendwie
komplett absorbiert worden. Und dann breitete sich da halt grell und blütentreibend
eine Berliner Subkultur aus, deren Speerspitzen, wenn man sie sich heute mal
anguckt, eigentlich keine Bedeutung mehr haben. Wer kennt denn heute noch Salome?
Wer kennt heute noch Blixa Bargeld?
Das war eine Welt der gefallenen Halbgötter, die
auf Drogen, Zerstörung und Größenwahn aufgebaut hat unter Verlust
jeglicher Realität. Die Realität war einfach wirklich weg, komplett
ausgeblendet. Und in dieser Blase haben sich dann halt – wenn man sich das heute
anguckt – Sachen entwickelt, die damals eine irrsinnige Faszination hatten,
aber eigentlich keine Bedeutung. Die Achtziger in Berlin hatten auch kommerziell
keine Bedeutung.
Dann gab es auch Sachen wie Extrabreit oder Falco oder so, die dann kommerzieller waren. Die haben auf jeden Fall mehr
bedeutet.
Aber wenn man dadurch gegangen ist, hat man sicher auch
Widerstände erlebt, die einen härter machen, sodass man entweder daran
zerbricht oder erstarkt hervor geht.
Da sind sehr viele Leute wirklich daran zerbrochen. Offenbar
war ich Gott sei Dank doch recht vorsichtig und schlau.
Ich finde, heute hat man leider nicht mehr dieselben
Möglichkeiten wie damals und muss sich in das System zu sehr integrieren.
Du hast wenige Chancen, als Außenseiter rein zu stoßen. Das war
früher anders.
Jetzt haben sich die Industrien so weit ausgebildet,
dass an der Filmhochschule nur die genommen werden, die die technisch perfektesten
Kurzfilme machen. Das ist also in eine ganz andere Richtung gegangen. Früher
konntest du als Außenseiter noch rein in die Gesellschaft mit dieser oder
jener brachialen Idee und damit plötzlich Aufsehen erregen und deinen Weg
gehen. Das ist heute, glaube ich, schwer. Heute bist du sehr, sehr aufs Angepasstsein angewiesen. Du kannst quasi gar nicht mehr anders als
richtig angepasst sein.
Aber heute kann man im Gegensatz zu damals mit nur
wenigen Euro einen Film machen.
Das ist ein Vorteil. Aber das muss dann auch ein Anreiz
für alle Beteiligten sein.
Auf dem Buchmarkt ist es ja teilweise so, dass die meisten
Bestseller in den USA im Internet entdeckt werden. Die gucken sich da die Texte
an und geben dir dann gleich eine halbe Million.
Das geht sicherlich. Ich glaube nur, dass du allein von
der Erziehung her zu einem normierten Denken erzogen wirst, wenn du jung bist.
Du hast eine wahnsinnig kritische Intelligenz und kannst dich gut auseinandersetzen
und siehst dann viel, aber über all dem schwebt dieses Commonsense-Ding.
Bloß keine Fehler machen, bloß nichts Falsches sagen, bloß
nicht unangenehm oder schräg auffallen.
Sie planen einen Film über den Aufstieg Goebbels.
Wäre ich Produzent, würde ich Ihnen die Figur Hermann Göring
nahe legen. Dekadenz, Drogenwahn, Realitätsverlust: Wäre das nicht
ein typischer Roehler-Stoff?
Sie werden lachen. Ich bin gerade mit der Figur Göring
befasst, auch weil das von außen an mich heran getragen wurde. Ich will
mich da aber nicht zu sehr festlegen. Ich bin von dem Goebbels ein bisschen
abgekommen und habe eine Ehegeschichte geplant, so „Szenen einer Ehe“-mäßig.
„Jud Süß – Film ohne Gewissen“ – ist ab dem 24. September 2010 im Kino
Das Gespräch mit Oskar Roehler führte
Fabian Kretschmer für: www.fm5.at
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