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“Es
gibt nicht nur gute Schwule”
Rosa von Praunheim
im Gespräch mit Dietrich Kuhlbrodt
In seinem neuen Film "Männer, Helden, schwule
Nazis" porträtiert Rosa von Praunheim schwule Männer, die sich
als rechts bezeichnen oder eine rechtsradikale Vergangenheit haben. Ewald Althans
etwa, bekannt durch den Film "Beruf
Neonazi" (1993), der wegen Holocaust-Leugnung
im Gefängnis saß und heute in Berlin schwule Partys organisiert.
Der Film wurde bei seiner Premiere während der Berliner Filmfestspiele
2005 kontrovers diskutiert. Das Gespräch fand am 8. Mai im Kino des Deutschen
Filmmuseums statt.
Rosa von Praunheim:
Dietrich, Du warst
doch Staatsanwalt und hast Nazis gejagt? Und hast viele Prozesse recherchiert und geführt.
Dietrich Kuhlbrodt:
Genau, das habe ich 20 Jahre lang gemacht, und ich habe auch tatsächlich
einen Nazi gefangen. (Zum Publikum:) Rosa von Praunheim habe ich ja 1983 kennengelernt,
als ich für den Hanser Verlag ein Buch über ihn geschrieben habe.
Also haben wir uns in seiner Wohnung getroffen. Ich hatte einen Zettel mit Fragen
und war etwas aufgeregt. Dann sagte Rosa: "Zieh dich aus!" – ‚Das
fängt ja nun wirklich gut an’, dachte ich. Und ich tat es natürlich,
also zumindest, um den Oberkörper porträtieren zu lassen. Rosa saß
da, fing an zu malen und sagte: "Ich kann dabei am besten antworten."
Und ich dachte ‚Aha, so läuft das.’ Aber ich hatte so schon ein Thema für
meine Fragen im Kopf: Rosa von Praunheim inszeniert dokumentarisch Leute. Entsinnst
Du dich?
RvP:
Ja, natürlich. Mit einem Nagel im Kopf habe ich dich porträtiert,
Dir so einen großen Nagel in den wunderbaren Schädel geschlagen.
DK:
Stichwort dokumentarische Inszenierung. Wie kam es zu "Männer, Helden,
schwule Nazis"?
RvP:
Ich habe ja sehr viele Filme gemacht über linke, emanzipierte Schwule,
etwa "Einstein
des Sex" über Dr. Magnus
Hirschfeld, der 1897 in Berlin die erste politische Schwulengruppe gegründet
und im Reichstag gekämpft hat für die Abschaffung des Paragraphen
175. Ich hab eigentlich immer versucht, sozusagen die "guten Schwulen",
besonders in den Anfängen der Schwulenbewegung, rauszustellen. Dann habe
ich festgestellt, dass es nicht nur "gute Schwule" gab, sondern auch
immer eine rechte, politische, sehr aktive Bewegung von Homosexuellen. "Männer,
Helden, schwule Nazis" handelt davon, diese Geschichte an Hand einiger
Beispiele darzustellen und vor allem zu fragen: Wie ist das heute, und wie leben
schwule Nazis mit den Widersprüchen, die das mit sich bringt? Hast Du in
deiner Zeit als Staatsanwalt mal schwule Nazis erlebt?
DK:
Wir haben diesen Ausdruck überhaupt nicht gebraucht, das war irgendwie
nicht korrekt. Es gab vielleicht welche, aber wir haben das nicht so als Tendenz
gesehen. Wir sagten, der ist aber komisch drauf, oder der kompensiert was. Aber
wir haben nicht akzeptiert, dass es so etwas gab. In deinem Film sind nun einige
zu sehen, die ihre Homosexualität voll akzeptieren.
Wie stellt man den Kontakt zu den schwulen Neonazis
her?
RvP:
Ich hab mit einer Mitarbeiterin über ein Jahr recherchiert und daran gearbeitet.
Sehr viele haben natürlich erst mal nein gesagt haben, aus unterschiedlichen
Gründen. Ich könnte viele Geschichten erzählen, die ich nicht
erzähle, weil ich inzwischen nicht mehr oute, sondern denke, das sollen
die Leute selbst sagen, wenn sie dazu stehen. Wir haben ja einige gefunden.
Ewald Althans etwa ist aus dem Film "Beruf: Neonazi" von 1993 bekannt,
damals ein großer Skandal.
DK:
Ich kann mich erinnern, dass ich hier in diesem Kino damals bei einer Veranstaltung
mit dabei war, wo es gerade um das Verbot des Films "Beruf Neonazi"
ging. Die Aussagen des Neonazi Althans wurden nicht kommentiert von dem Film.
Aber 1993 bedeutete das noch: Wenn nicht kommentiert wird, dann ist die Öffentlichkeit
gegen den Film, sie will ein Wort des Autors, des Regisseurs, eine Stellungnahme
dazu. Jetzt, 12 Jahre später, in "Männer, Helden, schwule Nazis",
äußert sich Althans erneut. Du persönlich kommentierst den Film
nicht. Ist es heute kein Problem mehr, die Leute sich selbst darstellen zu lassen?
RvP:
Man wird sehen, wie der Film aufgenommen wird. Bei der Berlinale gab es einen
heftigen Vorwurf. Die Kritik hat sich da sehr gespalten. Es hieß, ich
zeige zu wenig Haltung und behandele die Nazis zu nett.
DK:
Die Frage lautet also: Hätte eine Haltung des Regisseurs kommen müssen?
Also ein Kommentar, der quasi aus dem Off sagt, "ich bin für die Verfassungstreue,
für die Grundordnung. Und ich lehne die Nazis ab." Oder ist das heute
gar nicht mehr nötig? Anders gefragt, normalerweise ist es das Fernsehen,
das eine Moderation fordert, sozusagen ein Treuebekenntnis. Hast du die Freiheit
gehabt beim NDR, diesen Film so zu machen wie du ihn gemacht hast, oder gab
es Vorgaben?
RvP:
Es gab keine Vorgaben, aber es gab unterschiedliche Diskussionen bei den Redakteuren.
Die Fertigstellung des Films lag zeitlich kurz vor der Berlinale im Februar,
und es stand auf der Kippe, ob der Film dort gezeigt oder vorher zurückgezogen
werden sollte. Es hat sich dann der Direktor der Filmfestspiele, Dieter Kosslick,
bei den Fernsehgewaltigen eingesetzt. Die haben sich mit mir und einem Justitiar
den Film angesehen und entschieden, den Film zuzulassen. Es gab ein paar Änderungen,
aber damit war ich einverstanden, keine bedeutenden Schnitte. Der Film soll
in diesem Jahr noch in die Kinos kommen und wird nächstes Jahr im NDR ausgestrahlt.
DK:
Du hast das Tauchen in Parallelwelten schon in den siebziger Jahren angefangen.
Daraus ist im deutschen Film inzwischen so etwas wie ein ganzes Genre geworden.
Hier wird die Parallelwelt der deutschen Provinz erkundet, dort die Parallelwelt
in türkischen Gruppen, da gibt’s Filme noch und nöcher. Bei Dir finde
ich bemerkenswert, dass Du immer ein Thema aufgreifst, dass noch weitgehend
nicht auf der Tagesordnung ist. Jedenfalls ist es deine Kunst, die Menschen
zum Reden zu bringen, sie eventuell auch leicht zu provozieren und doch ihr
Vertrauen zu haben.
RvP:
Bei den Interviews hatte ich natürlich Angst. Du triffst dich mit jemand,
der ein bekannter Gewalttäter ist, lange im Knast war. Der rückt dann
mit fünf Leuten an, und du sitzt mit dem in einem anonymen Ort und weißt
nicht, was passieren wird. Ich denke, ich kann inzwischen ganz gut fragen durch
die vielen Dokumentationen, die ich gemacht habe. Außerdem habe ich mich
wirklich für die Menschen interessiert und nicht für das Plakat. Ich
wollte wissen: Wie kommt es zu diesem Widerspruch? Ich war dann erstaunt, wie
offen alle geredet haben. Es liegt sicher daran, dass ich sie ernst genommen
habe und nicht von vorneherein gesagt habe: Ihr seid Abschaum oder eine Diskussion
angezettelt habe. Stattdessen wollte ich erfahren, warum die so denken.
DK:
Der Film illustriert ja keine These. Beim Dokumentarfilm gehört es zur
Normalität, etwas beweisen zu wollen, und der Filmemacher ordnet sein Material
dieser These unter. Du willst etwas hören. Das kann natürlich völlig
verwirrend sein. Für mich als Zuschauer bedeutet das, ich habe eine Fülle
von Material verschiedenster Art und bin gefordert zu sortieren und zu filtern,
was mich vielleicht besonders interessiert. Das unterscheidet "Männer,
Helden, schwule Nazis" massiv von gängigen Dokumentarfilmen.
Dieses
Interview ist zuerst erschienen im Mai 2005 in: epd Film
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