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„Vielleicht
ist das Kino nicht mehr der Ort, von wo gesellschaftliche Veränderungen
ausgehen.“
Interview
mit Christian Petzold zu „Jerichow“
UK: Ich habe kürzlich mit Wim Wenders
gesprochen, der mir von der ungewöhnlichen Premiere von „Jerichow“
auf dem Filmfestival von Venedig erzählte. Das muss schlimm gewesen sein.
CP: Es war unglaublich. Die Vorführung
war ausverkauft, aber es war niemand da, weil gleichzeitig eine glamouröse
Parallelveranstaltung von „Valentino“ stattfand. Jeder Film wird in Venedig
immer zweimal gezeigt: Einmal gibt es die teure Premiere und dann noch gleichzeitig
eine zweite Vorstellung, wo jeder rein darf. Der Film selbst wurde schon intensiv
diskutiert, aber zwischen dem Diskurs und der Festivalrealität tat sich
ein Abgrund auf. Da gab es den roten Teppich und schöne Kleider und alles,
aber drinnen war der Saal dann nur zu einem Drittel gefüllt. Dem Film hat
das nicht geschadet, aber für uns, die Macher, war das schon eine herbe
Enttäuschung. Es war ja eine richtige Premiere, wir hatten den fertigen
Film alle noch nicht auf einer richtigen Leinwand gesehen, denn die Dreharbeiten
waren erst kurz zuvor abgeschlossen worden. Und dann diese furchtbaren Umstände
– das hängt mir immer noch ein bisschen nach…
UK: Wie ist der Film denn international
angekommen?
CP: Nachdem, was ich so gehört habe,
was mir zugetragen wurde, sehr gut. Die Leute, die mit dem Film Geld verdienen
wollen, der Weltvertrieb und so, die waren sehr zufrieden. Ich google meiner
Arbeit selbst nicht hinterher, da schäme ich mich immer.
UK: Wird denn im Ausland immer noch wahr genommen, dass jetzt eine neue Generation von Filmemachern
anders erzählt?
CP: Seit „Yella“ internationalisieren sich meine Filme
zusehens, d.h. ich werde kaum noch als Vertreter einer bestimmte Schule oder
Richtung wahrgenommen.
UK: Mir ist aufgefallen, dass in letzter
Zeit gerne süffisant darauf hingewiesen wird, wenn vom jungen deutschen
Film die Rede ist, dass du ja mittlerweile auch schon fast so alt bist wie Thomas
Meinecke oder Diedrich Diederichsen. Irgendwann kommt man mit jung nicht mehr
durch.
CP: (lacht) Godard hat seinen ersten Film
auch erst mit 30 gemacht und sagt, dass das sein erstes Lebensjahr war. Vielleicht
hat es ja damit zu tun. Ich fühle mich nicht als junger deutscher Film.
Aber vielleicht hängt es damit zusammen, dass der deutsche Film so lange
auf der Stelle getreten ist, dass man dachte, jede andere Form von Kino müsse
jung sein.
UK: Man hat ja manchmal die Befürchtung,
dass das, was man mal als „Berliner Schule“ bezeichnete, schon wieder vorbei
sein könnte – ohne sich durchgesetzt zu haben.
CP: Tja, vielleicht ist das Kino nicht
mehr der Ort, von wo gesellschaftliche Veränderungen ausgehen. Vielleicht
hat die so genannte Berliner Schule auch nicht die Gesichter und Körper
– Belmondo, Deneuve, Moreau – hervorgebracht, die als Mainstream-Bilder oder
-Ikonen taugen. Man denkt, wenn man von Bewegungen redet, ja immer an die Veränderung
der Welt, aber vielleicht wollte diese Bewegung ja gar nicht die Welt verändern.
UK: Immer, wenn ein neuer Film von dir
in die Kinos kommt, gewährst du uns als Teaser einen Blick in die Werkstatt.
Diesmal ist es „Wenn der Postmann zweimal klingelt“, mehrfach verfilmt, eine
Kriminalgeschichte von Armut und Sex.
CP: Teaser? Finde ich nicht. Ich würde
es als Logbuch bezeichnen, das berichtet, wie es zu diesem Film kam.
UK: Ich meine nur, dass dieses Vorgehen
uns Kritikern die Pointe nimmt, irgendwann schlau zu rufen: Hallo! Der Postmann
klingelt zweimal.
CP: Pointenkino mag ich nicht. Ich zeige
offen, was mich beschäftigt hat. Da gibt es keine Ur-Referenz zu Entdecken.
Ich bin kein Quizmaster. Sondern ich sage: Die Ur-Referenz steht, genießt
das, was daraus gemacht wurde.
UK: Aber detektivische Energie will fließen.
Ist das Geheimnis gelüftet, beginnt sofort die Suche nach mehr, nach Sub-
und Metatexten.
CP: Genau! Das ist mir recht.
UK: Dann handelt es sich um eine doppelte
Abstraktion: der Blick und die Werkstatt und die Reduktion auf ganz wenige Figuren.
Wobei mir die seltsam heraus gehobene, fast surreale Exposition mit André
Hennicke ganz toll gefallen hat!
CP: Ursprünglich wollten Harun Farocki
und ich zu Beginn von „Jerichow“ das Ende eines anderen Films erzählen.
Fast zehn Minuten geht es um Illoyalität, Verrat und das Ende einer Freundschaft
– und dann taucht die Figur des Freundes nicht mehr im Film auf. Aus dem Ende
erwächst eine weitere Geschichte. So war der Plan!
UK: Wenn man „Jerichow“ als utopischen
Entwurf einer Freundschaft und Liebe zu dritt sieht, bei der einer den beiden
anderen alles gibt, was die brauchen, dann ist in der Figur des Verräters
bereits das Ende der Utopie vorweggenommen.
CP: Ja, das kann man so sehen. Aber einem
Verräter bei der Arbeit zuzuschauen, finde ich im Kino immer interessanter
als jemandem zuzuschauen, der so tut, als ob er keiner wäre. Ich mag sehr
gerne, einem Bankraub mit allen handwerklichen Details zuzuschauen, weil es
auch eine Arbeit ist. Arbeit sollte man nicht verstecken.
UK: Wir erfahren von der Figur, die Benno
Fürmann spielt, nicht viel, aber immerhin: Soldat in Afghanistan und unehrenhaft
entlassen. Sind diese Informationen bereits als Charakterzug der Figur zu verstehen?
CP: Das ist schon Charakterzug, ja. Es
ist für den Schauspieler sehr wichtig, sich die Figur zusammen zu setzen.
Dieser Satz ist ja rudimentär, der fällt auf dem Arbeitsamt. Das ist
nicht viel. Ich habe früher gerne Gerichtsreportagen gelesen. Da erfuhr
man über die Täter auch nicht viel, aber man füllte als Leser
die Leerstellen auf. Das mag ich auch im Kino. Wenn die Figuren nicht vollständig
entworfen werden, sondern eher skizziert. Benno Fürmann hatte natürlich
eine mehrseitige Biografie der Figur von mir bekommen, aber nur als Vorlage
für die Physis der Figur.
UK: Ich habe die Figur nicht als »kriminell«
empfunden, sondern eher als schwach. Fürmann lernt im Laufe des Films,
sich seine Wünsche und Träume zuzugestehen, was allerdings bedeutet,
dass er Ali verraten muss.
CP: Als Harun Farocki und ich anfingen,
hatten wir „The Postman Always Rings Twice“. Mit der blonden Frau und den Rollenmustern
der vierziger Jahre, wo Männer sich im Spinnennetz der kalten Verführerinnen
verstricken. Das kann man heute nicht mehr machen. Nur als Retro-Angelegenheit.
Also bekommt die Frau bei uns einen eigenen Erzählstrang. Dadurch wird
das ein richtiges Dreieck, eine kleine Gesellschaft – und nicht bloß eine
männliche Projektion. Genau dann, als die Frau eine eigene Geschichte bekommt,
kommt Benno Fürmann daher und packt ein ganz traditionelles Rollenverständnis
aus. Da wird der Mann, der bislang so geheimnisvoll schien, plötzlich zu
einem Mann, wie es ihn seit Jahrhunderten gibt. Da ähnelt er plötzlich
Ali, der sich die Frau gekauft hat, weil er die Frau über Liebe kaufen
will. Aber die Frau sagt: Wenn ihr mir Häuser baut, dann sind das meine
Gefängnisse. Da reagiert der verwundete Soldat dann verwirrt.
UK: Ich fand es erstaunlich, wie kindlich
die Figuren agieren. Regressiv wäre das richtige Wort dafür. Nicht
nur die Angestellten von Ali, die versuchen, den Chef zu bescheißen, sondern
auch Ali selbst, der seine Frau wie ein tolles Spielzeug präsentiert.
CP: Oder wie ein Mann seinen neuen BMW:
»Komm her! Kannst auch mal ne Runde mit drehen!«
Diese Buddy-Scheiße ist letztlich stärker als die Angst, die Frau
zu verlieren.
UK: Mir schien
die Figurenkonstellation und die Handlung letztlich fast wie eine Tugendprobe.
Würden Benno und Nina es schaffen, Hilmi eine Heimat zu geben? Sie scheitern
daran.
CP: Dieser Gedanke steckt da sicher drin.
Es geht vielleicht auch um die Vertreibung aus dem Paradies.
Das Gespräch mit Christian
Petzold führte Ulrich
Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: MEIER – Stadtmagazin Mannheim/Heidelberg
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