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"Das ist Zensur in diesem Land!"

 

 

Am 5. November 2009 läuft „Blutsfreundschaft“, der neue Film des Wiener Regisseurs und Schauspielers Peter Kern, im Stadtkino (Wien) an. FM5 traf ihn zum Gespräch über Ambitionen als Politiker, Helmut Bergers Starallüren, und seine Beziehung zu Österreich.

 

FM5: Sie sind einer der höchstdekorierten Schauspieler Österreichs. Als Regisseur werden Sie in ihrem Heimatland jedoch eher als „Trash“ abgestempelt. Stört sie der Begriff oder fühlen sie sich wohl in ihrer Außenseiterrolle?

 

Peter Kern: So habe ich mich nie benannt – weder als Trash noch als Außenseiter. Diese Attribute sind nur Hilfsmittel der Journallie, die nicht anders kann. Es ist einfacher, jemanden einen Stempel aufzutragen, als zu argumentieren, warum der Film so ist. Stets versuchen wir in der Rezeption jemanden einzuordnen: Das ist Trash, das ist hohe Kunst, das ist niedrige Kunst oder was auch immer. Meine Filme sind aber nicht einzuordnen, weil jeder Film anders ist: In der Form anders, in der Erzählweise anders und im Engagement anders. Ich lebe auch jeden Film anders.

 

Aber sie haben keine Berührungsängste mit dem Trivialen?

 

Nein, weil ich eine Kitschliesel bin und auch ein trivialer Mensch. Ich sehe trivial  nicht als negativ besetzt. Trivial ist für mich eine große menschliche Fügung. Ich komme aus einer ganz einfachen Struktur und das Triviale ist das Einfache, für mich auch das Klare und das Echte. Ich sehe im Trivialen nicht irgendeine Verlogenheit, sondern die Wahrheit.

 

Sie arbeiten immer an mehreren Projekten gleichzeitig. Die Liste ihrer abgelehnten Filmförderungen ist endlos. Was landet im Papierkorb von Peter Kern?

 

Ich hab in meiner Schublade noch ein Projekt namens „Brüderlein und Schwesterlein“. Das habe ich damals mit Kurt Raab geplant, der rechten Hand von Fassbinder. Mit dem hatte ich eine eigene Filmproduktion. Und am Totenbett, als er schon erblindet ist, musste ich versprechen, dass ich dieses Projekt mache. Das ist ein ganz ganz schwieriges Erbe, dieses Versprechen zu halten. Das war mir damals natürlich nicht bewusst und ich hab es sofort versprochen. Mittlerweile arbeite ich jetzt im 14. Jahr an der Finanzierung.

 

Weil der Stoff so kontrovers ist?

 

Nein, weil der Film so teuer ist. Er spielt in einer Zeitspanne von über drei Jahrzehnten in Deutschland, einem kleinen Ort in den Bergen, wo eine Zigeunerfamilie lebt. Die Handlung beginnt während des Krieges und erzählt, wie die Familie mit der Dorfgemeinschaft kommuniziert und sie sich allmählich gegenseitig anfeinden. Anhand einer konkreten historischen Situation wird gezeigt, wie der Humus der Ausländerfeindlichkeit gelegt wird. Außerdem geht es um das Thema böser Kinderfantasien.  Mit dem Buch bin ich dann hausieren gegangen, ich muss ja immer noch an alle Türen klopfen. Ich kriege nichts in die Wiege gelegt, sondern muss immer wieder von vorne anfangen. Vielleicht wird das Projekt aber bald realisiert. Novotny und Novotny (Anm.: Produktionsfirma) haben das Buch gelesen und wollen das machen. Was Konkretes kann ich dazu allerdings noch nicht sagen – es gibt auch noch keine Verträge.

 

Sie haben in ihrer frühen Karriere bereits als Schauspieler mit Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders und Werner Schroeter zusammen gearbeitet. Welcher dieser Künstler hat sie im Hinblick auf ihre Regietätigkeit am meisten inspiriert?  Gab es eine Schlüsselperson, bei der sie am meisten ‘lernen’ konnten?

 

Nein, weil ich immer dachte, dass ich es besser weiß als die anderen und deshalb bin ich dann auch Filmregisseur geworden.

 

Wim Wenders war mir zu langweilig. Der fuhr immer nur durch die Gegend, bis er dann endlich die Kamera gezückt hat. Was mich so wahnsinnig gemacht hat: Wim Wenders hatte immer ein großes Budget zur Verfügung, das auch immer verdreht, aber von den 50.000 Metern Material waren dann nur noch 2.000 im Film. Ganze Szenenblöcke waren gar nicht mehr vorhanden. Diese Verschwendungssucht, dieser Größenwahn war mir immer irgendwie obszön.

 

Wenn mich was fasziniert hat, dann war es die Arbeit mit Fassbinder, weil ich seine Genialität bewundert habe, auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig denken zu können. Eines Abends saßen wir zum Beispiel in Frankfurt und haben uns gestritten, weil er mir am Vortag vor Jeanne Moureau die Gläser herunter gerissen und zertrümmert hat. Mir war das furchtbar peinlich, weil alle gelacht haben und überhaupt fand ich es unmöglich, so mit mir umzugehen. Wir haben diesen Konflikt dann ausgetragen in Form eines Streites und gleichzeitig hat er Dialoge geschrieben für „Berlin Alexanderplatz“.

 

Außerdem hat Fassbinder nie die Drehorte im Vorhinein besucht. Der Ausstatter sollte zwar alles genau vorbereiten, aber die Kreativität ist immer erst vor Ort gekommen. Im Gegensatz zu Hitchcock, bei dem jede Einstellung vor Beginn des Drehs schon bis ins Detail feststand. Der konnte eigentlich sterben und der Film hätte genauso ausgeschaut.

Dass es nur die erste und zweite Einstellung gibt, ist bei mir meistens auch so. Nach meiner Erfahrung kommt oftmals nichts an die erste Einstellung ran, auch wenn ich fünf oder sechs Einstellungen drehe, komme ich immer wieder auf die Erste oder Zweite zurück.

Wenn eine Szene das erste Mal gespielt wird, wird sie am wahrhaftigsten gedacht. Durch die Wiederholung, die Reproduktion, entsteht auch eine Verflachung des Denkens. Etwas Gewohntes stellt sich dann ein. (Demonstriert seine These, indem er dem Fotografen zweimal mit seiner Hand einen Kuss zuschickt.)

Ich nehme von jedem Regisseur etwas mit. Man lernt in allen Filmen in denen man spielt, auch von den schlechten Regisseuren, von denen im Endeffekt sogar noch mehr. Ich sammle das dann in meinem Hirn und mach das Eigene daraus.

 

Helmut Berger, einer der Hauptdarsteller von "Blutsfreundschaft", hat in einem Interview gesagt, dass er das gesamte Drehbuch umgeschrieben hätte. Wie hat sich das auf die gemeinsame Zusammenarbeit ausgewirkt?

 

Helmut Berger hat auf niemanden gehört, nur auf mich. Das ist die Wahrheit. Er hat seine Attitüde gespielt, seine Starnummer gegenüber der Produktion bis hin zu Austern im Zimmer, aber ich hab ihn immer wieder auf den Boden gebracht.  Das war nicht durch Autorität, sondern im Sinne des Films, weil er gut sein und mich nicht enttäuschen wollte.

 

Nicht aus Eitelkeit?

 

Nein, bei mir hat er die Eitelkeit abgelegt, weil er wusste, dass sie nicht ankommt. Während der Dreharbeiten hat er mich immer mit Tinto Brass, diesem italienischen Regisseur verglichen, das muss auch so ein Dicker gewesen sein. Manchmal kam auch: „Visconti hätte das jetzt genauso gemacht.“ oder „Das ist aber jetzt gar nicht gut.“ Er hat schon seine eigene Meinung beim Drehen, aber wenn er im Interview sagt, er hätte das Drehbuch umgeschrieben, dann hat er ganz einfach fantasiert oder zu viel getrunken. Ist ja auch wurscht, er kann sagen, was er will. Öffentlich kann er alles sagen. Wichtig ist nur, was er zu mir sagt und was er tut. Alles andere wird irgendwo im Rauch der Vergänglichkeit verschwinden.

 

Die umstrittene Werbekampagne für „Blutsfreundschaft“, in der sie unter anderem in Zeitschriften gefakte rechtsextreme Wahlwerbungen (der im Film vorkommenden Partei) in Magazinen inseriert haben, kann man als Parodie auf die Mediengesellschaft deuten. War das ihre Idee oder die der PR-Agentur?

 

Das wollten wir immer schon so machen. Das ist die direkte Verbindung zwischen Kino und Leben. Dass die Gewista meine Plakate nicht ausdruckt, ist ja wie bestellt. Das zeigt doch, wie die Verhältnisse sind in diesem Land. Unser Film erklärt schon durch die Kampagne, dass da was dran ist an den Themen. Die Gesellschaft entlarvt sich, wenn die Gewista sagt: „Wir zeigen den Herrn Strache und sein ‘Dahoam statt Islam’“, aber unsere Plakate drucken sie nicht. Das ist Zensur in diesem Land. Das ist Unterdrückung der Kunst, das muss man klar aussprechen und dagegen muss man auf die Straße gehen. Aber wir dümpeln ja nur rum, weil Kultur bei uns sowieso keine Bedeutung hat und mit Kunstgewerbe verwechselt wird.

 

Welche persönlichen Konsequenzen hätte es für sie und auch ihr künstlerisches Schaffen, wenn Strache nächstes Jahr Wiener Bürgermeister wird?

 

Furchtbar wär das! Wissen sie, ich kandidiere selber für die Grünen, schauen sie mal auf ichkandidiere.at.  Da können sie auch mein Wahlprogramm nachlesen. Am 15. November wird gewählt, wer überhaupt kandidieren darf für die Grünen und danach können wir weiter sehen.

 

Denken sie wirklich, dass sie mit Kunst die Welt verändern können?

 

Nein, deshalb gehe ich ja in die Politik, weil ich merke, dass mit Kunst hier in diesem Hausmeisterstaat nichts veränderbar ist. Thomas Bernhard hat sich deswegen schon das Leben genommen, genau wie Johann Nestroy. Alle leiden sie, die wirklich was verändern wollen in diesem Land. Man kann nur am Hebel der politischen Macht etwas ändern.

Ich gehe in die Politik, um die Kunst zu ermöglichen. Ich bin ein Quereinsteiger – ein Künstler, der Kulturpolitik macht. Das ist die Chance, die dieses Land hat.

 

Sie wohnen in der Großfeldsiedlung und erzählen immer wieder davon, wie isoliert und unglücklich sie dort sind. Brauchen sie das Leiden als kreativen Motor?

 

Da ist was dran. Wenn ich wirklich glücklich und verliebt wäre, dann würd ich ja nur mehr fressen, lieben, fernschauen und Urlaub machen. Aber in einer extremen Situation im 6. Stock, wo man sich so ein bisschen wie im Gefängnis fühlt, da kann man nur mehr überlegen und nachdenken, wie die Situation ist.

 

Ist ihr Verhältnis zu Österreich eine Hass-Liebe oder einfach nur Hass?

 

Ich denke, dass Hass nicht intelligent ist. Hass ist ein Ausdruck, der nichts bringt. Da kann nur Gegenhass entstehen. Ich habe das Thema in meinem neuen Film verarbeitet, „King Kongs Tränen“. Es geht um die Auseinandersetzung zwischen Kunst und Rezeption als Metapher für ein gesellschaftliches Bild. Gerade habe ich 50 Minuten fertig geschnitten. Der Film muss unbedingt bis nächsten Donnerstag (Anm.: Kinostart von „Blutsfreundschaft“ in Österreich) fertig werden. Immer bevor ein Film rauskommt, muss bereits ein neuer entweder finanziert oder am Machen sein.

In „King Kongs Tränen“ beschäftige ich mich genau mit diesem Thema. Den schauen sie sich am besten an und dann stellen sie mir wieder neue Fragen.

 

Die Fragen stellte Fabian Kretschmer.

 

Dieses Interview ist zuerst erschienen in: http://fm5.at/

 

Homepage von Peter Kern: http://www.peterkern.net/

 

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