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Paranoia
des Kampfes
Gleich drei Berlinalefilme reflektieren über
gebrochene Helden in mystisch verklärten Kriegswirklichkeiten: Steven Soderberghs
Film „The Good German“, Robert de Niros "The Good Shepherd" und Clint
Eastwoods "Flags of our fathers".
Gleichgültig, was geschieht und wie es ausgeht,
wenn so etwas überhaupt »ausgehen« kann: Der Krieg im Irak
ist für die amerikanische Gesellschaft und für ihre Bestimmung in
der Welt ein Desaster. Und ein Desaster ist, was er hinterlassen wird. Doch
anders als im Fall von Vietnam ist die Folge nicht ein scharfer Bruch der Kulturen,
Generationen und politischen Lager, sondern vielmehr eine allgemeine Stimmung
von Skepsis und Selbstbesinnung. Nicht der Zorn, sondern die Trauer überwiegt.
Wie die »Vietnamisierung« des amerikanischen Kinos in den siebziger
Jahren einen Sturm der blutigen, schmutzigen und zerrissenen Bilder hervorbrachte,
so bringt die »Irakisierung« Bilder der Lähmung, der Ohnmacht
und der Folter hervor, im Kriegs- wie im Horrorfilm, im Blockbuster wie im Trash-Movie
– Fremdheit.
Aber noch etwas anderes geschieht. Das amerikanische
Kino reflektiert nicht nur die drückende Gegenwärtigkeit eines Krieges
in der Fremde; wir sehen auch ein Kino der historisch-politischen Reflexion
entstehen, eine filmische Suche nach den Ursachen der Schmerzen. Dem »vietnamisierten«
Kino ging es darum, die amerikanischen Mythen in die Luft zu sprengen oder in
den Staub zu werfen (nachzuprüfen übrigens an den Filmen von Arthur
Penn, dem die Berlinale ihre Hommage widmet). Dem »irakisierten« Kino dagegen
geht es darum, hinter die Oberfläche der Mythen zu sehen, die Täuschungen
zu durchdringen, um dahinter Menschen und Verhältnisse sichtbar zu machen.
Das Desaster der Gegenwart ist nur zu überwinden, wenn in einem Prozess
der ehrlichen Selbstbefragung die Geschichte des Landes neu geschrieben wird.
Im Kino zuerst – das versteht sich in einer visuell geprägten Kultur.
Drei Filme dieser historischen Dekonstruktion sind
im Wettbewerb der Berlinale zu sehen. Sie sind sehr unterschiedlich in ihrem
künstlerischen Temperament. Aber sie zeigen auch überraschende Übereinstimmungen:
Vielleicht sind es ja wirklich nicht nur einzelne Filme, sondern Beispiele eines
neuen amerikanischen Kinos, das die Welt nicht mehr überwältigen,
sondern verstehen will. The
Good Shepherd von Robert De Niro
erzählt von der Entstehung des amerikanischen Geheimdienstes CIA am Ende
des Zweiten Weltkrieges und während des Kalten Krieges. Sein Protagonist,
der von Matt Damon verkörperte Edward Bell Wilson, hat sein Vorbild in
James Jesus Angelton, der die CIA-Spionageabwehr von 1954 bis 1974 leitete.
Aber mehr noch stellt er einen amerikanischen Archetypus dar: Im Zentrum der
informellen Staatsmacht steht ein farbloser Durchschnittsmensch, der versucht,
nützlich und ein »guter Amerikaner« zu sein – und bei diesem
Versuch ein wahres Monster wird.
Die Handlung springt hin und her zwischen der Gründerzeit
der CIA, der Agententätigkeit im Kalten Krieg, der desaströsen Invasion
in der Schweinebucht 1961 und der Konsolidierung eines Staates im Staat mit
29.000 offiziellen Mitarbeitern. Sie mäandert zwischen Einsätzen,
Büroarbeit und Privatleben, was bei aller Anstrengung Wilsons nicht voneinander
zu trennen ist, sondern sich zunehmend katastrophal verflechten muss. Wie auch
Clint Eastwoods Flags
of Our Fathers verweigert der
Film die Sinnstiftung einer linearen Erzählung, und um eine simple Fehlersuche
in der Geschichte geht es auch nicht. Aber durch die historischen Distanzierungen
erhalten die Bilder ihr Bewusstsein: Immer sieht man die Bilder einer Zeit mit
dem Wissen einer anderen. Der rote Faden der Handlung ist der Verlust des Vertrauens.
Am Ende kann niemand mehr irgendjemandem trauen.
The Good German
von Steven Soderbergh führt ins besetzte Berlin des Jahres 1945. Jake Geismer
(George Clooney) kommt als Kriegskorrespondent, desillusioniert und verbittert
wie viele seiner Generation nach den Erfahrungen des Krieges, um über die
bevorstehende Friedenskonferenz von Potsdam zu berichten, wo ein neues demokratisches
Europa aus den Trümmern gebildet werden soll und in Wahrheit die Welt als
Beute verteilt wird. Aber Jake ist auch in eigener Sache unterwegs; vor dem
Krieg hat er hier ein Nachrichtenbüro geleitet und war in Lena (Cate Blanchett)
verliebt. Sein Fahrer, Corporal Tully (Tobey Maguire), äußerlich
der typische naive Junge aus dem mittleren Westen, ist in Wahrheit in schmutzige
Geschäfte mit allen Seiten verwickelt. Er ist der Mensch, der im Krieg
zum Kriminellen geworden ist; eine erschreckende Figur. Tullys Freundin ist
ausgerechnet Lena Brandt, die Frau, die Jake einst geliebt hat und die nun hofft,
mit Hilfe Tullys aus Berlin herauszukommen. Tullys neuer Deal aber ist eine
Nummer zu groß: Mit 10.000 Mark und einer Kugel im Kopf wird er in der
russischen Zone aus dem Wasser gefischt.
Seltsamerweise scheinen weder die Russen noch die
Amerikaner besonders interessiert an einer Aufklärung des Falls, und so
wird Jake zum Detektiv der Geschichte und zum Detektiv in eigener Sache: Lena
verbirgt ihren Mann, der wegen seines Wissens um die fortgeschrittene Raketentechnik
für alle Seiten interessant ist, sie verbirgt ihre wahren Motive für
die Flucht aus der Stadt, und sie verbirgt ihre Schuld, bis zum Schluss. Jake
sucht hartnäckig nach der Wahrheit und findet sie nicht. George Clooney
aber, der Schöne der Leinwand, wird vom Beginn der Handlung an nur zerschlagen,
verdreckt, ramponiert, belogen und gedemütigt. Sein persönlicher Preis
für die Dekonstruktion der Kinobilder.
Die Briefe von Iwo Jima, die dem dritten Film den
Titel geben, wurden niemals abgeschickt, sondern im schwarzen Sand der Insel
gefunden von Archäologen, die ein wenig in der japanischen Geschichte graben.
Nach Flags of Our Fathers legt Clint Eastwood mit Letters
from Iwo Jima (der im Wettbewerb
der Berlinale außer Konkurrenz läuft) ein Gegenstück vor. Nun
sieht man von der anderen Seite die amerikanische Invasion als eine Kraft des
Eindringens und der Bedrohung. Im ersten Film dekonstruiert der Regisseur ein
Propagandabild, im zweiten einen Begriff: to
die with honor. Das ist das Leitmotiv
der Offiziere und Soldaten, die die Insel gegen einen überlegenen Feind
verteidigen. Fast alle versuchen, einen ehrenvollen Tod zu finden, und in Wahrheit
gelingt es niemandem.
Ein genereller Perspektivwechsel ist in diesen Filmen
zu beobachten: Die eigene Geschichte, die man etwas genauer ansieht, schaut
sehr fremd zurück. Die Verbrechen, die man dem Feind unterstellte, hat
man selber begangen. Die Bilder, die alles erklärten und alles zusammenhielten,
erweisen sich als Fälschungen. Die Filme beschreiben die inneren Desaster
des Krieges. Statt des ehrenvollen Todes wird das unwürdige Sterben gefunden.
Statt der Wahrheit, die Jake Geismer in The
Good German aufspüren will,
um sich wenigstens eine Spur reiner zu fühlen, wird noch der Rest seiner
romantischen Erinnerung zerstört. Statt das Vaterland und die Familie zu
schützen, wird beides in der organisierten Paranoia von Spionage und Gegenspionage
verloren. Man versteht: Die militärische Geste in die Welt produziert das
Gegenteil dessen, wofür sie gedacht schien. Es geht nicht allein um die
offensichtlichen Bezüge dieser Dialektik zur Gegenwart, sondern auch um
die strukturelle Wiederkehr. »Wer die Gegenwart verstehen will, muss wissen,
was in der Vergangenheit geschah«, sagt Richard C. A. Holbrooke, US-Botschafter
bei den Vereinten Nationen und Berater bei The
Good Shepherd.
In allen drei Filmen gibt es Schlüsselbilder,
die in ihrer Heftigkeit in jedem anderen Kontext den Tatbestand »antiamerikanischer
Propaganda« erfüllen würden. In Letters
from Iwo Jima sehen wir zwei japanische
Deserteure, die von amerikanischen Soldaten bewacht werden. Einem dieser fällt
dann »etwas Besseres« ein, er erschießt die Gefangenen, trotz
ihres verzweifelten Flehens. Die Reaktionen der Beteiligten reichen von fasziniertem
Entsetzen bis zu zustimmender Gleichgültigkeit. In The
Good Shepherd blickt Wilson mit unbewegter
Miene durch die Einwegscheibe, während ein russischer Überläufer
von CIA-Beamten auf fürchterliche Weise gefoltert wird. Und in The Good German
schlägt Tully in der besinnungslosen Gewalt eines Scorsese-Gangsters den
Mann nieder, der seine Geschäfte stört.
In allen drei Filmen gibt es aber auch Gegenbilder
zu diesen verstörenden Szenen: In Letters
from Iwo Jima erkennen die japanischen
Soldaten, während ein junger Amerikaner, tödlich verwundet, versorgt
wird, wie falsch die Propaganda war, die im Feind nur den Unmenschen sah. In
The Good Shepherd
löst sich für einen Moment, in der Umarmung zwischen Vater und Sohn,
die emotionale Erstarrung. Und in The
Good German ist George Clooney für
einen Augenblick glücklich, als er glaubt, einen Menschen gerettet zu haben.
All das kommt zu spät in den Geschichten, und es rettet doch den Rest des
Menschlichen in ihnen.
Alle drei Filme benutzen Elemente von Verfremdung
und Übermalung, von düsterer Ironie sind schon die Titel. Und jedes
Mal ist das Prinzip der Verfremdung zugleich ein Mittel zur Herstellung von
Authentizität. The Good German zeigt sich in historisierendem Schwarz-Weiß
(auch wenn es sich in Wahrheit um entfärbtes Farbmaterial handelt), aufgenommen
mit der Kameratechnik aus dem Jahr 1945; der Schauspielstil entspricht den theatralischen
Gesten der vierziger Jahre, und nicht nur in der Gestaltung des Plakats und,
natürlich, der Abschiedsszene auf dem Flughafen spielt Soderbergh auf den
dunklen Romantizismus von Casablanca an – Dekonstruktion zugleich von Geschichte und
Filmgeschichte. Letters from Iwo Jima ist ein Film in japanischer Sprache, das heißt
nicht nur für die meisten unverständlich, sondern auch mit einer fremden
Klangwelt. Und er ist ausgebleicht in fahlen Farben, in denen einzelne Signale
unwirklich werden. Szenen, die wir aus Flags
of Our Fathers kennen, werden in
Letters from Iwo Jima erst verständlich, indem sie von der anderen
Seite her gesehen werden.
The Good Shepherd
schließlich ist ein Film, der bewusst die Regeln der traditionellen Identifikations-
und Spannungsdramaturgie Hollywoods missachtet. Alles, was wir aus Agentenfilmen
und Kalter-Krieg-Thrillern kennen, wird auf eindringliche Weise negiert: statt
Heldentum wird Brutalität, aber auch: statt Dynamik Stillstand gezeigt.
Matt Damon, der »gute Hirte«, führt die Herde in den Abgrund,
ohne je als Subjekt besonders böse oder dumm zu erscheinen. Aber um ihn
herum erkalten die Bilder.
Alle drei Filme, so scheint es, hegen ein tiefes
Misstrauen gegen Bilder, auch gegen die eigenen. Diese Filme haben sich jegliche
Nostalgie, jede Heimatlichkeit und jedes Pathos ausgetrieben. Sie interessiert
das maschinelle Wesen in der Geschichte: Bei Eastwood wird nicht nur die Kriegsmaschine
»bedient«, und zwar auf sehr unterschiedliche Weise von Japanern
und Amerikanern, der Krieg selber offenbart ein maschinelles Wesen. Die CIA
ist in The Good Shepherd eine sich selbst reproduzierende und erweiternde
Maschine. Und kein Mensch in The Good
German kann vollständig das
Interessengeflecht durchschauen, in dem sich die Figuren bewegen.
Das Kino, das in seiner maschinellen Traumfabrik-Form
den Bruch zwischen Mensch und Geschichte, zwischen Story und History verschwinden
ließ, macht ihn in Filmen wie diesen sichtbar. Und es definiert dabei
den Raum seiner Verantwortung. Die Geschichte, die Gesellschaft, das Militär,
die Kommunikation, das Bild, die Sprache – das alles sind vielleicht unbarmherzige
Maschinen. Der Mensch ist es in diesen Filmen nicht.
Georg Seeßlen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: DIE ZEIT vom 08.02.2007
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