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Buchbesprechung:
Enno
Patalas (Hrsg.): Friedrich Wilhelm Murnau. Südseebilder.
Mit leidenschaftlicher Akribie hat Enno Patalas,
lange Jahre Direktor des münchner Filmmuseums, aufbereitet und kommentiert,
was Friedrich Wilhelm Murnau zu seinem letzten Film, "Tabu" (1931),
nachgelassen hatte. Zum erstenmal ist das Konvolut aus Reiseaufzeichnungen,
Fotos, einem Drehbuch des Südseefilms (Continuity) und anderen Aufzeichnungen
vereint. Das Material war kürzlich einschließlich des Films selbst
von Murnaus Nichte der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung übergeben worden,
die es dann als Dauerleihgabe dem Filmmuseum Berlin überließ.
Die Hälfte des sorgfältig und liebevoll editierten Bandes nimmt der Entwurf des Films, das vollständige und von Patalas aus verschiedenen Quellen zusammengepuzzelte und übersetzte Drehbuch und die Beschreibung der von Murnau bekanntlich nicht narrativ konzipierten "Tabu"-Sequenzen ein.
Die andere Buchhälfte bettet die schriftlichen
und fotografischen Überlieferungen von Murnaus Südseereise in die
Entstehungsgeschichte des Films ein. Überaus anschaulich und durchaus persönlich
wird auch die scheiternde Beziehung Murnaus zum Produktionssystem Hollywoods
wiedergegeben, die Unmöglichkeit der Zusammenarbeit mit Robert Flaherty,
dem realistischen Ethnographen, und dem Gestalter innerer Bildwelten, Murnau.
Nach seinem Tod (1931) kam der Film in verkürzter Fassung in die Kinos.
Zu lesen sind die Kapitel "Good-bye Hollywood"
wie alle anderen Versuche, Südseeträume zu materialisieren, mit Genuss
und Anteilnahme. Patalas hält sich mit Wertungen zurück, er offeriert
reiches zeitgenössisches Material, Berichte, Fotos, Briefe, Zeitungsmeldungen
zutreffender oder fehlerhafter Art. Ein gründlicher und auch Leserinteressen
berücksichtigender Anmerkungsapparat ergänzt die "Südseereise".
Selbst geographischer Wissensdurst wird befriedigt. Kein Leser muß Google
aufrufen oder gar den alten Brockhaus aufschlagen, um den Standort der Insel
Fatu Hiva zu definieren.
Sehr schön, spannend und souverän entfaltet
sich im Buch die Visionskunst Murnau, die Träume wahrzumachen angetreten
war. Nicht zuletzt die aus verschiedensten Quellen gespeisten Selbstzeugnisse
machen Murnau selbst posthum zum Autor des Bands. Patalas zieht sich auf die
Rolle des Bearbeiters zurück. Herausgeber hieße das anderswo. Die
"Südseebilder" haben jedoch auf diese Weise einen authentischen
Murnau-touch.
Patalas, Murnau-Experte, hat schon 1969 – zusammen
mit Frieda Grafe – Murnau-Statements vorgestellt (Filmkritik 12/69-728 ff.).
Dieser schrieb zu "Tabu", dass es seine Absicht sei, das Selbsterlebte
im Film zu dokumentieren, "es für die Leinwand einzufangen",
so zum Beispiel, was (sein und "Blue Boys") Herz auf den ersten Blick
gewonnen habe: ein Boy und dessen Hüften, "schneller, wollüstiger
und unbeschränkter im Verlaufe des Tanzes", das "Modell für
einen Griechengott, ein Olympia-Modell". – "Hat man es einmal im Kopf,
läßt es sich nicht mehr wegdenken", schrieb Frieda Grafe fast
zwanzig Jahre später in einer Laudatio auf den 100. Geburtstag des "German
Genius Friedrich Wilhelm Murnau". Dem Zuschauer ergehe es nicht anders,
wenn Emotion sich zum Bild verdichte, "realer als in Form einer Erscheinung".
– Nachzulesen im soeben erschienen Band 8 der Schriften von Frieda Grafe ("Geraffte
Zeit"), herausgegeben von Enno Patalas. Hierauf hinzuweisen ist mir angelegen.
Murnaus "Südseebilder" lassen sich heute mit Nutzen reflektieren.
Dietrich Kuhlbrodt
Enno Patalas (Hrsg.): Friedrich Wilhelm Murnau.
Südseebilder. Texte, Fotos und der Film TABU. Bertz+Fischer, Berlin 2005.
217 Seiten. ill., 22.00 €
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epdFilm 3/06
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